Von oben herab: Jeder Schuss ein Treffer

Nr. 38 –

Stefan Gärtner über Sprengstoff im Vorgarten

Gärtner & Nagel waren vor zehn Jahren das berühmteste, freilich auch berüchtigtste Humoristenduo auf der Gehaltsliste von «Titanic»; heute schreibt der eine immer noch Witze (fürs Fernsehen), der andere über Witze (z. B. aus der Schweiz). Doch wenn der eine beim anderen zu Besuch ist, fliegen immer noch sofort die Löcher aus dem Käse (Emmentaler)!

In einer Aargauer Rekrutenschule sind jetzt mehrere Kilogramm Sprengmittel verschwunden, aber nur vielleicht: «Die Armee weiss gar nicht, ob der Sprengstoff tatsächlich verschwunden ist», staunt die «Aargauer Zeitung» und zitiert einen Armeesprecher: «Es könne sein, dass ein Fehler beim Führen des Inventars vorliege. Es sei aber auch ein Verlust oder ein Diebstahl denkbar. Die Militärjustiz ermittle in alle Richtungen.» Das soll sie mal; wenn es auch Zivilisten wie mir schwer einleuchtet, wie etwas nur vielleicht verschwunden sein kann. Sachen sind da, oder sie sind nicht da; beides kann nur Schrödingers Katze (Physik/Wikipedia), die aber nicht bei der Schweizer Armee dient, etwa bei einer Streichel-Einheit oder als Mieze im Offizierscasino …

Politischer «Sprengstoff», keine Frage; oder, für unsere (älteren) Leserinnen und Leser in der Westschweiz: la Boum. «Um wie viel Kilogramm es sich genau handelt? ‹Da gehen wir nicht ins Detail›, sagt Armeesprecher Daniel Reist auf Anfrage der ‹az›. Um was für Sprengstoff es sich handelt? ‹Das wissen wir noch nicht›, antwortet er. Die Militärjustiz habe die Untersuchung des Sachverhalts umgehend eingeleitet», damit die Schweizer Militärjustiz endlich erfährt, ob etwas fehlt, was genau und, wenn ja, wie viel. Mag sein, die Schweizer Armee ist «die beste Armee der Welt» (Ueli Maurer); dass sie selbstständig einen Einkaufszettel für den Wochenendeinkauf zu schreiben in der Lage ist, muss gleichwohl bezweifelt werden.

Derweil haben Rekruten in Thun laut 20min.ch bei einer Waffenfunktionskontrolle «unabsichtlich auf bewohntes Gebiet» geschossen. «Dort schlug am 30. August ein Schuss eines Panzer-Maschinengewehrs in eine Wohnung.» Eine Anwohnerin war geschockt: «Hier wohnen sehr viele Kinder. Gerade darum darf so etwas einfach nicht passieren.» Die Armee hat sofort reagiert und prüft die Verlegung des Thuner Waffenplatzes in die Nähe eines Kindergartens: «Dort wohnen die Kinder ja nicht», so ein möglicherweise betrunkener General, der seinen Namen («Hitler») nicht in der Zeitung lesen will.

Doch Fragen im Thuner Strättligen-Quartier bleiben, z. B. nach der Eignung von Rekruten; wo es doch schliesslich auch «militärische Kader ab Stufe Fourier/Feldweibel» gibt, die sich laut «Tages-Anzeiger» an der Universität Zürich ihren Waffendienst als ECTS-Punkte anrechnen lassen können, wenn auch nur in Wirtschaftswissenschaften und Informatik – was nichts als unfair ist, denn auch in Germanistik («Die Ästhetik des Widerstands») oder Anglistik («Die lustigen Feldweibel von Windsor»), Agrarwissenschaft (Flurbereinigung) oder Medizin (Bauchschuss) lassen sich interdisziplinäre Effekte doch wohl erzielen.

Und schliesslich stimmt das Schweizervolk am Sonntag über das Nachrichtendienstgesetz ab, dessen Kernstück die sog. Kabelaufklärung ist; und da muss ich aber fragen: Kabelaufklärung? Hiess das nicht früher einfach RTL 2?

Schütze Nagel sitzt derweil schon wieder im Zug (vierte Kompanie). Drückeberger!

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.