Spanische Politik: Wählen lassen bis zur Erschöpfung

Nr. 38 –

Mit dem Bilden von Koalitionen sind die spanischen Parteien überfordert. Lieber spekulieren sie auf noch eine Wahl – an Weihnachten oder in zwei Jahren.

Am kommenden Sonntag wird in Spanien wieder einmal gewählt. Zwar nur in den beiden autonomen Regionen Galicien und Baskenland, aber dennoch hat man das Gefühl, dass das Land im endlosen Wahlkampf steckt. Seit dem Frühjahr 2015 sind Spaniens Parteien auf Stimmenfang: erst für das andalusische Regionalparlament, dann für die Rathäuser in ganz Spanien; es folgten weitere Regionalwahlen und gleich zwei für das gesamtspanische Parlament. Zu einer Regierungsbildung ist es dort bisher trotzdem nicht gekommen. Jahrzehntelang hat in Spanien entweder der sozialdemokratische Partido Socialista Obrero Español (PSOE) oder der rechte Partido Popular (PP) regiert. Mit der linken Podemos und den wirtschaftsliberalen Ciudadanos ist das Spektrum bunter geworden und erfordert Koalitionen. Damit aber sind die Parteien ganz offensichtlich überfordert.

Planspiele ohne Sánchez

Die Regionalwahlen in Galicien und dem Baskenland würden den Rest Spaniens kaum interessieren, wäre da nicht die Möglichkeit, dass deren Ergebnis nun Einfluss darauf hat, ob im Dezember zum dritten Mal das landesweite Parlament gewählt wird. Die voraussichtlichen Wahlsieger – in Galicien traditionell der PP, im Baskenland der bürgerlich-nationalistische Partido Nacionalista Vasco (PNV) – interessieren dabei weniger als das Abschneiden des PSOE. Laut Umfragen wird dieser in beiden Regionen empfindliche Verluste erleiden, und das kann Generalsekretär Pedro Sánchez den Job kosten. Seit Monaten wird der PSOE-Vorsitzende in den eigenen Reihen kritisiert, weil er unter allen Umständen verhindern will, dass der PP weiterregiert. Dafür würde er auch einen Regierungspakt mit der Empörten-Partei Podemos eingehen, was viele Parteigrössen ablehnen. Sie unterstellen, Podemos trete für das Selbstbestimmungsrecht in Katalonien ein und wolle somit Spanien zerschlagen. Tatsächlich aber geht es ihnen darum, dass sich der PSOE in einer Koalition mit Podemos nicht mehr als wahre Vertretung der Linken präsentieren könnte. Die Sánchez-GegnerInnen wollen lieber eine rechte PP-Minderheitsregierung tolerieren und sich in der Opposition profilieren, um dann in vielleicht zwei Jahren über ein Misstrauensvotum und mit einer anderen Parteispitze Neuwahlen zu erzwingen.

Sánchez soll in diesem Szenario durch Susana Díaz ersetzt werden, regionale Regierungschefin von Andalusien und eine Vertraute des immer noch einflussreichen Felipe González. Unter dem ehemaligen Parteichef und Ministerpräsidenten der Jahre 1982 bis 1996 entwickelte sich der PSOE von einer sozialistischen zu einer sozialdemokratischen Partei. Seine Regierung rief zudem die paramilitärische Todesschwadron Gal ins Leben, die von 1983 bis 1987 in Spanien und Frankreich 28 BaskInnen ermordete, die sie dem Umfeld der Eta zuordnete.

Dass Podemos-Chef Pablo Iglesias den PSOE im Frühjahr an diese blutige Geschichte erinnerte, empörte nicht nur González und machte Koalitionsgespräche kompliziert. Auch bei Podemos wurde darüber gestritten. Nicht alle Sympathisantinnen und Aktivisten sind mit der Entwicklung einverstanden, die die Partei in ihrer kurzen bisherigen Existenz durchgemacht hat: Anfang 2014 noch ein linkes und basisdemokratisches Projekt, ist Podemos heute eine Partei mit einer einsam entscheidenden Führungsspitze, die sich sozialdemokratisch gibt, um WählerInnen der Mitte zu gewinnen. Vor allem die Antikapitalistische Linke (IA), ein gewichtiges Gründungselement von Podemos, lehnt diesen Prozess ab.

Sánchez bemüht sich zwar weiter um einen Konsens mit Podemos. Er braucht für eine regierungsfähige Mehrheit aber auch die junge liberale Partei Ciudadanos. Weil diese den sozial- und wirtschaftspolitischen Gegenpol von Podemos darstellt, ist eine Dreierkoalition für die beiden Parteien ein Ding der Unmöglichkeit.

Genauso wenig ist mit dem derzeitigen Personal eine grosse Koalition aus PP und PSOE möglich. Zum einen können sich PSOE-Chef Sánchez und PP-Chef Mariano Rajoy nicht ausstehen, zum anderen hat der PP in seinen drei Regierungsperioden alle wichtigen Entscheidungen ohne Absprachen stets im Alleingang gefällt.

Nichts geht ohne Rajoy

Zwar bemüht sich der PP, mehr junge und von den vielen Korruptionsskandalen unberührte PolitikerInnen ins Rampenlicht zu schieben. Eine tatsächliche Erneuerung aber ist nicht absehbar: Im PP wird der Parteichef nicht gewählt, sondern vom Vorgänger ernannt. Sollte sich – womit niemand rechnet – Rajoy zurückziehen, läge es allein an ihm, seine Nachfolge zu bestimmen.

Rajoys Kalkül dürfte ein anderes sein: Bislang konnte sich der PP bei nationalen Wahlen immer auf sieben bis acht Millionen Stimmen verlassen, egal was passiert war. Mit diesem sicheren Polster im Rücken profitiert Rajoy von der wachsenden Wahlmüdigkeit der SpanierInnen. Er will deshalb am Weihnachtstag zum dritten Mal in diesem Jahr wählen lassen. Je geringer dann die Wahlbeteiligung ausfällt, desto grösser wird die Chance, dass die Stimmen der treuen StammwählerInnen des PP für eine weitere Amtszeit von Rajoy reichen.