Kommentar: Zeitungskolumnisten und der Islam: So schweigt doch bitte!

Nr. 13 –

Kolumnisten lassen in ihren Sonntagspredigten keine Gelegenheit ungenutzt, den Islam mit Islamismus gleichzusetzen.

Jedes Mal, wenn Islamisten irgendwo mit einer Bombe Menschen in den Tod reissen, taucht in den Medien derselbe Kommentar auf. Zusammengefasst: Viele behaupteten, der islamistische Terror habe nichts mit Religion zu tun, doch das sei falsch. Der Islam sei die zentrale Ursache für die Gewalt. Derjenige, der dies nach den Anschlägen in Brüssel hierzulande wieder einmal am lautesten herumposaunte, war «SonntagsBlick»-Kolumnist Frank A. Meyer.

Die Behauptung ist entweder dumm – oder böse. Im schlimmsten Fall beides. Der Reihe nach: Das zentrale Problem besteht darin, dass völlig unklar ist, was die erwähnten KommentatorInnen mit «dem Islam» meinen. Ist ihre Vorstellung des Islams die einer tatsächlich überweltlichen, göttlichen Idee? Glauben sie, dass es so etwas wie einen einzigen, wahren Islam gibt? Falls ja, wäre das vollkommen absurd. Denn das ist die Vorstellung, die gläubige MuslimInnen vom Islam haben (auch wenn sie nicht alle dasselbe darunter verstehen). Doch die entsprechenden Kommentatoren sind ja keine Muslime.

Oder verstehen sie unter Islam den Koran? Tatsächlich steckt viel Gewalt in dessen Versen. So ruft etwa Sure 9 dazu auf, «Götzendiener» zu töten. Die entscheidende Frage ist jedoch: Falls der Koran tatsächlich das Handeln der MuslimInnen beherrscht, wie kommt es dann, dass der Islamismus bis in die achtziger Jahre marginal war und heute plötzlich den Nahen Osten beherrscht? Wie kommt es, dass, während heute Jugendliche zum IS gehen, 2011 noch viel mehr junge MuslimInnen für Demokratie, Menschenrechte und Freiheit auf die Strasse gingen? Wie kommt es, dass neben dem konservativen Islam überall auf der Welt islamische Feministinnen im Namen ihrer Religion gleiche Rechte einfordern?

Die Antwort liegt auf der Hand: Entscheidend ist nicht, was im Koran steht, sondern was die Gläubigen aus ihm herauslesen.

Diese Feststellung bedeutet (entgegen einer gängigen Unterstellung) nicht, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschliessen: Ja, die vorherrschende Auslegung des Islam ist erzkonservativ. Ja, mit ihr werden Frauen unterdrückt. Ja, etliche Moscheen sind Brutstätten des Dschihadismus. Mit der Feststellung, dass die Auslegung des Korans entscheidend ist, wird nicht einmal behauptet, dass der Islam eine friedliche Religion ist. Nein. Der Islam ist weder gut noch böse. Der Islam ist all das, was die MuslimInnen aus ihm machen. Und das wird durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bestimmt. Hier liegt der entscheidende Punkt.

Diese Erkenntnis ist banal. Doch sie ist zentral: Denn sie erlaubt, jeden einzelnen Menschen islamischen Glaubens anhand seiner Taten statt an seiner Religion zu messen. Die erwähnten KommentatorInnen tun stattdessen Folgendes: Sie proklamieren den Islam der IslamistInnen als den einzig wahren. Damit machen sie sich zu deren KomplizInnen. Gleichzeitig stellen sie damit 1,6 Milliarden MuslimInnen (davon über 300 000 in der Schweiz) unter Generalverdacht – auch jene, die für Demokratie, Menschenrechte und Freiheit kämpfen. Ein Schlag in deren Gesicht.

An diesem Punkt stellt sich die Frage, was diese KommentatorInnen überhaupt wollen. Einmal angenommen, man gäbe ihnen recht. Angenommen, der Terror sei im Islam angelegt. Und jetzt? Was ist die Schlussfolgerung daraus? Müssen die 1,6 Milliarden MuslimInnen zwangsbekehrt werden? Soll man sie einsperren? Bis zum Ende bekriegen? Vernichten? Nicht, dass das hier irgendwem unterstellt werden soll. Gleichzeitig ist schwierig zu verstehen, worauf sie dann sonst hinauswollen. Frank A. Meyers Kolumnen zum Islam sind nur noch Ansammlungen von degoutanter Hetze.

Herren und Damen wie ihm mag es egal sein, was in zwanzig, dreissig Jahren auf dieser Welt ist. Anderen ist dies jedoch nicht gleichgültig. Darunter jungen Menschen, die ihre Existenz und jene ihrer Kinder in einer Welt aufbauen möchten, die nicht von Hass erfüllt ist. Leute wie er mögen deshalb doch nun bitte endlich schweigen.