In memoriam: Es wird einsam hier unten

Nr. 27 –

Bud Spencer, Manfred Deix, Abbas Kiarostami …: Wir kommen nicht mehr nach mit Trauern.

Ground Control an Major Tod: Warum so gefrässig, geht das nicht auch ein bisschen langsamer? Wir kommen ja nicht mehr nach mit Trauern und sind schon ganz durcheinander vor lauter Adieus. Wie soll man sich da noch würdig verabschieden können, wenn gleich schon der Nächste anklopft?

Und langsam wird es verdammt einsam hier unten. Aber das ist auch nur so ein falscher, selbstgerechter Satz derer, die noch am Leben sind. Denn man ist ja nicht plötzlich allein, bloss weil Götz George diesen notorischen Tatort namens Erde verlassen hat oder weil einem mit Bud Spencer gerade die lustigsten Pranken der Kindheit weggestorben sind. Man wird auch nicht gleich einsam, weil jetzt Michael Cimino, der vom eigenen Grössenwahn traumatisierte Regisseur von «Heaven’s Gate», nicht mehr lebt, nachdem er doch erst letzten Sommer noch als Ehrengast in Locarno war, ein entrücktes, seltsam altersloses und seltsam geschlechtsloses Wesen, das von seiner fernen Vergangenheit zehrte und doch wirkte wie ein Besucher aus einer jenseitigen Zukunft.

Was bleibt

Im Gegenteil, in den virtuellen Trauergemeinden der sozialen Medien muss niemand einsam trauern, und mit jedem Bild, jedem Zitat, das wir vertwittern, und jedem Video, das wir teilen, versichern wir einander: Dieser Künstler oder diese Schriftstellerin wird uns fehlen, aber das, was sie schufen, wird nicht vergehen. Sie haben uns viel dagelassen, wir können es uns immer noch anhören und ansehen, immer wieder. Die engsten Hinterbliebenen sind nicht wir, und deshalb liegt auch etwas Selbstgefälliges in dieser ritualisierten Trauer in der digitalen Gemeinschaft: Wir verabschieden uns von Menschen, die wir nicht gekannt haben, um ihrer Kunst willen, die uns deswegen kein bisschen verloren geht.

Und doch.

Missgeburt Gott

Abbas Kiarostami zum Beispiel, der grosse iranische Filmemacher und Gewinner der Goldenen Palme für «Le Goût de la Cerise». Man sieht ihn sofort wieder vor sich, ein liebenswürdiger Herr mit einer Sonnenbrille, die er nie abnimmt, und man ist jetzt doch überrascht und fühlt sich überrumpelt, dass er auch schon 76 Jahre alt war. Kiarostamis Filme wurden ja immer «jünger», so kam es einem vor, es war, als ob man bei ihm zusehen konnte, wie das Kino rückwärts altert. Iranischer Neorealismus und die Verspiegelungen der Postmoderne: Anderswo sind das Welten und Denkweisen, die sich nie berühren würden, bei Kiarostami schienen sie einander wie selbstverständlich zu umgarnen.

Oder Manfred Deix, der österreichische Zeichner des Grotesken und misanthropische Menschenfreund. Nie wirkte die Niedertracht fröhlicher, nie war der Frohsinn niederträchtiger, als wenn Deix seine Landsleute ins Visier nahm. Das sind Menschen, denen man im wirklichen Leben nie begegnen möchte, aber wenn man im Alltag dann mal die Augen aufmacht, im Bus, an der Kasse oder daheim vor dem Spiegel, wird einem klar: Die Menschen sind so, wie der Deix sie sah, und manche dieser Karikaturen sind sogar wir selbst. Und wenn Manfred Deix an den Himmel dachte, malte er sich den lieben Gott in einem halben Dutzend Varianten aus, und keine davon wirkte besonders gütig. Eine war ein fetter Greis, der auf einen Globus kackt. Eine andere ein schwammiges dreiköpfiges Multikultifabelwesen mit drei Hängebrüsten und drei Pimmeln: Gott ist eine Missgeburt. Ein tröstlicher, fast schon utopischer Gedanke, wie ihn nur ein Atheist hegen kann.

Die Nadel zittert

Kunst ist ja immer auch ein Kompass, und mit jeder kleinen Erschütterung zittert die Nadel ein bisschen stärker. Bei Deix war die Nadel eher ein fetter Daumen, nass vor Schweiss, aber vollkommen unbestechlich. Und wir fragen uns bang: Was wird jetzt aus Österreich, wenn sein Porträtist nicht mehr da ist? Und wer richtet jetzt die Nadel des Kinos immer wieder neu aus, wo mit dem iranischen Weltbürger Kiarostami einer seiner beiläufigsten Erneuerer nicht mehr da ist? Kann man überhaupt gleichzeitig um Manfred Deix und um Abbas Kiarostami trauern? Vielleicht muss man sogar: Gegen den Irrsinn der Zeit hilft womöglich nur der groteske Scharfblick im Verbund mit der poetischen Fantasie.

Ground Control an Major Tod: Zeit für eine Pause jetzt. Sonst schicken wir Bud Spencer vorbei für eine Tracht Prügel.