Muhammad Ali (1942–2016): «Gewöhnt euch an mich!»

Nr. 23 –

«Kein Vietcong hat mich je ‹Nigger› genannt»: Der am 3. Juni verstorbene Boxer gewichtete seinen Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen höher als alle sportlichen Ambitionen.

Für einen Moment habe die Welt den Atem angehalten, als Muhammad Ali am 19. Juli 1996 in Atlanta das olympische Feuer entfachte. An dieses Bild erinnern westliche Medien zurzeit besonders häufig: den dreifachen ehemaligen Boxweltmeister im Schwergewicht, bekannt für seine physische wie verbale Schlagfertigkeit, dem die Parkinsonerkrankung die Glieder versteift und die Zunge gelähmt hat. Doch liest sich die Wiederholung dieses Bildes nicht wie das biblische Urteil über einen, der es wagte, zum Islam zu konvertieren und seine Stimme zu erheben gegen die USA als White Supremacy System?

Nach seinem Tod am 3. Juni lässt die Welt Ali nochmals auferstehen – als sportliches Ausnahmetalent, das mit seinem Mundwerk ebenso zu unterhalten wusste wie mit seinen Fäusten, wie die «New York Times» schreibt. In der Tat: Solange der jungenhafte Boxer im Ring seine Gegner umtänzelte «wie ein Schmetterling», um dann unerwartet «zuzustechen wie eine Biene», sie mit weiteren frechen Sprüchen und seinem «Ali Shuffle» bis aufs Blut provozierte und dann ins Leere schlagen liess, so lange ergötzten sich Medien und Publikum am selbsternannten «King of the World», an seinen gerappten Attacken, mit denen er die Stimmung bereits im Vorfeld eines Kampfes aufheizte. «Sein Wesen schien von Grund auf kindlich zu sein», schrieb die Schriftstellerin Joyce Carol Oates 1987 in ihrem Essay über Boxen, «den Trickster zu spielen, entsprach seiner Natur.» Eine rassistische Plattitüde, die man drei Tage nach Alis Tod in einem Nachdruck des Essays in der NZZ hat nachlesen dürfen.

Die Begegnung mit Malcolm X

Muhammad Alis Vermächtnis wird gerade weissgewaschen. Von neuem. Wer geglaubt hat, rassistische Stereotype seien obsolet geworden, sieht sich angesichts der Nachrufe in den sogenannten Leitmedien eines Besseren belehrt. Oder warum genau glaubt die «New York Times» betonen zu müssen, dass Ali nie richtig lesen gelernt habe und schulisch eine Null gewesen sei? Tatsache ist: Noch Jahre nachdem Muhammad Ali seinen Geburtsnamen Cassius Clay abgelegt hatte, verbaten redaktionelle Richtlinien der Zeitung, ihn unter seinem selbstgewählten Namen zu nennen. Die Gründe dafür liegen in Muhammad Alis wahrem Vermächtnis: seinem radikalen politischen Engagement für «racial justice», für die Gleichberechtigung von Schwarzen, das er persönlich höher gewichtete als alle sportlichen Ambitionen.

Ali wuchs in einer schwarzen Mittelstandsfamilie in Louisville, Kentucky, auf. Sein Vater war ein Anhänger des radikalen schwarzen Separatisten Marcus Garvey, doch was den damals Dreizehnjährigen politisch wachrüttelte, war die Ermordung des fast gleichaltrigen Emmett Till in Mississippi 1955: Till musste sterben, weil er angeblich mit einer weissen Frau geflirtet hatte. Seine Mörder gingen straflos aus. Schwarze besassen noch immer keine Rechte, die Weisse hätten respektieren müssen. Und während die Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King zunehmend Fahrt aufnahm, war der junge Ali fasziniert von einem Schwarzen, der den Wunsch nach Integration in ein White Supremacy System mit harschen Worten geisselte und stattdessen Gleichberechtigung «by any means necessary» forderte: Malcolm X.

Der charismatische Redner, der die Black Muslims zu einer wachsenden separatistischen Bewegung, der Nation of Islam, aufbaute, wurde 1962 zu einem engen Freund und Mentor, der Alis Leben entscheidend veränderte. Als der Boxer am 25. Februar 1964 in Miami entgegen allen Erwartungen Sonny Liston den Titel als Weltmeister im Schwergewicht abrang, sass Malcolm X in der ersten Reihe. Der Triumph im Ring transformierte Cassius Clay zu einer Persönlichkeit, die die sportliche Bühne endgültig sprengte und ihre Mission zu einer politischen machte: «Ich muss nicht so sein, wie ihr mich haben wollt – ich bin frei, der zu sein, der ich sein will.» Mit diesen Worten verkündete er, sich vom Namen Clay, den Sklavenhalter seinen Vorfahren gegeben hatten, zu befreien und stattdessen ein X an seinen Platz zu setzen, wie alle Mitglieder der Nation of Islam. «Ich bin Amerika. Ich bin der Teil, den ihr nicht anerkennen wollt. Gewöhnt euch besser an mich – schwarz, souverän, rotzfrech. Mein Name, nicht eurer. Meine Religion, nicht eure. Meine Ziele, meine eigenen. Gewöhnt euch an mich.»

