Zwei Erzählungen: Kämpfe auf Leben und Tod

Nr. 35 –

Ein bisschen pathetisch, aber nicht kitschig: Stefano Bennis neuer Erzählband «Die Pantherin» ist grosse Literatur im kleinen Format.

Der 69-jährige italienische Schriftsteller Stefano Benni ist immer für eine Überraschung gut. Als erfolgreicher Autor skurriler Kurzgeschichten («Die Bar auf dem Meeresgrund») und humorvoller gesellschaftskritischer Romane («Der Zeitenspringer», «Brot und Unwetter») verblüfft er sein auch im deutschsprachigen Raum wachsendes Publikum nun mit zwei Erzählungen, die zusammen weniger als hundert Seiten lang sind. Gemeinsam ist ihnen, dass zwei starke weibliche Charaktere im Mittelpunkt stehen.

In der ersten ist es «die Pantherin», die dem Buch auch den Titel gibt: «Wie alt mochte sie sein? Zwanzig? Dreissig? Es ist nicht wichtig. Königinnen sind alterslos.» Es geht allerdings nicht um eine Aristokratin, sondern um eine Königin des Billards. Ort der Handlung ist ein finsterer unterirdischer Salon in einer namenlosen italienischen Stadt, wo für gewöhnlich ausschliesslich Männer gegeneinander antreten – schräge Typen mit beziehungsreichen Spitznamen wie «die Mumie», «der Stinker», «Garibaldi» oder «Chiquita». Die Pantherin besiegt sie alle. Bis zur entscheidenden Partie gegen «den Engländer», einen etwa 35-jährigen «wunderschönen Jungen, der die Herzen raubte und die Portemonnaies leerte».

Kugel am richtigen Ort

Benni erzählt das Duell aus der Perspektive eines Fünfzehnjährigen, der die Schule geschmissen hat und sich im Billardsalon mit Kloputzen sein Geld verdient. Natürlich darf hier nicht verraten werden, wie das Spiel ausgeht und welche dramatischen Folgen es hat: Es handelt sich im wahrsten Sinn des Wortes um einen Kampf auf Leben und Tod. Warum er so und nicht anders endet, erklärt die unangefochtene Autorität des Salons, ein weiser Alter, früher selbst ein begnadeter Spieler. Er ist erblindet, aber gleichwohl als Einziger in der Lage zu erkennen und zu interpretieren, was um ihn herum geschieht. Der jugendliche Ich-Erzähler gibt ihm den Namen Borges, weil er dem argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges (1899–1986) ähnelt – dem grossen Wegbreiter des magischen Realismus, dem nicht nur Gabriel García Márquez und Umberto Eco, sondern auch Stefano Benni so viel zu verdanken haben. Letzterer treibt die Verehrung seines Lehrmeisters so weit, dass er der Erzählung ein Zitat aus Borges’ Gedicht «La pantera» voranstellt: Es handelt von einem Panther hinter Gittern, und offensichtlich ist es eine der Quellen, die Bennis Erzählung inspiriert haben.

Der Borges aus dem Billardsalon spricht aus, was der heranwachsende Erzähler erst später lernen wird: In existenziellen Fragen, an den Wendepunkten des menschlichen Lebens, gibt es nur ein einziges Spiel, das alles entscheidet: «Wir können kein zweites Mal spielen.» Was bleibt, unabhängig von Sieg oder Niederlage, ist die Hoffnung: «Vielleicht wirst auch du eines Tages die Kugel am richtigen Ort haben, und Fortuna nur einen Schritt von dir entfernt. Auch wenn du im Billard eine Niete bist.» Daran erinnert sich der Erzähler viele Jahre später. Er, der glaubt, «die einzige Träne gesehen zu haben, die die Pantherin je vergossen hat», dankt seiner Heldin, dass sie seine Jugend «erleuchtet» habe. Mit dieser Huldigung an die «Göttin Pantherin» endet die Geschichte. Das ist pathetisch, aber nicht kitschig und grosse Literatur im kleinen Format.

Das Mädchen und das Meer

Es liegt nicht zuletzt an Bennis kraftvoller Sprache und der sehr guten Übersetzung von Mirjam Bitter, dass die Geschichte von der ersten Seite an mitreisst – trotz des ungewöhnlichen Ortes der Handlung. Der häufig derbe Humor, der Bennis Werke auszeichnet, fehlt weitgehend – in der zweiten Erzählung, «Aixi» (gesprochen Aiji), fast vollständig. Frei nach Ernest Hemingway könnte sie auch «Das Mädchen und das Meer» heissen: Aixi, «fast zwölf», geht heimlich alleine fischen, weil ihr Vater todkrank ist. Auf dem viel zu grossen Boot beginnt der uralte Kampf, in dem das Meer aber – trotz der Gefahr – nicht der Feind ist. Acht Kilo Fisch, die Aixi an ein Restaurant verkaufen kann, sind die reiche Beute. Das Abenteuer geht also gut aus – dieses Mal. Wie es nach dem Tod des Vaters weitergeht, bleibt offen. Selbst Aixis Träume widersprechen sich: Lebt sie mit sechzehn als «kleine Dame» bei ihrer Tante in der Stadt, mit roter Vespa, einem Volleyballspieler als Freund und nur gelegentlicher Sehnsucht nach dem Meer? Oder bleibt sie, wo sie ist, «verlässt das Haus am Meer nicht, lernt ein zehn Meter langes Boot zu führen und fischt Schwertfische, und kein Hai wird ihr das wegnehmen»?

Auch diese zweite Erzählung bereitet grossen Lesegenuss. Sie fällt nur deshalb ein wenig ab, weil «Die Pantherin» einfach grandios ist. Der Wagenbach-Verlag, der sich seit Jahren um die Verbreitung zeitgenössischer italienischer Literatur im deutschsprachigen Raum verdient macht, hat seinen in rotem Leinen gebundenen Büchern der Salto-Reihe ein weiteres kleines Juwel hinzugefügt. Schade nur, fehlen Luca Rallis Zeichnungen, die das italienische Original eindrucksvoll illustrieren.

Stefano Benni: Die Pantherin. Aus dem Italienischen von Mirjam Bitter. Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2016. 92 Seiten. 21 Franken