Die Gastgeberin: «Ich baue meine Sprachkenntnisse aus und Vorurteile ab»

Nr. 40 –

Sylvia Fellmann empfängt Menschen aus aller Welt. Für den Profit ganze Wohnungen unterzuvermieten, findet die Airbnb-Gastgeberin aber unfair.

Sylvia Fellmann

Vor der Ankunft ihrer Gäste steht Sylvia Fellmann jeweils vor dem Lift und wartet. Die Dachterrassenwohnung liegt im sechsten Stock, der Lift führt direkt in die Wohnung. Wenn sich die Lifttür öffnet, stehen die Gäste bei Fellmann im Flur. «Da muss ich mich in kürzester Zeit auf die Leute einstellen», sagt Fellmann. «Wenn sie zum Beispiel sehr kommunikativ sind, bin ich das auch, wenn nicht, dann halte ich mich zurück.» Das sei zwar anspruchsvoll, mache das Ganze aber erst richtig spannend. Zur Routine geworden sei hingegen das ewige Putzen zwischen Abreise und Ankunft der Gäste.

Die 59-jährige Baslerin ist Gastgeberin beim Onlineportal Airbnb, dessen Mitglieder weltweit private Unterkünfte buchen und auch selbst Zimmer vermieten können. An Fellmanns Kühlschrank kleben Postkarten, auf den zwei Dachterrassen stehen viele Pflanzen, die Wohnung ist bunt eingerichtet. «Eigentlich bin ich immer gereist», sagt sie, nach Lateinamerika, Asien und in den Balkan. Einmal im Jahr fährt sie nach Kuba, zuletzt war sie in Kambodscha. Fellmann spricht sechs Sprachen, darunter Norwegisch, Spanisch und Hebräisch. In ihren Zwanzigern half sie als Freiwillige in einem Kibbuz, später lebte sie nochmals in Israel – insgesamt rund sechs Jahre.

Zürcher FC-Basel-Fan

Vor viereinhalb Jahren buchte sie über Airbnb ein Zimmer in Wien, seit drei Jahren ist sie nicht nur Gast, sondern auch Gastgeberin. Auf die Idee, das Zimmer auf Airbnb unterzuvermieten, kam Fellmann, nachdem ihre Tochter von zu Hause ausgezogen war. Diese fand das gut, und so erweiterte Fellmann noch in derselben Nacht ihr Profil und lud Fotos von der Wohnung im Kleinbasel hoch. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, hatte sie bereits eine Buchungsanfrage und zwei Nachrichten von Interessierten.

Inzwischen ist Fellmann ein sogenannter Superhost, das heisst, sie hat über achtzig Prozent Fünfsternebewertungen, antwortet innerhalb von 24 Stunden auf Anfragen und hat nie eine bereits bestätigte Buchung wieder storniert – «die Todsünde auf Airbnb». Den Preis für das Zimmer kann sie selbst festlegen: 73 Franken kostet eine Nacht – Frühstück, Kurtaxen und ÖV-Ticket inbegriffen.

Die Baslerin ist bei einem internationalen, aber kleinen wissenschaftlichen Verlag angestellt und arbeitet von ihrer Wohnung aus. «Die Gäste bringen Abwechslung, wenn ich tagsüber alleine am Arbeiten bin», sagt sie. Neben TouristInnen zählen dazu auch Geschäftsleute von Novartis, StudentInnen oder einmal ein weiblicher Zürcher FC-Basel-Fan. Im Sommer hat Fellmann mehr Anfragen als im Winter, und während der Art Basel im Juni sei die ganze Stadt ausgebucht.

Wenn aus Gästen Nachbarn werden

Ihr diesjähriger Kunstmessebesucher bewege sich in Hollywood unter den Stars, erzählt sie. Davon wusste sie zuerst aber nichts. «Ich google meine Gäste vorher nicht. Ich will wirklich unvoreingenommen sein.» Nur die Bewertungen von anderen Airbnb-GastgeberInnen schaut sich Fellmann an. Wenn es bei jemandem im Profil zum Beispiel heisst, er habe ein Zimmer sehr dreckig hinterlassen, lehnt sie ab. Das Bewertungssystem biete ihr eine gewisse Sicherheit – gerade als Frau, die alleine wohne und das Zimmer auch an Männer vermiete.

