Afrikanische Wissenschaftlerinnen: «Meine Grossmutter soll meine Forschung wiedererkennen»

Nr. 37 –

Fünf afrikanische WissenschaftlerInnen erzählen von ihrem akademischen Werdegang, ihrer Pionierarbeit und einer Mission, die sie alle eint: Afrika als Kontinent voranzubringen – und dafür auch auf internationaler Ebene Beachtung zu finden.

Neun Friedens- und vier Literaturnobelpreise – davon zwei an weisse SüdafrikanerInnen – fanden seit 1901 ihren Weg nach Afrika. Noch nie schafften es aber schwarze NaturwissenschaftlerInnen aus Subsahara-Afrika, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung zu ergattern.

Derek Ndinteh aus Kamerun will das ändern. Sein Büro an der Uni Johannesburg ist kaum grösser als zwölf Quadratmeter und vollgestopft mit zwei Schreibtischen und Vitrinen voller Flaschen mit Chemikalien. Der Vierzigjährige wirkt von der Enge unbeirrt. Unerschütterlich schreibt er Antrag um Antrag. Es gilt, Forschungsgelder einzuwerben – tägliches Brot für alle WissenschaftlerInnen weltweit. Ndinteh aber will nicht nur forschen. Er will ein Zeichen setzen. «Ich werde den Nobelpreis gewinnen. Ich werde der erste schwarze Nobelpreisträger in Chemie sein.»


Wenn James Ogude Heimweh hat, legt er eine CD von Ochieng Kabaselleh ein und lauscht den Benga-Klängen. «From Nairobi with Love» heisst das Album. «Von kenianischer Musik kann ich nicht genug bekommen», sagt der Professor aus Kenia.

James Ogude (oben links), Esther Akinlabi (oben rechts), Tom Owiyo (mitte links), Derek Ndinteh (Mitte rechts), Shadreck Chirikure (unten).

Ogude ist einer der einflussreichsten Literaturwissenschaftler Afrikas. 1990 kam er nach Südafrika, um an der Uni Witwatersrand in Johannesburg in Literatur zu promovieren – es gab Stipendien für schwarze StudentInnen aus ganz Afrika, von denen nur wenige wussten. Zudem hatte er eine Südafrikanerin geheiratet. Heute ist der Sechzigjährige Vizedirektor am Centre for the Advancement of Scholarship der Uni Pretoria, das die besten AkademikerInnen des Landes anzieht. Zwischendurch erarbeitete er sich einen Professorentitel an der Wits, wie die Universität von Witwatersrand kurz genannt wird, und wurde zum Assistenzdekan gewählt.

In den früheren britischen Kolonien wird Literatur aus Afrika bis heute meist im Fachbereich Englische Literatur erforscht. Ein Erbe des Kolonialismus. Die Wits dagegen verfügte schon Anfang der neunziger Jahre über eine Abteilung Afrikanische Literatur. «Ich habe praktisch allein die Forschung zu ostafrikanischer Populärkultur bei uns eingeführt», sagt Ogude. «Denn um den Puls einer Gesellschaft zu fühlen, muss man sich von den Eliten wegbewegen. Urbane Identitäten, der Kulturaustausch zwischen ländlichen und städtischen Räumen – das ist es, was mich heute wissenschaftlich interessiert.»

Ogude wuchs in einer polygamen Familie im ländlichen Kenia mit sechs Brüdern und fünfzehn Schwestern auf. Sein Vater, ein Gemeinderat, schaffte es stets, die Schulgebühren pünktlich zu zahlen. «Wir sind in einem Umfeld gross geworden, in dem der Mythos der Universität mächtig war.» Für Medizin und Jura reichten seine Noten nicht aus, und so nahm er ein Literaturstudium auf. «Literatur hat mein Bewusstsein auf so vielfältige Weise erweitert, dass ich ihren Wert nie infrage gestellt habe», sagt Ogude rückblickend. «Nach meinem Bachelorabschluss wusste ich: Ich will weiterstudieren.»

Im Lauf der Jahre haben ihm mehrere US-Universitäten Stellenangebote unterbreitet. Er hat sie nie in Betracht gezogen. «Südafrika war sehr gut für meine Karriere. Meine Stelle war gut bezahlt, Forschungsgelder standen zur Verfügung, und die Lebenshaltungskosten waren günstig, während meine Landsleute in den USA finanziell zu kämpfen hatten.» Mittlerweile schwächelt Südafrikas Wirtschaft, und die Forschungsgelder werden knapp, während die StudentInnenzahlen steigen.

