Fussball und andere Randsportarten: Crush your Pumpkin

Nr. 40 –

Etrit Hasler freut sich über einen Star seiner Jugend, der zum Wrestling gefunden hat

Man sagt, die Kindheit sei erst dann vorbei, wenn all ihre Illusionen vollständig zerstört seien. Dass der Samichlaus und das Christkind echt sind, zum Beispiel. Ebenso wie Wrestling. Oder dass aus all den aufstrebenden MusikerInnen der neunziger Jahre doch noch grosse KünstlerInnen werden. Zum Beispiel die Red Hot Chili Peppers.

Das ist natürlich Quatsch. Erstens sind die neunziger Jahre noch nicht tot, solange es die Bands Nine Inch Nails und Guns N’ Roses noch gibt, und zweitens ist Wrestling selbstverständlich echt. Nicht echt im Sinn von mutierten Fleischbergen, die sich so lange auf die Mütze geben, bis einer umfällt und irreparable Hirnschäden davonträgt (das wäre Boxen), aber definitiv echt in Bezug auf die sportliche Leistung. Vielleicht gerade weil es inszeniert ist.

Wrestling hatte seine grossen Zeiten in den neunziger Jahren. Figuren wie Hulk Hogan und der Ultimate Warrior füllten Stadien mit Zehntausenden von Fans – der grösste Wrestlingevent aller Zeiten fand 1995 statt: die «Collision in Korea», prosaischer auch bekannt als das «Pyongyang International Sports and Culture Festival for Peace». Ja, Sie haben richtig gelesen. Wrestling in Nordkorea. Vor 165 000 ZuschauerInnen.

Organisiert wurde der Event von der damals zweitgrössten Liga der Welt, der World Championship Wrestling (WCW). Diese stand während der Hochphase des Wrestlings zwar meist im Schatten ihrer US-Schwesterliga WWF (heute WWE, nachdem ihr ein paar Pandastreichler das Kürzel streitig gemacht hatten), und das, obwohl die WCW mit viel komplexeren Storylines und Experimenten aufwarten konnte – zum Beispiel der «New World Order», die aus dem «All-American» Hulk Hogan zum ersten Mal einen «Heel», also einen Bösewicht, machte. Und Promis wie den Basketballer Dennis Rodman oder Talkmaster Jay Leno in den Ring brachte.

Mit der Abnahme der Popularität des Sports konnte sich die WCW nicht mehr halten – 2001 wurde sie an die Konkurrenzliga WWE verkauft. Ein paar unzufriedene Wrestler, darunter Jeff «Double J» Jarrett, gründeten ein Jahr später die Nachfolgeliga Total Nonstop Action (TNA). Ganz im Geist des Vorgängers versuchte sich TNA immer wieder an Experimenten: sechseckigen Ringen, dem mexikanischen Wrestling entlehnten Masken und viertelstündigen, filmisch inszenierten Soapopera-Sequenzen.

Insbesondere bediente sich TNA immer wieder an ehemaligem WWE-Personal: Bob Backlund, Hulk Hogan, «Mister Perfect» Curt Hennig, Sting, Dusty Rhodes, Ric Flair, Jake «the Snake» Roberts, Jim «Hacksaw» Duggan, Kevin «Diesel» Nash, «Rowdy» Roddy Piper, Scott «Razor Ramon» Hall oder auch Paul Bearer – die Liste derjenigen, die bei TNA in den letzten zehn Jahren unter Vertrag standen, liest sich wie ein Who’s who der neunziger Jahre.

Im Sommer dieses Jahres akquirierte die Liga noch einen Star dieses Jahrzehnts: Billy Corgan, Frontmann der Melodic-Grunge-Band Smashing Pumpkins, wurde feierlich als der neue Präsident der Liga vorgestellt. Wobei der Job eines Wrestlingpräsidenten eben auch darin besteht, sich im Ring mit seinen Angestellten zumindest verbal zu duellieren. So war eine der ersten Amtshandlungen Corgans, dass er den amtierenden Champion James Storm vor laufender Kamera suspendierte, nachdem dieser ihm angedroht hatte, «seinen Pumpkin zu crushen».

Was auf den ersten Moment absurd klingt, passt wie die Faust aufs Auge oder vielleicht eher wie der dicke Hals in den «Sleeper hold», eine Art Wrestling-Schwitzkasten. Corgans Musikerkarriere liest sich ohnehin schon wie eine Wrestling-Storyline: Im Wohnzimmer Songs aufgenommen, internationaler Durchbruch, danach Drogensucht und dann Abtauchen in die Esoterik mit Albumtiteln wie «Teargarden by Kaleidyscope» und dazwischen immer höchst öffentlich ausgetragene Fehden mit all seinen Mitmusikern und Affären, wie zum Beispiel Courtney Love. Rückblickend muss man sich die Frage stellen, ob das vielleicht auch alles inszeniert war. Zumindest hat die Wrestlingwelt noch einmal einen Star aus «ihrem» Jahrzehnt zurück.

Etrit Hasler wurde unzweifelhaft in den neunziger Jahren kulturell geprägt. Er mag Pokémon, Star Trek TNG, Wrestling, Mario Kart 64, Cartoon Network und den Macarena.