Generation Y und die Arbeit: Müssen wir wirklich mehr wollen?

Nr. 17 –

Zur prekären Arbeit gezwungen. Oder alle Möglichkeiten kühn ergreifend. Drei Lebensentwürfe aus der sogenannten Generation Y, die angeblich alles will.

Erwerbstätige nach Vollzeit und Teilzeit (Grosse Ansicht der Grafik). Grafik: WOZ; Quelle: Bundesamt für Statistik

Auch ich gehöre dazu. Werde ich doch dieses Jahr dreissig: Mitten hineingeboren bin ich damit in die Generation, die zwischen den frühen achtziger und den späten neunziger Jahren zur Welt kam – die von SoziologInnen als Generation Y bezeichnet wird, weil wir scheinbar alles hinterfragen: Hierarchien und Statussymbole, althergebrachte Strukturen und die klassische Karriere. Freizeit statt Autos, Selbstverwirklichung statt Lohnerhöhung. Wir seien idealistisch und anspruchsvoll, eine Generation, die alles wolle: Erfolg und Spass, Abenteuer und Familie.

Für SkeptikerInnen hingegen sind wir die Generation prekär – gezwungen zur Flexibilität, weil Krisen und Digitalisierung den Arbeitsmarkt umwälzen. Abgespeist mit Praktika und der Scheinfreiheit von Bürokletterwänden und flexiblen Arbeitszeiten. Immer erreichbar und im ständigen Arbeitsmodus. Wie also arbeitet es sich heute? Was wollen wir wirklich? Drei Treffen mit Bekannten und mit Bekannten von Bekannten.

Vedran Žgela (28), Webdeveloper

In den Hubs dieser Welt tummeln sie sich, die Typen, die so aussehen wie Vedran Žgela und tatsächlich von einer schönen neuen Arbeitswelt träumen. Žgelas Bart ist ausladend, die Kleider sind schwarz, die Haare gescheitelt. Inzwischen ist ihm der Begriff etwas unangenehm: Plötzlich war da dieser Riesenhype. Und er mittendrin in einer Szene, die ihm penetrant aufzeigte, dass so individuell nicht war, was er da träumte. «Digital Nomad», so nannte sich der 28-Jährige in einem Gespräch mit dem «Manor-Magazin». Der Webentwickler kam gerade von Bali. Nächstes Ziel: Schottland. Žgela hatte seinen festen Job gekündigt und reiste mit Rucksack und Laptop um die Welt. Er ist nicht nur «Nomade», sondern auch Minimalist. Deshalb die dunklen Kleider – sie lassen sich am besten kombinieren.

Das Leben sollte sich so leicht wie möglich anfühlen – und so abwechslungsreich wie möglich. Airbnb-Zimmer, Cafés, Metropolen. Inzwischen nennt sich Žgela lieber «moderner, arbeitender Reisender». Es war nämlich wie mit dem Couchsurfen: Wird ein Lifestyle überbetont, kann er einem schnell einmal auf den Wecker gehen. Immer dieselben Gespräche darüber, woher man gerade komme und wohin man als Nächstes reise. Die überfüllten Co-Working-Spaces, seit «Nomaden» im Internet Städte nach Internetgeschwindigkeit, Büroräumen und Funfaktor bewerten. Dieser ewige Travellergroove. Er selbst kann das: diszipliniert sein, auch wenn draussen die neue Stadt wartet.

Überhaupt: Žgela ist nicht der Typ, der seine Karriere zurückstecken würde für ein bisschen blauäugiges Abenteuer. Vor einem Jahr ist er für die guten Aufträge nach Zürich zurückgekehrt, seither überlegt er sich, wann es wieder losgehen soll. Ein umgebauter Jeep stünde bereit, doch dessen Innenraum stellte sich als nicht geeignet heraus, um darin längere Zeit zu leben. Er habe einen ständigen Vorwärtsdrang, sagt Žgela. Eine Trennlinie zwischen Arbeiten und Leben gebe es nicht. Was so sehr nach Freiheit klingen soll, tönt auch nach dem Druck ständiger Selbstoptimierung. Nach einem Leben als Ich-AG. Žgela lacht. Das sei vielleicht so, aber nichts, was ihn von anderen in seinem Umfeld unterscheiden würde. «Jeder zieht irgendwie sein Ding durch, gründet ein Start-up-Unternehmen. Wir sind eine Generation mit enormen Möglichkeiten. Und wir können tatsächlich einen Einfluss haben auf die Welt, uns für Sinnvolles einsetzen.»