Seine AbsolventInnen sind Ogudes ganzer Stolz. «Ich denke, ich habe meinen Beitrag dazu geleistet, die nächste Generation von Wissenschaftlern auszubilden. In Kenia zum Beispiel sind Wits-Alumni an sämtlichen Universitäten zu finden.»

Immer wieder Kenia. Wo ist Ogude zu Hause? «Ich fühle mich sehr mit Südafrika verbunden. Aber es würde mir im Traum nicht einfallen, hier einer Uni vorstehen zu wollen, wie ich das in Kenia könnte.» Subtile Formen von Xenophobie gibt es auch im akademischen Bereich. «Kritik ist hier an den Unis nur Südafrikanern erlaubt.»


Schon als Kind versenkte Esther Akinlabi ihre Hände am liebsten in Sand und Zement und stellte sich vor, wie sie eines Tages als Bauingenieurin Gebäude errichten würde wie ihr Vater. Die Nigerianerin studierte schliesslich Maschinenbau, arbeitete danach im Privatsektor und unterrichtete nebenbei an zwei Universitäten. «Ich hatte schon immer diesen Drang nach Wissen, der mich schliesslich zur Promotion führte», erzählt die Vierzigjährige. «Ich wollte unbedingt Dozentin werden. Dahinein steckte ich meine ganze Leidenschaft.»

Als eine von drei Studentinnen in einem männlich dominierten Fach nutzte Esther Akinlabi früh den Spott ihrer Kommilitonen als Ansporn. Ihr lacht über mich? Dann erst recht. Sie schloss als Beste ihres Jahrgangs ab. «Ich wusste immer, ich muss doppelt so hart arbeiten wie meine männlichen Kollegen. Das hat mich zäh gemacht. Heute lacht mich niemand mehr aus. Ich werde für meine Arbeit respektiert.»

Ein ehemaliger Professor half ihr, sich an der Nelson Mandela Metropolitan Universität (NMMU) in Südafrika zu bewerben. Das Ausland war zu teuer, von Stipendienmöglichkeiten wusste sie nichts, und der Professor schwärmte von der Ausstattung der NMMU. Noch während der Promotionszeit bekam sie 2010 eine Stelle als Dozentin am Institut für Maschinenbau der Uni Johannesburg. Vier Jahre später war sie ausserordentliche Professorin, heute leitet sie das Institut. Akinlabi befasst sich etwa mit Schweisstechniken, durch die Aluminium und Kupfer ohne vorheriges Schmelzen verbunden werden können. Die grösste Befriedigung verschaffe ihr aber die Lehre. «Ich reinvestiere in den Kontinent», sagt die Mutter von zwei Kindern. «Die Tatsache, dass ich in Afrika lehre und meinen Studentinnen und Studenten als afrikanische Frau gegenübertreten kann, hält mich in Schwung.» Studentinnen und Kolleginnen fragen sie oft um Rat. «‹Lass dich von niemandem bemitleiden›, hat mein Vater immer gesagt. Deswegen kümmere ich mich besonders um meine Studentinnen. Meine Tür steht ihnen immer offen.»


Tom Owiyo wollte studieren, weil bei den Nachbarn Licht brannte. Durch die riesigen Panoramafenster seines Büros in der Zentrale der African Development Bank (AfDB) in Abidjan, dem Wirtschaftszentrum der Elfenbeinküste, flutet heute natürliches Licht. Der 45-jährige Banker erinnert sich an seine Kindheit in Kenia. «Bis ich meinen ersten Job hatte, lebte meine Familie in einer Lehmhütte», sagt er. «Wir waren sechs Kinder. Mein Vater war der Dorfschneider, meine Mutter brannte Schnaps – nicht immer legal. Unser Nachbar war Architekt. Er hatte ein grosses Haus mit Stromversorgung. Ich hatte keine Ahnung, was ein Architekt ist, aber von da an wollte ich einer werden.» Es kam dann ein wenig anders: Dank privater Spender sowie zweier Begabtenstipendien hat Owiyo es zur Promotion über Umweltinformationssysteme geschafft. Seit 2009 arbeitet er für die AfDB, wo er zurzeit die Abteilung Klimawandel und Entwicklung leitet.

