Rechtsextremismus in Finnland: Toter Passant, falsche «News», Soldaten Odins

Nr. 40 –

Der gewaltsame Tod eines jungen Mannes am Rand einer Neonazikundgebung in Helsinki schockiert das ganze Land.

Es war ein äusserst brutaler Angriff: Am 10. September attackierten Neonazis am Rand einer Kundgebung in der finnischen Hauptstadt den 28-jährigen Jimi Karttunen, weil er sie provoziert haben soll. Sie traten ihn in Kopf und Bauch und verletzten ihn so schwer, dass er wenige Tage später starb. Zwar hatte es schon früher ähnliche Angriffe gegeben, doch die tödliche Gewalt versetzte das ganze Land in Schock und löste heftige Debatten aus. PolitikerInnen praktisch aller Parteien verurteilten die Tat, nur die rechtspopulistische Perussuomalaiset (Die Wahren Finnen) hielt sich mit Äusserungen zurück. Am 24. September versammelten sich Tausende FinnInnen im ganzen Land zu Kundgebungen gegen Rassismus.

Derweil nahm die Polizei den mutmasslichen Haupttäter fest: ein führendes Mitglied der Neonaziorganisation Finnische Widerstandsbewegung (SVL), die auch in anderen nordeuropäischen Ländern Ableger hat. Dass sich die rechtsextreme Propaganda im öffentlichen Raum in Gewalt entlädt, dürfte nur wenige überraschen. Immer offener waren rechtsextreme Positionen in den Medien zuletzt diskutiert worden. Und in den sozialen Netzwerken nehmen die Hasstiraden, vor allem gegen Flüchtlinge, weiter zu.

Rassistische Bürgerwehren

Rechtsextreme Bewegungen gibt es in Finnland schon lange; besonders grossen Einfluss hatten sie in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen. Im Gegensatz zu damals bildet die extreme Rechte heute jedoch keine geschlossene Front mehr, vielmehr zerfällt sie in viele kleinere Gruppierungen. Die Finnische Widerstandsbewegung mit ihren rund hundert Mitgliedern spielt dabei zwar eine marginale Rolle; weil sie in der rechtsextremen Szene gut vernetzt ist, ist sie dennoch nicht zu unterschätzen.

Engen Kontakt pflegt die SVL etwa zu den Soldiers of Odin, einer rassistischen Bürgerwehr, die in ganz Nordeuropa aktiv ist. Im Oktober 2015 von einem führenden SVL-Mitglied gegründet, haben die Soldiers of Odin eigenen Angaben zufolge 600 Mitglieder in rund zwei Dutzend Zellen im ganzen Land. Auch wenn die Zahl vermutlich übertrieben ist: Die Unterstützung für die Bürgerwehr scheint grösser zu sein – zumindest im Internet: Ihre Facebook-Seite gefällt über 46 000 Personen.

Beide Gruppierungen sollen wiederum mit den BetreiberInnen der rechtsextremen Website «MV-lehti» in Verbindung stehen, die unter anderem erfundene Meldungen über Flüchtlinge in Umlauf bringt und Verleumdungskampagnen gegen JournalistInnen fährt. Die Website gibt sich als «alternatives Nachrichtenportal» aus und kanalisiert mit rassistischer Propaganda erfolgreich den steigenden Unmut der Bevölkerung. Inzwischen hat auch die finnische Justiz Ermittlungen gegen den «Chefredaktor» aufgenommen. Ihm wird unter anderem «Aufstachelung zu Diskriminierung oder Hass» vorgeworfen.

Unmut über Flüchtlinge

Wie in anderen Ländern Europas führen wirtschaftlicher Stillstand und soziale Marginalisierung auch in Finnland zu rassistischen Ressentiments unter denjenigen, die sich benachteiligt fühlen (und es teilweise auch sind). Die rechte Regierungskoalition, der auch die Wahren Finnen angehören, hat die Staatsausgaben radikal gekürzt und so die soziale Ungleichheit weiter gesteigert. Und wie auch in anderen Ländern müssen die Flüchtlinge als Sündenbock herhalten: In Finnland leben 5,5 Millionen Menschen, 2015 kamen 32 000 Flüchtlinge ins Land. Dennoch glauben die AnhängerInnen der RechtspopulistInnen, dass die «Konkurrenz aus dem Ausland» ihnen die Arbeit wegnehme.

Mit ihren konservativen Wertvorstellungen und einer nationalistischen Anti-EU-Propaganda konnten die Wahren Finnen bei den Wahlen im vergangenen Jahr dieses politische Protestpotenzial bündeln und wurden zweitstärkste Kraft im Parlament. So scharten sie ganz unterschiedliche WählerInnen um sich: neben konservativen ArbeiterInnen, die auf der Suche waren nach einer «Arbeiterbewegung ohne die Linke», auch fremdenfeindliche ExtremistInnen. Der Kampf um wirtschaftliche Ressourcen und soziale Gerechtigkeit wird dabei ersetzt durch brachiale Identitätspolitik.

Parteichef (und Aussenminister) Timo Soini bemühte sich darum, seine Partei für ehemals verfeindete Fraktionen und die extreme Rechte zu öffnen – mit dem Ergebnis, dass Letztere seither die Agenda der Partei für sich vereinnahmt hat. Das neue politische Klima spiegelt sich auch im öffentlichen Diskurs: Hassreden, Drohungen und sexuelle Belästigung sind in den Internetdebatten Alltag geworden.

Anlass zur Hoffnung

Die Regierungseinbindung hat die Wahren Finnen derweil Stimmen gekostet. Zuletzt brach die Zustimmung massiv ein – von knapp achtzehn Prozent bei den letzten Parlamentswahlen auf acht Prozent gemäss aktuellen Umfragen.

Und auch die Proteste vom 24. September geben Anlass zur Hoffnung: Tausende Menschen strömten in ganz Finnland auf die Strasse, um ihre Ablehnung gegen Rassismus und fremdenfeindliche Propaganda zu demonstrieren. Bei der Gegendemonstration der Rajat-Kiini-Bewegung («Schliesst die Grenzen»-Bewegung) versammelten sich lediglich dreissig bis vierzig FremdenfeindInnen.

Aus dem Englischen von Anna Jikhareva.