Porträt von Alexa Lindner Margadant: «Ich wäre sehr gerne eine historische Figur»

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Dass sie im Patriarchat nicht mitentscheiden durfte, hat sie schon als Kind fürchterlich genervt. Bis heute prägt die St. Gallerin Alexa Lindner Margadant die Schweizer Frauenbewegung.

Alexa Lindner: «Innerhalb der SP konnten wir Frauen mitreden. Das habe ich immer genossen – dass wir die Parolen mitbestimmen konnten.»

Ganz oben und zuvorderst im Büchergestell steht «Wenn Männer mir die Welt erklären» der US-amerikanischen Feministin Rebecca Solnit. Es sei ganz lustig geschrieben, meint Alexa Lindner Margadant. Die Autorin konzentriere sich aber sehr auf Diskriminierungen im Internet, wie so viele Amerikanerinnen heutzutage. «In Europa ist das wohl noch nicht so verbreitet», sagt sie und zündet sich eine Zigarette an.

Alexa Lindner ist gerade achtzig Jahre alt geworden, sie hat ein Facebook-Profil und ein Netflix-Abo, und wenn an ihrem Arbeitsplatz im Frauenarchiv ein Computer bockt, muss sie ran. «Und meistens bekomme ich ihn wieder hin.» Bis sie 1996 pensioniert wurde, war Lindner Mittelschullehrerin für Informatik, Maschinenschreiben, Bürotechnik und Stenografie. Letzterer gilt ihre grosse Liebe, bis vor kurzem war sie noch Redaktorin des Verbandsheftes «Der Schweizer Stenograf», und ihre Geburtstagskorrespondenz ist zum grossen Teil in Kurzschrift verfasst. «Stenografie war früher eine Männersache. Erst später, nachdem das Fach in der Schule obligatorisch wurde, verband man das mit ‹Fräulein, zum Diktat bitte!›.»

Erste kantonale SP-Präsidentin

Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Alexa Lindner für die Rechte der Frauen eingesetzt. Ihr runder Geburtstag wird denn auch mit einer «Historischen Tagung» gefeiert. Mit Vorträgen zur Geschichte der Frauenbewegung, zu St. Galler Frauenfiguren. Nervt es nicht, wenn das eigene Leben immer wieder auf das politische Wirken reduziert, ein runder Geburtstag zum Gedenktag für Feminismus gemacht wird? «Nein, ich wäre sehr gerne eine historische Figur», sagt Alexa Lindner und lacht. Sie ist längst eine. Zumindest unter den Ostschweizer Frauen, GewerkschafterInnen und Linken.

Bei den grossen Geschichten war sie immer dabei: Sie war die erste kantonale SP-Präsidentin der Schweiz, unterstützte das Frauenhaus, die Frauenbibliothek Wyborada, das Frauenarchiv. Sie machte Führungen auf den Spuren historischer St. Galler Frauen, schrieb mit am Schwarzbuch «Frauen und Arbeit», an einem Buch und einer Ausstellung zur Schriftstellerin Elisabeth Gerter. Zurzeit ist sie wieder mit einer Ausstellung beschäftigt: mit «Ricordi e stima» zum Leben italienischer MigrantInnen in der Schweiz (ab 5. März im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen).

Lindner hat immer ein grosses Interesse an Geschichte gehabt. «Weil es mich gewundert hat, wie man früher lebte. Und wenn ich mir das als Kind vorgestellt habe, war ich übrigens nie die Prinzessin. Ich habe mir immer schon die Gesellschaft von unten vorgestellt.» Eine Begeisterung, die sie mit ihrem Mann, dem 2013 verstorbenen Publizisten, Sozialisten und Plakatsammler Bruno Margadant, geteilt hat. Zu seinem Standardwerk «Das Schweizer Plakat 1900–1983» trug sie viele Recherchen bei.

Dass sie Feministin geworden ist, sei automatisch passiert, sagt sie. Überall sei das Patriarchat vorherrschend gewesen, und das habe sie früh schon aufgeregt. Zu Hause waren die Sympathien links, bei jenen, die sich dafür einsetzten, dass kein Mensch den anderen ausbeutete. «Mein Vater war Kantonspolizist und ihm war immer klar, dass sein Lohn ein politisches Thema war. Und dass der Polizeibeamtenverband, also die Gewerkschaft, auf seiner Seite stand», erzählt sie. Ihre Mutter hatte im Gegensatz zu den meisten Frauen damals einen Beruf: Sie war gelernte Telefonistin.

Endlich – das Frauenstimmrecht

Alexa Lindner ist im Kanton St. Gallen aufgewachsen, im Toggenburg, im Sarganserland und im Rheintal. Mit sechzehn trat sie in St. Gallen die KV-Lehre an, bei einem linken Anwalt und SP-Nationalrat. Der Einstieg in die Politik liegt nah: 1956, da war sie gerade zwanzig Jahre alt, wurde sie Sekretärin der kantonalen SP – es sollte noch fünfzehn Jahre dauern, bis sie überhaupt das Stimmrecht erhielt. «Aber innerhalb der Partei konnten wir Frauen mitreden. Das habe ich immer genossen – dass wir die Parolen mitbestimmen konnten.»

1971, als endlich das Frauenstimmrecht kam, hätten sie mit Standaktionen die Neuwählerinnen informiert, wie man gültig wählte. «Natürlich gab es auch einige, die uns blöde Emanzen schimpften.» Für Alexa Lindner sind die Parallelen zu aktuellen Diskriminierungen offensichtlich, nämlich dass MigrantInnen, die hier keine politischen Rechte haben, sich stets neuen, verschärften Gesetzen unterwerfen müssen, die sie explizit betreffen. «Ich bin klar für das Ausländerstimmrecht», sagt sie.

Für die Frauen aber habe sich inzwischen viel verändert, nur das Grundlegendste nicht: nämlich, dass Frauen und Männer den gleichen Lohn erhielten. «Beim Geld ist man in der Schweiz halt besonders traditionell, man hängt dran», sagt Alexa Lindner. Dabei hänge so viel Gleichberechtigung von der Lohngleichheit ab.

«Leidenschaft und Engagement: Historische Tagung anlässlich des 80. Geburtstages von Alexa Lindner», mit Vorträgen von Heidi Witzig, Esther Meier und Weggefährtinnen. Samstag, 13. Februar 2016, 10 Uhr, Kinok St. Gallen.