«Nach meiner Promotion in den USA kehrte ich 2005 sofort nach Kenia zurück», erzählt Owiyo. «Ich wusste, dass meine Chancen auf eine gut bezahlte und interessante Aufgabe günstig waren. Als Afrikaner hielt ich es zudem für wichtig, Arbeitserfahrung auf dem Kontinent zu sammeln.» Die schwierigen Umstände, unter denen er aufwuchs, betrachtet er für seine Arbeit als Vorteil. «Es ist ein Unterschied, wenn Leute einen Kontinent weiterentwickeln, die die Unannehmlichkeiten der Unterentwicklung selbst erlebt haben. Ich bin in einem afrikanischen Dorf aufgewachsen, ich erkenne ein Problem, bevor es jemand in einer Versammlung mit Dörflern anspricht. Ich fühle mich verantwortlich dafür, die Lebensqualität dieser Menschen zu verbessern.»


Die enge Verbindung seiner Arbeit mit der Realität der Menschen in Afrika ist auch für Shadreck Chirikure zentral. Der Archäologe will afrikazentrierte Theorien entwickeln. «Meine Grossmutter im Dorf soll meine Forschung als Teil ihrer Kultur wiedererkennen», sagt er. Deshalb hat er sich entschieden, an einer Universität auf dem Kontinent zu forschen und zu lehren. Dass der Simbabwer auf diese Weise so oft wie möglich «im Feld» sein kann, nennt er einen Situationsvorteil. «Ich kann trotzdem jederzeit nach Europa, in die USA oder sonst wohin fliegen und mit Wissenschaftlern dort zusammenarbeiten. Die Welt ist ein globales Dorf», sagt der 37-Jährige. In seinem Büro an der Uni von Kapstadt sind in einer Vitrine Metallobjekte ausgestellt. Chirikure, der seinen Master wie auch die Promotion am University College London abgeschlossen hat, erforscht Technologien, die früher in Afrika genutzt wurden, und ihren Einfluss auf afrikanische Gesellschaften in den vergangenen 2000 Jahren. Er publizierte über frühen Bergbau und Metallurgie, forschte über den Wert von und den Handel mit Gold, Kupfer und Glas sowie über die Bedeutung ihrer Farben in frühen Gesellschaften.

«Politiker verstehen oft nicht, dass Sozialwissenschaften eine tragende Rolle in der Gesellschaft spielen», sagt Chirikure. «Um Wissenschaft zu verstehen, muss man Menschen verstehen. Meine Forschung soll dazu beitragen, das Leben von Menschen zu verbessern und soziale Probleme zu lösen. Hier in Afrika kann ich den grössten Einfluss darauf nehmen.»

Chirikure wuchs mit vier Geschwistern im ländlichen Simbabwe auf, die Mutter Hausfrau, der Vater Fabrikarbeiter. Er wollte Buchhalter werden, begann dann aber ein Archäologiestudium. Er fand daran Gefallen und konnte dank Stipendien in England weiterstudieren. Um zu zeigen, welche Chancen Bildung eröffnen kann, engagiert er sich an einer Schule inmitten eines Forschungsgebiets im wenig entwickelten Süden Simbabwes. «In Kapstadt mag zur Schule gehen normal erscheinen. Wenn man weit weg von allem ist, dann sind die Vorbilder der Kinder Leute, die über die Grenze nach Südafrika gehen, um auf einer Farm zu arbeiten und mit einem Velo zurückzukommen.» Seine Lehrtätigkeit an der Uni nimmt Chirikure sehr ernst. «Lehren kann Leben beeinflussen. Gerade für Studierende, die wegen ihrer Herkunft benachteiligt sind, ist Bildung eine Chance, es im Leben zu etwas zu bringen.»


Derek Ndinteh ist auf Nobelpreismission, seit seine Lieblingscousine an Diabetes starb. Spezialisiert auf Naturstoffchemie, erforscht er in Afrika heimische Pflanzen: «Die Natur ist das beste Labor.» In seiner Doktorarbeit hat er 47 bis dahin undokumentierte Komponenten beschrieben, die gegen Diabetes wirken. An der Universität Johannesburg hat Ndinteh ein Umfeld gefunden, das ihm den Weg zur Preisverleihung in Schweden ebnet, davon ist er überzeugt. «Die meisten meiner Schulfreunde sind zum Studieren in die USA gegangen. Ich werde ihnen beweisen, dass in Afrika gute Wissenschaft gemacht werden kann, die die Welt beeinflusst.»