Verdichtung als Stressfaktor

Nie wurde in der westlichen Gesellschaft stundenmässig weniger gearbeitet als heute. Und doch scheint einiges schiefzulaufen – wie etwa eine repräsentative Studie der Universität Bern aus dem Jahr 2014 zeigt. Rund fünf Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder 300 000 Personen gaben an, so ausgebrannt zu sein, dass sie nach wissenschaftlichen Kriterien am Rand eines Burn-outs stehen. Weitere 25 Prozent klagten über Erschöpfungssymptome: Die Verdichtung ist zum Stressfaktor geworden. Nichts geht mehr langsam: Das E-Mail aus den USA ist genauso schnell verschickt wie die Nachricht an den Arbeitskollegen im Nebenraum. Wir haben unsere Effizienz verbessert, ohne dabei die Arbeitsbelastung zu reduzieren. Die sogenannte Generation Y will aus dem Hamsterrad ausbrechen und scheint gleichzeitig darin gefangen zu sein: Je mehr Identifikation man in der Arbeit sucht, desto mehr ist man bereit, auch am Wochenende ein paar E-Mails zu beantworten. Kann man sich dem entziehen?

Roman Enz (32), kaufmännischer Angestellter bei der Post

Im Hintergrund das alte Stadthäuschen. Roman Enz lebt mit seiner Familie an den St. Galler Hügeln. Zum Skypen dreht er sich an diesem frühlingswarmen Abend eine Zigarette und sagt: «Siebzehn Jahre.» So lange arbeitet der 32-Jährige schon bei der Post. Seine Karriere begann er mit einer KV-Lehre. Inzwischen ist er Verantwortlicher für das Backoffice, eine Zeit lang leitete er gar eine Filiale: «Mittelgross.» Es ist der klassische innerbetriebliche Aufstieg, der selten geworden ist. Ein Lebensmodell gegen den Trend der Wechselhaftigkeit. Bewusst gewählt? «Es gab irgendwie einfach nie den Moment, an dem ich mich hätte anders entscheiden müssen», sagt Enz. «Arbeit war für mich immer eher Mittel zum Zweck. Meinen Job würde ich kündigen, wenn er mir die Dinge in meinem Leben verunmöglichen würde, die mir wirklich wichtig sind.»

Wichtig war etwa: das Reisen. Nach der Lehre wollte Enz die Welt sehen. Die Post ermöglichte es ihm, regelmässig unbezahlten Urlaub zu beziehen. Nach Monaten auf Reisen kehrte Enz mit der Sicherheit in die Schweiz zurück, nicht alles aufgegeben zu haben. Überhaupt: Er ist wohl nicht gemacht fürs Risikohafte, Unverbindliche. Enz hat sich immer für das Solide entschieden, für Beständigkeit und Kontinuität. Da gehören auch die beiden Kinder dazu. Es sei wohl schon so, sagt Enz, dass man früher eine Familie gründe, wenn einen der Job nicht übermässig fordere.

Enz arbeitet gerne bei der Post: «Ich mag es, dass man am Morgen nie genau weiss, was der Tag bringt. Und ich kann mich mit dem Betrieb identifizieren, weil wir eine wichtige Aufgabe übernehmen.» Doch selbst verwirklicht habe er sich in seiner Arbeit nicht. Und es gibt diesen Teil in ihm, der das bereut. Alles bleibe irgendwie abstrahiert, zweckmässig, sagt Enz. «Von meinem Kollegen etwa weiss ich erstaunlich wenig dafür, dass wir den ganzen Tag zusammen im Büro sitzen. Wir gehen abends nicht noch Bier trinken, erzählen uns kaum etwas aus dem Privatleben. Das ist sicher anders, wenn du mit Gleichgesinnten arbeitest, gemeinsame Ideen verwirklichst.» Doch es gibt eine andere Seite dieser Medaille: Verlässt Enz um 16 Uhr das Büro, verschwendet er kaum mehr einen Gedanken an die Arbeit. Wenig bleibt hängen vom Tag, nichts Unerledigtes wird nach Hause geschleppt. «Feierabend ist Feierabend», sagt Enz. «Für mich bedeutet das ein Stück Freiheit. Und ich glaube, dass man diese verliert, wenn der Stellenwert der Arbeit steigt. Je wichtiger der Job, desto mehr Zeit und Energie saugt er einem doch ab.»