Der stärkste, flinkste schwarze Körper hatte sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit von einem Objekt, das man eingezäunt von den Seilen des Rings wie im Zoo bewundert hatte, in eine Waffe verwandelt, die Weisse ins Visier nahm und «Black Power!» brüllte (bevor die gereckte Faust zwei Jahre später zum Symbol dafür wurde). Das weisse Amerika geriet in Panik – und reagierte mit vehementer Ablehnung.

Kritik am Krieg

Muhammad Ali und Malcolm X bezahlten beide teuer für ihre politische Rhetorik und Radikalität. Noch teurer aber bezahlten sie für ihre Freundschaft. Während Elijah Muhammad, der Führer der Nation of Islam, den Boxer Cassius Clay bislang abgelehnt hatte, schloss er den neuen Champion plötzlich in seine Arme und zeichnete ihn gar mit dem Namen Muhammad Ali aus – um gleichzeitig Malcolm X, der ihm zu mächtig geworden war, aus seinen Reihen zu verstossen und Ali jeden Kontakt mit ihm zu untersagen. Ein Jahr später war Malcolm X tot. Erschossen von Black Muslims.

Ali betonte stets, nichts im Leben zu bereuen. Mit einer Ausnahme: «Ich wünschte, ich hätte Malcolm sagen können, wie leid es mir tut, wie recht er mit so vielem hatte … Könnte ich zurückgehen und alles nochmals machen, ich liesse ihn nie mehr im Stich.»

Auch Ali hätte sich gemäss dem Dogma der Nation of Islam nur noch zu seiner Religion, nicht aber politisch äussern dürfen. Doch er liess sich von niemandem den Mund verbieten: Muhammad Ali gehörte zu den Ersten, die vor laufenden Kameras den Vietnamkrieg kritisierten. Einen Krieg, in dem schwarze Soldaten ungleich häufiger den Tod fanden als weisse. Überhaupt: Warum sollte er weissen SklavenhalterInnen, die Schwarzen in den USA ihre Rechte vorenthielten, dabei behilflich sein, nichtweisse Völker auf der ganzen Welt zu unterwerfen? «Kein Vietcong hat mich je ‹Nigger› genannt!»

Als er 1967 einberufen wurde und sich dem Kriegsdienst verweigerte, verurteilte ihn eine weisse Jury im Schnellverfahren zu fünf Jahren Gefängnis. Üblich waren achtzehn Monate. «Ich habe nichts zu verlieren, wenn ich für meine Überzeugungen einstehe. Geh ich halt ins Gefängnis, na und?», so Ali kühn. «Wir leben schon seit 400 Jahren im Gefängnis.» Und doch war der Preis, den er für seine Standhaftigkeit zahlte, enorm: Ali verlor nicht nur seinen Weltmeistertitel, sondern für über drei Jahre auch noch die Zulassung zum Ring – zur Blütezeit seiner sportlichen Karriere.

Dafür inspirierte er eine ganze Generation nicht nur in der schwarzen Protestbewegung, sondern auch an Colleges und Universitäten im ganzen Land. Muhammad Ali verlieh dem Widerstand ein Gesicht, eine Stimme und vor allem: Mut. Wie schon Malcolm X vor ihm tourte er von Campus zu Campus, um die Jugend im Kampf gegen die Rassendiskriminierung weltweit zu mobilisieren – allein 1968 hielt er gut 200 Reden. Sein kämpferischer Furor rang nicht nur den radikalen Black Panthers, die nichts mit Religion am Hut hatten, Respekt ab. Als sich Martin Luther King zum ersten Mal öffentlich gegen den Vietnamkrieg wandte, tat er dies mit den Worten: «Wie Muhammad Ali sagt: Wir sind alle – schwarz, braun, arm – Opfer desselben Unterdrückungssystems.»

Alis Fackel wird weitergetragen

Wie King und die Panthers bekam auch Ali den Hass dieses Systems zu spüren: Sein Pass wurde eingezogen, sein Telefon überwacht, und die etablierte Presse weigerte sich, ihn Muhammad Ali zu nennen. Denn die Geschichte der Unterdrückung, die mit diesem Namen sichtbar gemacht werden soll, musste tabu bleiben.

Sie ist bis heute nicht öffentlich aufgearbeitet worden. Schwarze Forderungen nach Reparationszahlungen für das historisch erfahrene Unrecht stossen in den USA auf breites Unverständnis. Doch Bewegungen wie Black Lives Matter tragen Muhammad Alis Fackel weiter. Nicht jene von den Olympischen Spielen, sondern jene, die den Widerstand anführt: mit Kampfgeist, Mut – und subversivem Witz.