Nach Köln: Dunkle Mächte. Alte Muster

Nr. 2 –

Hunderte von jungen Männern, «der Erscheinung nach nordafrikanischer bzw. arabischer Herkunft», haben in der Silvesternacht Frauen aggressiv sexuell belästigt und Feuerwerk in die Menge geschossen. So steht es im Bericht der Kölner Polizei.

Das Ereignis scheint unwirklich. Als wäre die Zeit selbst mit einem bösartigen Virus infiziert. Für den Verschwörungstheoretiker, dessen Newsletter ich immer noch nicht abbestellt habe, weil ich wissen will, wie die Durchgeknallten ticken, ist alles klar: Die «Dunkelmächte» wollen Deutschland zerstören. Darum sind so viele Flüchtlinge gekommen; jede tatsächliche oder vermeintliche Straftat eines Ausländers geschieht in diesem Auftrag. In nicht einmal zwei Jahren hat sich der Schwerpunkt seiner Mailsendungen von Permakultur und esoterischem Biolandbau zu Pegida- und Nazipropaganda verschoben.

Ein Ereignis wie die Kölner Silvesternacht ist der perfekte Trigger in einer ohnehin schon paranoiden Gesellschaft: der Super-GAU für die Linke, weil sich alle rechten Vorurteile zu bestätigen scheinen. Wir landen sofort in einem Abwehrreflex, wollen nicht thematisieren, dass die Täter Ausländer waren. Wer vor die Wahl gestellt wird, entweder Sexisten gegen RassistInnen zu verteidigen oder umgekehrt, weigert sich zu Recht. Aber das hilft nicht: Alle anderen reden darüber.

Es ist erstaunlich, wie wirkmächtig die Denkschablone «Ausländer» ist – ist sie doch ein sehr brüchiges Konstrukt. Mehr als ein Drittel der Schweizer Bevölkerung hat mindestens einen im Ausland geborenen Elternteil, bei den Grosseltern sind es noch mehr, und trotzdem funktioniert dieses Konstrukt, das zuverlässig einen Graben zwischen «uns» und «ihnen» schafft. Aber klar, es gibt natürlich auch noch eine Hierarchie innerhalb des Konstrukts. Der «Nordafrikaner» steht in der Skala ganz unten.

Es geht nicht darum, Täter zu schützen, sondern Gewalt zu verhindern. Es geht darum, Strukturen zu erfinden, damit die Menschen, die jetzt in Europa ankommen, ein würdiges Leben führen können. Dazu gehört, dass Flüchtlinge die Möglichkeit haben müssen zu arbeiten, sonst wächst eine frustrierte Generation heran, die nur zwischen Armut und Kriminalität wählen kann. Dazu gehören auch die Förderung sexueller Selbstbestimmung und die Prävention sexueller Gewalt – in allen Schulen, nicht nur in jenen, die finanziell gut dastehen, und nicht nur für Flüchtlinge. Auch die «einheimischen» Jugendlichen haben Aufklärung bitter nötig (vgl. «Knallhart zwischen die Beine» ).

Bei sexueller Gewalt gehe es um Macht, nicht um Sex, lautet ein feministisches Dogma. Ich habe es nie verstanden. Es wirkt wie eine Schranke, an der die Analyse aufhören soll. Wie sollen in diesem Bereich klare Trennungen möglich sein? Macht hat doch auch mit Sex zu tun. Aber auch wenn wir über Macht statt über Sex reden: Ist es verwunderlich, dass manche Männer, die keinerlei Macht mehr haben, nicht einmal Einfluss auf die grundlegenden Bedingungen ihres Lebens, sich etwas Macht verschaffen, indem sie körperlich Schwächere sexuell angreifen?

Stopp. Das klingt sofort wie eine Verharmlosung, wie eine Rechtfertigung der grauenhaften Übergriffe in Köln und anderswo. Aber genau das ist es nicht. Wer solche Taten verhindern will, muss zumindest ansatzweise versuchen zu verstehen, wie sie zustande kommen.

Und genau das verhindern die pauschalen Erklärungen über den Nordafrikaner an sich, der aus kulturellen Gründen nicht anders kann. Es ist schon faszinierend, wie rechte weisse Männer, die Sexismus und sexuelle Gewalt bei jeder Gelegenheit verharmlosen, sich auf einmal militant antisexistisch geben, wenn die Gewalt von muslimischen Männern kommt. Der innere Sexist wird abgespalten und auf den bösen Fremden projiziert, der «unsere» Frauen angreifen will. Dieses Muster ist alt. Generationen von Männern haben damit Kriege gerechtfertigt.