Christliche Volkspartei: Und was sagen die Liberal-Sozialen?

Nr. 14 –

Wird die CVP unter ihrem neuen Präsidenten, dem reaktionären Zuger Nationalrat Gerhard Pfister, zu einer katholisch-konservativen Kampftruppe? Und was bedeutet der Wechsel an der Parteispitze für den christlichsozial geprägten Parteiflügel?

In zwei Wochen wählt die CVP die Nachfolge von Christophe Darbellay an ihrer Parteispitze. Wobei die Delegierten an der Parteiversammlung in Winterthur keine wirkliche Wahl haben: Gerhard Pfister tritt als einziger Kandidat an. Der Zuger Nationalrat ist gegen den Atomausstieg und gegen Ergänzungsleistungen für einkommensschwache Familien – unterstützt dafür die Verankerung des Bankgeheimnisses in der Verfassung sowie Steuersenkungen und Freihandelsabkommen. Ausgerechnet der reaktionärste Kopf der CVP wird ihr künftiger Vorsteher.

Auch das Vizepräsidium werden voraussichtlich mit der Luzerner Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler und dem Walliser Nationalrat Yannick Buttet zwei VertreterInnen des katholisch-konservativen Flügels besetzen. Der «Tages-Anzeiger» rief angesichts dessen bereits die «konservative Weichenstellung» in der CVP aus. Wie weit nach rechts driftet die CVP?

«Die Fäuste im Sack»

Spricht man mit aktuellen CVP-Fraktionsmitgliedern, die zum liberal-sozialen Flügel zählen, wiegeln diese ab. «Richtig ist, dass der künftige Parteipräsident am rechten Flügel der Partei politisiert. Es ist aber ebenfalls richtig, dass er weiss, dass er den liberal-sozialen Flügel braucht», sagt die Zürcher Nationalrätin Barbara Schmid-Federer. Sonst gehe ihm die CVP-Basis in den Städten Genf, Bern und Zürich verloren: «Auch auf die Frauen wird die Partei nicht verzichten können. Da Pfister sich dessen bewusst ist, führt er die nötigen Gespräche.»

Der Solothurner Nationalrat Stefan Müller-Altermatt, der besonders in wirtschafts- und umweltpolitischen Fragen oft eine andere Meinung als der designierte Präsident vertritt, gibt sich ebenfalls zuversichtlich, dass Pfister «den Rollenwechsel vom Zuger Nationalrat, der sich gern pointiert äussert, zum vermittelnden Parteipräsidenten» schaffe. Dass es keine Gegenkandidatur gibt, liege in erster Linie an der grossen zeitlichen Beanspruchung, die die Präsidentenrolle mit sich bringe. «Ich selbst oder mein Bündner Nationalratskollege Martin Candinas, der lange als Kandidat gehandelt wurde, haben schlicht keine Kapazitäten für den zeitintensiven Job. Bei Gerhard Pfister hingegen passt die Lebenssituation derzeit besser», sagt Müller-Altermatt.

Von einer «konservativen Weichenstellung» und damit auch von einer Konzentration auf die katholisch-konservativen WählerInnen wollen beide nichts wissen. «Die CVP ist eine Partei, die neue Mitglieder ausserhalb der katholischen Kirche suchen will und muss und auch gefunden hat», hält Schmid-Federer fest. «Genau das ist und war die Stärke der CVP: Wir sind die Partei der Brückenbauerinnen und Brückenbauer in der Mitte.» Müller-Altermatt formuliert es noch deutlicher: «Der rechte Rand ist keine zusätzliche Nische für uns.»

Lucrezia Meier-Schatz war sechzehn Jahre lang so etwas wie das Gesicht des liberal-sozialen Flügels. Als die CVP 2001 einen neuen Vorsitz brauchte, stieg sie gegen den katholisch-konservativen Thurgauer Ständerat Philipp Stähelin ins Rennen, «um zu verhindern, dass die Partei nach rechts rutscht». Sie beurteilt die Neubesetzung des Präsidiums skeptischer als Schmid-Federer oder Müller-Altermatt: «Die Machtübernahme durch Pfister ist ein Zeichen der mangelnden Zivilcourage der heutigen Parlamentarier.» Viele würden die Faust im Sack machen und seien schlicht froh, dass jemand diesen zeitintensiven und medial anspruchsvollen Job mache. «Es wird sich zeigen, ob der gescheite Gerhard Pfister länger an der Macht bleiben wird als seine konservativen Vorgänger Carlo Schmid, Adalbert Durrer und Philipp Stähelin.»

Wer füllt die Lücke?

Die CVP wird unter Pfister kaum zu einer katholisch-konservativen Kampftruppe – so wie sie es bis weit in die sechziger Jahre war. Pfister wird wissen, dass der rechte Rand der katholisch-konservativen WählerInnen in den Stammlanden seit den neunziger Jahren verloren ist: an die SVP mit ihrem stramm fremdenfeindlichen und gegen die EU gerichteten Kurs.

Es ist vor allem der Verlust dieses Segments, der die CVP in den letzten fünfzehn Jahren bei den Parlamentswahlen von 18 auf zuletzt 11,6 Prozent schrumpfen liess. Andererseits blieb der Handlungsspielraum in der Mitte in den letzten Jahren durch das Entstehen der BDP und der Grünliberalen beschränkt. Wachsen kann die CVP in nächster Zeit höchstens, wenn die BDP von der Bildfläche verschwindet. So gesehen bleibt ihr auf Dauer die Rolle als «Brückenbauerin in der Mitte». Nur, was heisst das für die aktuelle Legislatur?

Zunächst einmal ist die liberal-soziale Strömung innerhalb der CVP nach den letzten Wahlen geschwächt worden. Neben Meier-Schatz ist mit dem Waadtländer Nationalrat Jacques Neirynck eine zweite eigenständige und teilweise liberal-soziale CVP-Figur nicht mehr im Bundeshaus. Ob Schmid-Federer, Müller-Altermatt oder die Zürcherin Kathy Riklin die Lücke füllen können oder wollen, muss sich erst noch zeigen. Zumal die CVP mit ihren neuen organisatorischen Richtlinien einen «Schritt Richtung Fraktionszwang» unternimmt, wie der «Sonntag» in seiner jüngsten Ausgabe schrieb. Beschliesst die Fraktion mit Zweidrittelmehrheit künftig eine Haltung in «Kerngeschäften», ist diese in den Abstimmungen bindend. Ein Bekenntnis zur Meinungsvielfalt ist diese neue Richtlinie sicherlich nicht.

Die Parlamentswahlen vom Herbst haben die Machtverhältnisse nicht nur innerhalb der CVP, sondern im ganzen Parlament verschoben. Es hat ein Rechtsrutsch stattgefunden, der dem Lager um SVP und FDP zumindest im Nationalrat die Mehrheit verschafft hat. Die beiden bisherigen Sessionen waren ein deutlicher Ausdruck davon: Während die Landwirtschaft weiterhin massiv subventioniert und die Unternehmenssteuerreform III als Fortsetzung der Steuerprivilegien für Firmen und Konzerne umgesetzt werden soll, wird in der Sozialpolitik oder in der Entwicklungshilfe der Rotstift angesetzt – meist mit dem Segen der CVP.