Argentinien: Noch bleibt der Champagner im Kühlschrank

Nr. 10 –

Präsident Mauricio Macri will SpekulantInnen auszahlen – und der Internationale Währungsfonds freut sich. Doch bevor Geld fliesst, muss der Staatschef noch den Senat über den Tisch ziehen.

«Wir sind sehr angetan», verlautbarte der Internationale Währungsfonds (IWF). Die Vereinbarung, die Argentiniens neoliberaler Präsident Mauricio Macri in der vergangenen Woche mit GrossspekulantInnen getroffen hat, sei «ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Rückkehr Argentiniens auf die Finanzmärkte». Das Abkommen sei «positiv für das gesamte globale Finanzsystem», jubelte das US-Finanzministerium in einer Erklärung.

Auch Paul E. Singer dürfte den Champagner kaltgestellt haben. 2008 hatte er über seinen auf den Cayman Islands registrierten Hedgefonds NML Capital für 48 Millionen US-Dollar Staatsanleihen des seit 2001 bankrotten Argentinien gekauft. Diese waren damals weit unter dem Nennwert zu haben. Nun darf er erwarten, dass ihm Argentinien für diese Papiere 620 Millionen Dollar bezahlt. Ein satter Gewinn von fast 1300 Prozent.

Ein uraltes Dogma

Singer ist auf diese Spielart der Spekulation spezialisiert (siehe WOZ Nr. 3/2013 ). Er kauft Anleihen bankrotter Staaten zu Schleuderpreisen und klagt dann den vollen Nennwert ein. Mit Peru und der Republik Kongo hat er das schon erfolgreich durchexerziert.

Mit Argentinien war die Übung nicht so leicht. Der linksperonistische Präsident Néstor Kirchner (2003–2007) und seine Amtsnachfolgerin und Gattin Cristina Fernández de Kirchner (2007–2015) liessen sich nicht erpressen. Sie handelten mit den GläubigerInnen 2005 und 2010 Umschuldungen aus, kauften die Staatsanleihen für dreissig Prozent ihres Nennwerts zurück und gaben dafür neue aus. 93 Prozent der GläubigerInnen akzeptierten das. Nur Singer und ein paar weitere SpekulantInnen wollten den ganzen Nennwert und klagten. Seither ist das Land von der Kreditbeschaffung auf internationalen Finanzmärkten abgeschnitten.

Damals wurden die von Herr und Frau Kirchner «Geierfonds» genannten Spekulanten auch vom IWF und der Weltbank gerügt. Es gehe nicht an, dass ein paar wenige ein von der grossen Mehrheit der GläubigerInnen akzeptiertes Abkommen sabotierten. Keine Regierung und keinE AnlegerIn könne sich so beim Streit um Schulden auf irgendetwas verlassen. Man brauche ein Insolvenzrecht für Staaten, das es diesen erlaube, nach einem Bankrott wieder auf die Beine zu kommen.

Die zwei kurz aufeinanderfolgenden Finanzkrisen, von denen die Welt damals geschüttelt wurde, scheinen genauso vergessen wie die Forderung nach einem Insolvenzrecht für Staaten. Stattdessen wird das willige Einknicken Macris vor GrossspekulantInnen gefeiert.

Singer hatte fast auf der ganzen Linie Erfolg. Er fand im 85-jährigen New Yorker Richter Thomas P. Griesa einen Verbündeten, der vielleicht nicht alle Winkelzüge moderner Finanzspekulation verstand, jedoch mit seinen Urteilen ein Dogma aus längst vergangener Zeit verteidigte: Die Summe, die auf einem Schuldschein steht, muss auch bezahlt werden. Er verurteilte Argentinien sogar dazu, dass es den GläubigerInnen der Umschuldung keine Zinsen bezahlen dürfe, bevor nicht Singer und seine MitstreiterInnen ausbezahlt wären. Griesa konnte das. Die Staatsanleihen Argentiniens waren über die New Yorker Börse verkauft worden – und also galt das dortige Recht.

Um sich wenigstens künftig vor solchen SpekulantInnen zu schützen, verabschiedete das argentinische Parlament ein Gesetz, dem zufolge Staatsanleihen nur noch in Buenos Aires ausgegeben werden dürfen. Ein zweites Gesetz schrieb fest, dass keine GläubigerInnen mit Papieren aus dem Staatsbankrott mehr als jene 93 Prozent bekommen dürfe, die sich auf einen Schuldenschnitt eingelassen hatten.

Trotzdem bot Macri nun Singer und den anderen sogenannten Holdouts 75 Prozent des Nennwerts an. Fast alle akzeptierten. Nur ein paar ganz wenige – sie halten zusammen gerade ein Prozent der ursprünglichen Schulden – bestehen weiterhin auf 100 Prozent. Argentinien würde dieses Geschäft 10,6 Milliarden US-Dollar kosten. Macri will das Geld mit einer neuen Staatsanleihe beschaffen, die in New York ausgegeben werden soll. Den GläubigerInnen will er 7,5 Prozent Zins im Jahr bezahlen.

Die Staatskasse ist klamm

Eigentlich hat der Präsident dieses Geld nicht. Die Staatskasse ist klamm, das Steueraufkommen geht zurück: Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat Macri der Agroindustrie Exportsteuern erlassen und der Mittelschicht, die ihm zum Wahlsieg Verholfen hatte, die Einkommenssteuer reduziert. Um nicht gleich einen neuen Staatsbankrott zu provozieren, hat er die Stromsubventionen für arme Haushalte gestrichen und Zehntausende öffentliche Bedienstete entlassen (siehe WOZ Nr. 1/2016 ).

Nun hat er ein Problem: Nach argentinischem Recht kann er Singer und den anderen nicht mehr als dreissig Prozent des Nennwerts ihrer Papiere bezahlen, und er darf neue Staatsanleihen nur über die Börse von Buenos Aires ausgeben. So bat er in der vergangenen Woche Abgeordnetenkammer und Senat, die entsprechenden Gesetze aus der Welt zu schaffen. Im Senat aber – der Vertretung der Provinzen – haben die PeronistInnen die Mehrheit. Macri wird also zumindest dem einen oder anderen peronistischen Provinzfürsten Geschenke anbieten müssen. Das kann Wochen dauern. So lange zumindest bleibt Singers Champagner im Kühlschrank.