Kommentar zum Klimamasterplan: Die falsche Technik lebt

Nr. 23 –

Ein Klimamasterplan soll dem Bundesrat helfen, das Abkommen von Paris umzusetzen – und vermeidet Klartext.

«Man rettet die Welt nicht, indem man beschliesst, sie dürfe nicht untergehen.» So wurde in der WOZ das Klimaabkommen von Paris kommentiert. Es gehe nun darum, von den PolitikerInnen einzufordern, was sie ausgehandelt haben (siehe WOZ Nr. 51/2015 ). Das heisst namentlich: Ab ungefähr 2050 dürfen kein Erdöl, kein Erdgas und keine Kohle mehr verbrannt werden. Und das bedingt eine technische und wirtschaftliche Transformation.

Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich der Bundesrat dieser Verpflichtung bewusst ist. Nun hat vergangene Woche die Klima-Allianz, ein Zusammenschluss von über sechzig Organisationen, ihre Vorstellung präsentiert, wie «Paris» in der Schweiz umzusetzen wäre. Sie hat einen Masterplan vorgestellt sowie einen Massnahmenkatalog, den das Umweltbüro Econcept erarbeitet hat. Letzterer soll aufzeigen, wie das Zwischenziel erreicht werden kann, die inländischen Treibhausgasemissionen bis 2030 zu halbieren. Der Masterplan thematisiert darüber hinaus auch die Treibhausgase, die Schweizer Konsum und Kapital im Ausland verursachen, sowie die Verpflichtungen der Schweiz, arme Länder bei ihrer Klimapolitik finanziell zu unterstützen. Das Medienecho war bescheiden. Die Botschaft richte sich aber auch in erster Linie nicht an die Öffentlichkeit, sagt WWF-Klimafachmann Patrick Hofstetter, sondern an die politischen EntscheidungsträgerInnen in Bern.

Was der Bundesrat nicht begriffen hat, ist, dass eine Reduktion auf null qualitativ etwas anderes ist als zehnmal eine Reduktion um zehn Prozent: Darf mittelfristig gar kein Erdöl mehr verbrannt werden, sollte man sich nicht mehr damit aufhalten, erdölbasierte Techniken effizienter zu machen. Damit verlängert man nur das Leben der falschen Technik. «Strukturerhalt» nennt man das.

Der Massnahmenkatalog von Econcept will das Tempo der Emissionsreduktion der Schweiz verdoppeln, während der Bundesrat faktisch eine Verlangsamung vorsieht. Quantitativ ist diese Forderung an den Bundesrat also richtig, das lässt sich mit wenig Grundschulmathe zeigen. Aber qualitativ? Da ist die Botschaft von Paris auch bei Econcept nicht angekommen, wenn etwa Vereinbarungen über den CO2-Ausstoss immer noch als «Schlüsselmassnahme» im Verkehrsbereich bezeichnet werden.

Patrick Hofstetter betont, der Massnahmenkatalog sei nicht der Masterplan, sondern nur eine seiner Grundlagen. Er sei vor der Pariser Klimakonferenz in Auftrag gegeben worden, als man noch nicht wusste, dass die Forderung, die Treibhausgasemissionen auf netto null zu senken, tatsächlich Eingang in den Vertrag finden würde.

Der Masterplan setzt hauptsächlich auf eine zur Treibhausgasabgabe erweiterte CO2-Abgabe und spricht im Gegensatz zum Massnahmenkatalog auch Punkte an, die schmerzen: die Fliegerei oder den Konsum von Fleisch und Milchprodukten. Aber die Formulierungen sind angesichts der Herausforderung (so ist etwa in der Luftfahrt keine klimaverträgliche Technik in Sicht) ziemlich gewunden: Es brauche eine «Neuausrichtung der Landwirtschaft» mit einer «Verringerung der Tierbestände». Eine Verteuerung der Flugtickets durch eine Lenkungsabgabe soll eine «Reduktion der Flugnachfrage» bewirken (in einem übersichtlichen Schaubild heisst es noch defensiver, das «Nachfragewachstum» im Luftverkehr solle «eingedämmt» werden), und der Fahrzeugverkehr soll um bescheidene elf Prozent abnehmen und wieder den Stand der neunziger Jahre erreichen.

Der Masterplan offenbart das Dilemma der Klimapolitik: Zu fordern, was nottäte – ja nur schon zu fordern, wozu sich die Schweiz im Pariser Abkommen verpflichtet hat –, ist mehr, als der Politik zumutbar zu sein scheint. Vielleicht ist es ja richtig, dass der Masterplan eine anschlussfähige Sprache sucht. Viel eher aber würde es nun eben genau einen Befreiungsschlag und Klartext brauchen.

Marcel Hänggi ist Umweltjournalist und Buchautor. Wie ein ernsthafter klimapolitischer Befreiungsschlag aussehen könnte, beschreibt er hier: www.mhaenggi.ch/laquoparisraquo-ernst-nehmen.html.