Enz hat mittlerweile auf sechzig Prozent reduziert. Eine Entscheidung, für die er die Stelle als Filialleiter opferte. Zeit für die Kinder zu haben, war ihm – typisch Generation Y – wichtiger. Von den Arbeitgebern fordert er ein Umdenken. Es brauche mehr Mut und Flexibilität im Umgang mit Teilzeitvätern.

Früher wäre Enz der klassische Beamte gewesen. Heute sind gerade Stellen wie seine unter Druck. Und überhaupt: Wir müssen schliesslich mehr wollen als das kleine Angestelltenglück unserer Eltern. Ausbrechen aus der Regelmässigkeit eines durchschnittlichen Arbeitslebens. All unsere kreativen Möglichkeiten ausschöpfen. Wirklich?

Yvonne Zoller (29), Fotografin, angehende Pflegefachfrau

«Wir reden also über Arbeit: Was gehört da alles dazu? Gerade wenn uns die Digitalisierung unsere klassischen Jobs wegfrisst, müssen wir uns doch fragen: Fassen wir den Begriff heute nicht viel zu eng? Ich glaube, dass gewisse Jobs überwunden werden sollten. Aber Arbeit im Sinn von aktiv sein, einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen, ist wohl unverzichtbar. Also müssen wir uns fragen, wie wir die Jobs kompensieren können, die verschwinden. Und welche Modelle wir schaffen können, damit auch die Arbeit finanziert ist, die heute unbezahlt erledigt wird, etwa die Pflege von Angehörigen.

Ich habe schon viele Jobs gemacht in meinem Leben; in gewisser Weise bin ich wohl die klassische Sinnsuchende meiner Generation. Andererseits werde ich nun Pflegefachfrau, und das geht wohl gegen den Trend. Da ist nix mit flexiblen Arbeitszeiten. Wir haben unsere festen Schichten, abends komme ich erledigt nach Hause – geistig und körperlich. Aber ich mag das, wenn man so unmittelbar merkt, was man geleistet hat. Wenn ich jemandem erzähle, dass ich mit dreissig Jahren eine Ausbildung begonnen habe, haut das niemanden vom Sofa. Das zeigt mir, dass sich einiges geändert hat in unserer Gesellschaft. Manche sind allerdings irritiert darüber, dass ich nicht studieren gehe, sondern eine Lehre mache. Erst recht, weil ich aus einem so ‹kreativen Bereich› stamme. Ich bin gelernte Fotografin, und manche finden meine Entscheidung wohl unverständlich.

Aber für mich ist es ein konsequenter Weg: Wenn ich auf meine bisherigen Jobs zurückblicke, fällt mir auf, dass es mir eigentlich immer ums Zwischenmenschliche ging – auch beim Fotografieren, aber da ist das Setting nicht ideal: Du bist ja eher die Kommandierende. Nach meiner Fotografieausbildung habe ich ziemlich prekäre Jobs gemacht. Mit einem Exfreund wanderte ich kurzzeitig nach Schottland aus und arbeitete in der Gastronomie. Das tat ich auch, als wir zurückkehrten: Eine Zeit lang arbeitete ich im Casino, später in einem Focaccialaden. Dann wurde ich für einige Jahre Flight Attendant. In dem Job triffst du alle möglichen Menschen, und längst nicht alle passen dir. Aber ich habe das genossen, so völlig aus dem Zusammenhang gerissen unterwegs zu sein. Und ich brauchte die Zeit, um herauszufinden, in welche Richtung es weitergehen soll.

Ich habe nie viel verdient, aber mir darüber keine grossen Gedanken gemacht. Nun beschäftigt mich meine finanzielle Situation zum ersten Mal. Ich musste mir einen Budgetplan erstellen und habe wirklich wenig Spielraum. Aber es ist ein Privileg, dass man sich heutzutage umentscheiden kann. Man verändert sich doch im Lauf des Lebens auch immer wieder. Im Moment arbeite ich auf einer Überwachungsstation für Herz/Thorax. Da ist die Betreuung der Patientinnen und Patienten sehr intensiv, fast eins zu eins. Das wird sich auf anderen Stationen dann leider sicher ändern. Der Umgang mit Patienten erfordert extrem viel Kreativität, finde ich. Und ich bin lieber kreativ in einem unkreativen Rahmen als umgekehrt. Das weiss ich inzwischen.»

Vedran Žgela, Yvonne Zoller, Roman Enz.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Text wurde Vedran Žgela irrtümlich als Webdesigner bezeichnet.