Im Fotolabor: «Das Analoge drückt bei mir überall durch»

Nr. 33 –

Mitten in einem Berner Wohnquartier befindet sich eines der letzten Schwarzweissfotolabors, in denen auch grossformatige Bilder entwickelt werden können. Zu Besuch beim Fotografen, Künstler und Laborinhaber Rafael Buess.

«Die Arbeit ist zeitintensiv, aber wahnsinnig schön»: Rafael Buess mit einem Negativ auf der Bildbühne des Vergrösserungsapparats.

«Magic happens», sagt Rafael Buess und schaut in die Flüssigkeit, in der das über ein Meter lange, weisse Papier schwimmt. Langsam entstehen darauf Flecken, die zu Häusern und Strassen heranwachsen. «Es ist jedes Mal wieder faszinierend, wie das Bild entsteht», sagt der Berner Fotograf, Künstler und Fotolaborinhaber. Bekleidet mit einem knielangen weissen Kittel, Jeans, Turnschuhen und blauen Handschuhen steht er in der Dunkelkammer seines Fotolabors in der Berner Länggasse, einem der letzten Labors in der Schweiz, in denen die Entwicklung von grossformatigen, analogen Schwarzweissfotografien noch möglich ist. Sorgfältig nimmt er das Bild aus dem Entwicklerbad, legt es in das Stoppbad und von dort weiter ins Fixierbad. Nachdem er es kurz ins Wasser getaucht hat, zieht er die Handschuhe aus, hängt das Bild im hellen Raum vor der Dunkelkammer an eine Visionierungswand und betrachtet es kritisch.

Das Bild zeigt Tokio von oben und ist ein Ausschnitt aus einer grossformatigen Fotografie des 2010 verstorbenen Berner Fotografen Balthasar Burkhard, der für seine grossen Schwarzweissbilder international berühmt ist. Buess hat den Auftrag, einen neuen Abzug herzustellen, weil einer der existierenden kaputtgegangen ist. Er prüft den fünfzig Zentimeter breiten Testabzug genau: Stimmen die Kontraste? Ist es an keiner Stelle zu hell oder zu dunkel? Stimmt die Kornschärfe?

Zufrieden mit dem Testergebnis geht Buess nebenan in den rot beleuchteten Projektionsraum und beginnt nochmals von vorne. Er zieht aus einem an der Wand installierten Papierdispenser ein knapp 2 Meter langes und 1,3 Meter breites Papier heraus, befestigt es mit Magneten an der Projektionswand, streicht es glatt und schaltet den auf Schienen stehenden Vergrösserungsapparat an, in dem das Negativ in der Bildbühne liegt. «Der hat eine 2000-Watt-Lampe», sagt er, während das Bild auf die Wand projiziert wird. Sieben Minuten Belichtungszeit – Tokios Strassen und Häuser leuchten auf dem Papier auf. Die Maschine surrt, Buess unterbricht mit einem kleinen Wedel zwischendurch den Lichtstrahl an Stellen, wo die Bildpartien sonst zu dunkel würden. «Die ganze Arbeit ist sehr zeitintensiv und auch körperlich anstrengend», sagt er, während er wedelt. «Und auf dem Weg zum fertigen Werk kann viel schiefgehen – was je nachdem ziemlich hohe Kosten mit sich bringt.» Macht er einen Fehler, ist das ganze Material verloren. Der Verschleiss ist enorm. Und doch: «Es ist einfach eine wahnsinnig schöne Arbeit.»

Kontemplative Laborarbeit

Beigebracht hat sich der 42-Jährige diese Arbeit grösstenteils selbst. Bereits während der Schulzeit besass Buess ein Fotolabor im Keller seiner Eltern. Als er auszog, nahm er es mit. Er begann drei Studiengänge, brach alle ab, machte die Ausbildung der Gruppe autodidaktischer Fotografen und Fotografinnen (GAF), arbeitete als Operateur in einem Kino und wurde schliesslich Anfang 2003 Assistent von Balthasar Burkhard: «Er hatte sein Atelier fast direkt neben meinem. Eines Tages ging ich mit meiner Mappe bei ihm vorbei und fragte, ob er nicht einen Assistenten brauche. Ich wollte zu ihm, weil er diese grossformatigen Schwarzweissbilder machte. Und natürlich, weil mir seine Arbeit gefällt.» Zwei Wochen später hatte er den Job. Über fünf Jahre lang war Buess zuständig für das Atelier und das Labor von Burkhard und begleitete ihn auch auf seinen Fotoreisen. «Ich ging durch die balthasarsche Schule. Man konnte viel bei ihm lernen, aber man musste es sich selber beibringen. Balthasar war ein extrem guter Typ, allerdings nicht unbedingt was die Didaktik betraf.»