Da Airbnb eine Servicegebühr für die Vermittlung verlangt, werden vor der ersten Buchung jegliche privaten Angaben blockiert. «Sie wollen ja nicht, dass die Gäste selbst etwas abmachen und Airbnb umgehen», sagt Fellmann. Die meisten ihrer Gäste bleiben Gäste, aber «manche reisen auch als Freunde wieder ab». Ihr allererster Gast wurde sogar zu ihrem Nachbarn einen Stock tiefer.

Kulturaustausch im Vordergrund

«Ich mache das sehr gerne», sagt sie. Natürlich spiele das Geld schon auch eine Rolle, zumindest eine Nebenrolle. «Ich habe eine relativ teure Wohnung und bin froh, dass ich etwas dafür bekomme – wahrscheinlich würde ich sie mir sonst nicht mehr leisten können.» Die Baslerin findet es aber unfair, wenn Airbnb-Mitglieder ganze Wohnungen mieten, um die Zimmer auf dem Onlineportal unterzuvermieten. Die relativ günstigen Wohnungen verschwinden so vom Markt und werden indirekt der lokalen Bevölkerung weggenommen. «Das ist nicht richtig», sagt Fellmann. «Es soll ja in erster Linie ein Kulturaustausch sein. Ich lerne Leute von überall auf der Welt kennen, baue meine Sprachkenntnisse aus und Vorurteile ab.»

Wenn sich der Lift zur Dachterassenwohnung diese Woche öffnet, wird ein Paar auf Hochzeitsreise dastehen. Es sind nicht die ersten frisch Vermählten, die Sylvia Fellmann beherbergt. Sie legt dann jeweils ein rotes Plüschkissen in Herzform aufs Bett und stellt eine Flasche Prosecco dazu.

Airbnb in der Schweiz : Selbst die Hotellerie will mitmachen

Die Wohnungsplattform Airbnb wächst auch in der Schweiz rasant: Das Unterkunftsangebot hat sich seit Mai 2014 mehr als verdreifacht auf über 24 000 Unterkünfte im August 2016. Nachdem das Angebot an privaten Übernachtungsmöglichkeiten zuerst in Städten und dann in Tourismusregionen wie dem Wallis und Graubünden anschwoll, deckt es mittlerweile die ganze Schweiz ab. Das zeigt eine Mitte September veröffentlichte Studie des Walliser Tourismus-Observatoriums, die 75 bis 85 Prozent des Airbnb-Angebots erfasst. Hochburgen sind die Messestadt Basel und das Wallis, wo bereits 42 Airbnb-Betten auf 100 Hotelbetten kommen.

Der Hotellerieverband ist ob der wachsenden Konkurrenz besorgt, hat im Mai seinen Mitgliedern aber einen Strategiewechsel empfohlen: «If you cannot beat them – join them», heisst es in einem Merkblatt, das Hotels mit Tipps und Tricks zur Vermarktung ihres Angebots auf Airbnb ermuntert. Noch tummeln sich in der Schweiz nur wenige kommerzielle Anbieter von drei oder mehr Angeboten auf der Plattform – zusammen verwalten sie aber bereits fast ein Viertel aller Airbnb-Unterkünfte. Und Start-ups wie das Zürcher Guest Ready, das VermieterInnen auf Airbnb allen Aufwand wie Kommunikation, Schlüsselübergabe und Putzen abnimmt, sorgen für eine weitere Kommerzialisierung. Besorgt ist man ob des explodierenden Airbnb-Angebots vor allem in den Städten, weil das den Wohnungsmarkt für Einheimische noch stärker austrocknet und die Preise in die Höhe treibt, wie etwa Erfahrungen aus Berlin zeigen.

Erste Schweizer Städte haben bereits mit rechtlichen Massnahmen reagiert: In Bern und ab 2017 auch in Basel müssen Airbnb-Gäste zumindest Kurtaxen entrichten. Möglich sind auch Schritte wie in Berlin, wo sich registrieren muss, wer eine Unterkunft auf Airbnb anbietet, und es seit Mai verboten ist, ganze Wohnungen oder gar mehr als ein Objekt auf der Plattform anzubieten. Zwar greifen die Kontrollmechanismen noch nicht wirklich, aber das Angebot kommerzieller Anbieter hat sich seither mehr als halbiert.

Franziska Meister