Wichtig zu wissen: Unheil im Anzug

Nr. 31 –

Ruedi Widmer sagt: «It’s the Krawatte, stupid!»

Manch einer forderte angesichts der Umbrüche in der Türkei wohl in Gedanken blind die Beitrittsunterlagen der Gülen-Bewegung an. Andere bewundern still in ihren «Weltwoche»-Editorials die radikale Konsequenz der lupenreinen Demokratie Recep Tayyip Erdogans. Auf jeden Fall steht man fassungslos vor dem Jahr 2016 und fragt sich, was denn da noch kommen muss, wenn derart viele Schrauben locker sind.

Das Thema geht mich zwar eigentlich nichts an, ich bin nicht Türke, sondern neutraler Schweizer und darf nicht andere Länder und schon gar nicht andere Präsidenten kritisieren. Aber ich weiss auch, dass Präsident Erdogan grosszügig ist und seit neustem nachsichtig, wenn einem mal ein Scherzwort über die Lippen huscht.

Ich kenne viele Leute, aber niemanden, der Herrn Erdogan bewundert. Stelle ich das Internet an, stosse ich jedoch unweigerlich auf ZeitgenossInnen, die eifrig die demokratische Wahl des türkischen Präsidenten betonen und damit Spitzelei, Säuberungen, Folter und Mord zu demokratischen Werkzeugen erklären.

Die demokratische Wahl von beispielsweise Bundesrätin Sommaruga wird in denselben demokratischen Kreisen allerdings seit Jahren nicht anerkannt.

Was ist der Grund, warum die lupenreinen DemokratInnen demokratische Wahlen so unterschiedlich auslegen?

Es liegt an den Kleidern. Leute wie Abu Bakr al-Baghdadi vom Islamischen Staat, Adolf Hitler, Muammar al-Gaddafi, Doris Leuthard, Angela Merkel, Kim Jong Il, Hillary Clinton, Mao, Jean-Bédel Bokassa, Usama Bin Laden oder eben Simonetta Sommaruga tragen oder trugen allerlei komische Uniformen, Sackkleider, Bettüberwürfe, Umhänge, Vorhänge oder sonstige Tücher, aber eben nicht Anzug und Krawatte.

Leute, denen man vertraut, tragen Anzug und Krawatte. Der Versicherungsmakler zum Beispiel. Ihr Kundenberater bei der CS. Nationalrat Erich Hess. Österreichs Bundespräsidentenkandidat Norbert Hofer. Russlands Präsident Putin. Die vielen jungen smarten und manchmal noch pickelgesichtigen Anzugträger über Mittag in den Bistros unserer Grossstädte, bei denen sich unsereins fragt, was diese Männer den ganzen Tag über in den Büros eigentlich tun. Herr und Frau Schweizer hingegen wissen: Da stimmt die Welt noch, da wird redlich und fleissig gearbeitet. Da ist eine Frau oder eine Mutter zu Hause, die diese Anzüge und Hemden bügelt.

Also trägt der Islamist Erdogan eben auch Anzug und Krawatte und nicht die übliche Höhlenbewohnerkleidung seiner Berufskollegen. Er schafft damit das Vertrauen in den Islamismus, das jetzt nach all den Anschlägen dringend nötig ist. Ein rechtschaffener Mann, der eine gattlige Frau sein Eigen nennt, in einem anständigen Palast wohnt statt in Abbruchliegenschaften in Mosul und vor allem nicht herumhurt wie die üblichen Tücher- und Kopftuchislamisten, bei deren Anblick ältere Damen zusammenzucken wie einst die Grossmutter bei Räuber Hotzenplotz. Mit Erdogans Auftritt kann auch der grösste Kritiker des Islamismus umgehen und seine negative Sicht auf diese demokratische Denkrichtung revidieren.

Das ist bei vielen IslamgegnerInnen der neuen Rechten passiert. Denn der Feind ist ja der Islam, der bekanntlich nichts mit dem Islamismus zu tun hat. Also ist der Islamismus gar nicht das Problem. Das autoritäre Machtwort, Säuberungen, Verpetzen, Prügeln, Herumgefuchtel mit Waffen, das ist nicht einfach islamistisch, das ist auch deutsch und abendländisch und russisch ohnehin, und wenn die Kleider dazu stimmen, warum nicht. Das würde auch der Schweiz guttun. Und die SVP sammelt sich vor den Gülen-freien Kebabständen und nimmt mal ein «Probiererli». En Guete!

PS: Dass Obama bei oben erwähnten Leuten nicht «funktioniert», liegt nicht an seinen perfekt sitzenden Anzügen, sondern an seiner Hautfarbe.

Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur. Er hat zwar auch einen Anzug zu Hause, nimmt aber ins Büro lieber den Aufzug.