Ein kleiner Fleck im Himmel

Die sieben Minuten sind um. Buess stellt die Belichtungsmaschine ab, rollt das Papier zusammen, geht nebenan ins Labor, zieht wieder Handschuhe an und legt die Rolle ins Entwicklerbad. Hier bewegt er sie drei Minuten hin und her, bis die Stadt wieder auf dem Papier sichtbar wird. Nach dem Stopp-, Fixier- und einem kurzen Wasserbad hängt er das Bild erneut an die Visionierungswand und betrachtet es genau. Er sieht einen kleinen Fleck im Himmel – den müsse er noch auf dem Negativ überprüfen, sagt er. Dann kommt die Fotografie nochmals ins Wasserbad, wo sie eine Stunde ausgewaschen werden muss. Anders als das gewöhnliche Fotopapier ist das Barytpapier, mit dem Buess arbeitet, nicht mit Plastik beschichtet. Dadurch hat die Oberfläche mehr Struktur, das Papier saugt sich aber auch stärker mit Chemikalien voll und muss viel länger ausgewaschen werden.

Seit über sechs Jahren hat Buess sein Labor in einem zweistöckigen Keller unter seiner Atelierwohnung. Neben einer Büroecke gibt es eine selbst eingebaute Dunkelkammer, einen Raum mit zwei grossen Projektoren sowie in mehreren Räumen grosse Tische, auf denen die grossformatigen Bilder getrocknet werden. Zurzeit liegen Bilder von Buess selber auf einigen Tischen, auf anderen jene des jurassischen Künstlers Philippe Queloz, der am Tag zuvor bei Buess im Labor war. Später wird auch Burkhards Fotografie dort trocknen.

In sein Labor kommen Fotografen und Künstlerinnen aus der ganzen Schweiz. Adrian Scheidegger, Hans Danuser und Fabian Unternährer haben hier ihre Bilder entwickelt. Mit manchen Künstlern arbeitet Buess enger zusammen. So hat er mit Fabian Marti Anfang dieses Jahres einen Raum im Kunstmuseum Luzern in eine riesige Dunkelkammer verwandelt und dort Martis Bilder mitgestaltet und entwickelt. Anschliessend wurden sie ausgestellt.

Ganz und gar nicht tot

Das Geschäft läuft mal besser, mal schlechter. Zwar kann Buess von seinem Beruf leben, aber er fügt an: «Einen Grossteil des Gelds, das ich verdiene, investiere ich wieder in meine eigenen Werke, Projekte, in die Infrastruktur und ins Material.» Davon gibt es viel in seinem gut aufgeräumten und praktisch eingerichteten Atelier: In Schubladen liegen reihenweise alte Kameras und Fotofilme, in einer Ecke stehen Stative und Lampen, Pakete mit Barytpapierrollen lehnen an einer Wand, und Kisten mit Fotopapier sind ordentlich auf einem Gestell gestapelt.

Nebenbei arbeitet Rafael Buess noch in einer Bar um die Ecke. «Das selbstständige und doch ein wenig einsame Arbeiten im Labor hat etwas sehr Kontemplatives. Die Arbeit in der Bar mit den Gästen ist ein angenehmer Gegenpol», sagt Buess und bewegt zwischendurch das Bild im Wasserbad. Dass er an einem aussterbenden Gewerbe festhält, hat ganz einfach mit seiner Liebe zu diesem alten Handwerk und zur analogen Fotografie zu tun. Die analoge Fotografie sei etwas ganz anderes als die digitale, man könne die beiden Dinge eigentlich gar nicht miteinander vergleichen: «Ich bin überzeugt, dass die analoge Fotografie wieder ein Revival erleben wird. Tot ist sie ja ganz und gar nicht.»

Da ihm wegen Eigenbedarf das Atelier gekündigt wurde, ist er auf der Suche nach einem neuen Wirkungsort. Wenn alles klappt, kann er demnächst einen neuen Mietvertrag unterschreiben. Kopfzerbrechen bereitet ihm allerdings, wie er den Umzug und den Umbau fürs neue Atelier finanzieren soll. Deswegen möchte er Stiftungen anschreiben, die ihm dafür Geld sprechen. «Schliesslich», so ist Buess überzeugt, «geht es hier um ein Know-how, das langsam verschwindet, das jedoch erhaltenswert ist.»

Die Fotografie von Balthasar Burkhard liegt noch immer im Wasserbad, als Buess durch seine Wohnung zum Ausgang führt, vorbei an einer grossen Plattensammlung. Buess grinst: «Das Analoge drückt bei mir überall durch.»

Am Abend kommt ein SMS: «Der Abzug, den wir am Vormittag machten, ist nur Grundstein. Bin zurzeit noch immer am Ausarbeiten der Finessen. Sprich: Ich habe mittlerweile noch mal drei Stück belichtet.»