WOZNews

Nr. 31 –

Boulevardeske

Der neue britische Aussenminister Boris Johnson hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich. So berichtete er einst als Brüssel-Korrespondent erfundene Schauergeschichten über die EU, und zwar fürs «Boulevardblatt Daily Telegraph», wie die NZZ weiss. Nun nimmt der «Daily Telegraph» in der englischen Presselandschaft gemeinhin eine ähnliche Position wie die NZZ in der Schweiz ein, als konservative «Qualitätszeitung». Äussert sich in der Abqualifizierung des englischen Schwesterblatts die eigene Identitätskrise der NZZ, oder wird damit gar eine neue Strategie angedeutet? Und zeigt sich darin, dass die Bezeichnung in der Onlineversion ersatzlos gestrichen worden ist, schon die Priorisierung der Lektoratsressourcen?

Schlagende

Um solchen Befürchtungen entgegenzutreten, konzentrieren wir uns hier ganz auf die Qualitätszeitung von der Falkenstrasse. In einem Porträt der FDP-Chefin Petra Gössi wird ihr zugebilligt, sie überrasche mit ihrer Lockerheit – «nur inhaltlich hat sie noch keine Pflöcke geschlagen». Da in einigen rustikalen Dialekten mit Pflöcken gelegentlich Männer bezeichnet werden, mag die NZZ einem neuen feministischen Kampfsport auf der Spur sein – an häusliche Gewalt wollen wir dagegen nicht denken.

Mischelnde

Im Wirtschaftsteil wurde nach dem Brexit ein neues Subjekt gesichtet: «Wechselkurs mischt Karten neu». Wohl als Prothese der unsichtbaren Hand des Marktes. Auch der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär im Dienst des Grosskapitals weiss in der «NZZ am Sonntag»: «Die nächsten Euro-Krisen sind damit programmiert, und nur schon dieses Wochenende könnte anhand Italiens schwankender Banken damit beginnen.» Vielleicht hat das Wochenende aber auch Urlaubspläne in Griechenland.

Zündelnde

Mit Opfern und TäterInnen ist es so eine Sache. «Zündeln an Chinas Schlaraffenland» meldet die NZZ aus dem unergründlichen Reich der Mitte. Dort soll es zahllose faule Staatsangestellte geben, die den SteuerzahlerInnen auf der Tasche liegen. Da könnte der biedermännische NZZ-Autor gleich selbst zum Brandstifter werden, und so verkündet er zum Schluss angesichts geplanter rigoroser Gegenmassnahmen schadenfroh: «Für Millionen von Beschäftigten ist das Schlaraffenland bald abgebrannt.» Im Kinderlied war einst Pommerland während des Dreissigjährigen Kriegs abgebrannt; aber in China liegt die Assoziation an die Kulturrevolution näher. Die hat ja auch Millionen Opfer gefordert.

Windschattenfahrende

«Während Europa scheinbar aus den Fugen gerät, bleibt die Schweiz unbeirrt auf Erfolgskurs», beginnt die NZZ schliesslich ihren traditionell besinnlichen Beitrag zum 1. August und setzt ihn unter den Titel «Im Windschatten der Geschichte». Bei der Tour de France liess sich beobachten, wie erfolgreiches Windschattenfahren darin besteht, dass sich Teammitglieder bei der Führungsarbeit solidarisch abwechseln. Wer sich nur im Windschatten aufhält und am Ende den Etappensieg stiehlt, wird eher abschätzig betrachtet. Doch die Verwechslung von Windschatten- und Trittbrettfahren hat die Schweizer Banken schon im Steuerstreit mit verschiedenen Staaten ein paar Milliarden gekostet.

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