Kommentar von Dinu Gautier und Susan Boos: Angst in der Unia

Nr. 38 –

Unia-Präsidentin Vania Alleva verspricht eine neue Betriebskultur – und setzt auf Leute, die für die alte stehen.

Sexuelle Belästigung, Machtmissbrauch, Vertuschungsversuche – am vergangenen Freitag, einen Tag nachdem die WOZ ausführlich über interne Missstände berichtet hatte , wurde der Druck zu gross: Unia-Präsidentin Vania Alleva stellte sich den Medien. Sie räumte Fehler im Umgang mit dem Fall Roman Burger ein, verkündete dessen Freistellung und sagte Entscheidendes: «Die Kritik hat viel mit der Unternehmenskultur zu tun, hier müssen wir über die Bücher.»

Meint es Alleva ernst – und selbst kritische Leute der Unia-Basis nehmen ihr das ab –, erwartet sie viel Arbeit. Die grösste Herausforderung steckt in der Machtfrage. Eine Organisation, die auf charismatische Führungsfiguren setzt und eine starke Machtkonzentration begünstigt, ist extrem verletzlich – einerseits weil Macht missbraucht werden kann, andererseits weil man vor Ruinen steht, wenn der Machthaber weg ist. Ein solches Modell hat keine emanzipatorische Strahlkraft.

Vielmehr zersetzt es die Glaubwürdigkeit. Das bekommt die Unia jetzt zu spüren. Die eigenen Widersprüche lassen sich nicht länger wegretuschieren: Die GewerkschafterInnen sollen in den Betrieben die Beschäftigten befähigen, Widerstand von unten zu bilden, während sie selber unter einem strengen Top-down-Regime stehen.

Alleva will nun mit der Unia-eigenen Personalkommission (Peko) eine Charta für Führungskultur ausarbeiten. Dabei hat sie es sich gerade mit der Peko verdorben: Ein Peko-Mitglied hatte im Zusammenhang mit Kritik am Umgang mit dem Fall Burger eine Verwarnung erhalten. Das ist eine härtere Sanktion, als für Burger vorgesehen war. Vor zwei Wochen kündigte die Peko die Zusammenarbeit mit der Unia-Spitze auf.

Am Dienstag hat die Peko nun formuliert, unter welchen Bedingungen sie wieder für eine Zusammenarbeit zu haben wäre: Sie fordert unter anderem «Zeit und Schutz» für ihre Tätigkeit, ein Ende «der Repressionen» und das Recht, das Personal selber informieren zu dürfen. Es ist befremdend, dass eine Gewerkschafts-Peko überhaupt solche Forderungen stellen muss.

Dass innerhalb der Unia ein Klima der Furcht herrscht, ist auch sonst unübersehbar: Manche Unia-Angestellte sind derzeit sehr vorsichtig, mit wem sie sich in der Öffentlichkeit sehen lassen, andere versenden Handynachrichten nur noch über eine App, die die gelesenen Nachrichten automatisch vernichtet. In einer solchen Atmosphäre kann keine neue Betriebskultur gedeihen. Und selbst wenn die Peko wieder mit Alleva und Co. zusammenarbeiten sollte, besteht die Gefahr, dass die versprochene Charta für die Schubladen geschrieben wird.

Alleva müsste offen auf alle MitarbeiterInnen zugehen und sie ernsthaft mitgestalten lassen. Wenn ein solcher Mitbestimmungsprozess redlich ist, kann aber niemand vorhersagen, was dabei entstehen wird – und genau das widerspricht dem Selbstverständnis der Unia-Geschäftsleitung. Sie agiert nach der Maxime: Entscheidungen fällen, Fakten schaffen und dann so tun, als gäbe es demokratische Mitbestimmung. Geschäftsleitungsmitglied Nico Lutz soll diese Taktik besonders gut beherrschen. Er gehört zu den mächtigen Leuten in der Unia-Zentrale und ist mitverantwortlich für das Desaster in Zürich.

An der Medienkonferenz stellte sich Alleva demonstrativ vor Nico Lutz. Offenbar will sie den Wandel mit den Leuten angehen, die für den Status quo stehen. Ob das gut kommt?

Klar ist: Wenn sich die Kultur nicht ändert, wird die Unia in einem noch grösseren Desaster enden. Doch wenn sie sich bewegt, gibt es viel zu gewinnen. Diese Gewerkschaft verfügt über ein phänomenales Reservoir an klugen, hoch motivierten, jungen MitarbeiterInnen, die darauf warten, die Unia noch stärker zu machen. Sie wollen aber gefördert und nicht verheizt werden.

Auch wenn einige von ihnen vielleicht lästig waren: Vania Alleva täte gut daran, jene mutigen MitarbeiterInnen jetzt mitbestimmen zu lassen, die in den letzten Wochen eindrücklich bewiesen haben, dass sie entschlossen sind, für eine bessere Gewerkschaft zu kämpfen.