Von oben herab: Fett schwimmt oben

Nr. 41 –

Stefan Gärtner über die Klage eines HSG-Zöglings

Diese Geschäftsidee bitte als meine betrachten: die Gründung eines Buchverlags für Kinder im Trotzalter, Verlagsname: Nein & Aber. «Dafür geben sie einem so viel zurück», grinst der kinderlose Freund, der zu Besuch ist, mit kumpelhafter Ironie, und ich sage, dass das stimmt, so abgefrühstückt es klingt.

Wer nehmen will, muss freilich erst mal geben, und das fand jetzt auch ein Student der Hochschule St. Gallen, der seinen Vater auf monatlich 1830 Franken verklagt hat, damit er, der Student, nicht mehr von Wittenbach, wo er bei der Mutter wohnt, oder dem Vater in Romanshorn aus pendeln müsse. Es sei ihm dieser Weg nicht zuzumuten. Bezirks-, Ober- und letztlich Bundesgericht fanden, dass freilich doch, wobei das Bundesgericht einfach auf sbb.ch nachsah: Die einfache Fahrt dauert wohl lediglich «plus/minus 20 Minuten» (20minuten.ch, die müssen es wissen!), also etwa so lang wie die durchschnittliche Velofahrt von der Bude in den Hörsaal eben auch.

Jetzt kann man freilich finden, dass es sich hier um ein Paradeexemplar von Sohn handele, den zu enterben und von der Liste der erwünschten Personen zu streichen der Vater bitte schleunigst zu erwägen habe. Man kann aber auch mal wieder bei Meister Adorno nachsehen und lesen, dass in Gesellschaften wie den unseren Freiheit und Unverschämtheit auf dasselbe hinauslaufen. Denn eigentlich erweist sich der Student ja bloss als einer, der nicht zufällig in St. Gallen studiert, dieser «Kaderschmiede der Wirtschaftselite» (thurgauerzeitung.ch), deren neoliberal orientierte Kundschaft sich schliesslich, wie die HSG selbst findet, «durch hohe Eigeninitiative und aussergewöhnliches Engagement» auszeichnet und später darin brillieren wird, mit minimalem Einsatz maximalen Gewinn zu erzielen.

Dass derlei auch mal schiefgeht («Die Gerichtskosten von 2000 Franken muss der HSGler selber begleichen», «20 Minuten»), sollen die Youngsters ruhig lernen, auch wenn im richtigen Leben Verluste sozialisiert und also über die Allgemeinheit abgerechnet werden dürfen.

Die Reaktion des gesunden Kommentarspalten-Volksempfindens als eine ad hominem («frech», «scheusslich», «unbegreiflich») kann man sich denken; aber um mal von einer möglicherweise gestörten Vater-Sohn-Beziehung abzusehen, von der sogleich ein Psychologe sprach, beweist die vorderhand so unbegreifliche Klage nur, was der Frankfurter Soziologe Oliver Nachtwey in seinem empfehlenswerten Buch «Die Abstiegsgesellschaft» festgestellt hat: dass sich die sogenannte Leistungsgesellschaft da in die Tasche lügt, wo sie eine Meritokratie zu sein vorgibt, also eine Herrschaft der Besten.

Tatsächlich sind Einsatzbereitschaft und Fähigkeiten nur sehr mittelbare Voraussetzungen für das, was einer oder eine im Leben erreicht, und es wird in der Schweiz nicht viel anders sein als in Deutschland, wo der Bildungserfolg zuallererst an den Kapazitäten des Elternhauses hängt. Unser Student hat sich das lediglich rückübersetzt: Wer Elite wird («Strebt man ein hohes Einkommen an, schreibt man sich am besten an der Universität St. Gallen ein», thurgauerzeitung.ch), der ist es längst, und seit wann wohnt die bei Mama oder Papa in der Peripherie? Es ist nicht weniger als ein Widerspruch, an eine Eliteuniversität zu pendeln; ebenso gut kann man in den Zürcher Memberclub Alice Choo mit dem Stadtbus fahren. Statt mit dem Porsche wie alle andern.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.