Pop: Eine elektronische Umarmung

Nr. 47 –

Als wir in der Sekundarschule unsere ersten Handys bekamen, taten wir es ständig. Wir spielten darauf Musik ab und hielten sie uns gleichzeitig an den Mund. Es entstand ein Verzerrungseffekt, der je nach Mundöffnung dumpfer, tiefer oder ferner klang. Genauso wie der roboterartige Hall in den Stimmen von hochproduzierten R-’n’-B-SängerInnen. Dort erwartet man ihn, jedoch nicht bei Country aus Nashville, Tennessee. Doch nun hat sich tatsächlich Kurt Wagner, das einzige feste Mitglied von Lambchop, diesen Effekt zu eigen gemacht. Unter den elf Songs auf dem neuen Album «Flotus» klingt keiner so, wie man es von dieser doch schon dreissigjährigen Band gewohnt ist.

Das fluide Kollektiv um Wagner kennt hier keine handgemachte Authentizität mehr: Im Eröffnungssong «In Care of 8675309» nimmt einen zwar noch eine muntere Gitarre in Empfang, aber schon die ersten Zeilen aus Wagners Raucherrachen verschwinden hinter elektronischem Nebel – für die nächsten zwölf Minuten. Andere Stücke sind atmosphärische Hip-Hop- oder Electronica-Tracks, doch in «JFK», «Howe» oder «Old Masters» gewinnt Wagners Stimme nach dem Knall der Überraschung ihre Unverkennbarkeit zurück.

Auch auf «Flotus» singt und erzählt Wagner wieder mit lakonischem Humor. Doch «First Lady of the United States» oder «For Love Often Turns Us Still» (wie der Albumtitel ausgeschrieben lautet) ist friedlich gestimmt: Man kann darin für eine Stunde verschwinden, es bei FreundInnen auflegen oder den Montagskoller wegtanzen. Sein vermeintlicher Hit «NIV» klingt erst wie von Soundkünstlerin Laurie Anderson, doch dann folgt ein monotones Piano, ein warmer Bass wummert, und Wagners Stimmen sind im Plural übereinander gelagert. Er hätte diese umarmenden Songs auch wie auf dem Vorgänger «Mr. M» mit Streichern und akustischen Gitarren arrangieren können. Doch wie beim Handytrick in der Sekundarschule ist es Wagners angstfreie Verspieltheit, die ihn sich immer wieder neu erfinden lässt. Waghalsiger hätte er es diesmal nicht tun können.

Lambchop: Flotus. Merge Records