Vorwahlen in Frankreich: Und das kleinere Übel heisst …

Nr. 47 –

Plötzlich ist ein Aussenseiter haushoher Favorit: Nach dem Paukenschlag bei der Vorwahl am Sonntag wird aller Wahrscheinlichkeit nach der frühere Premier François Fillon Präsidentschaftskandidat der französischen Konservativen – und nicht der lange in Umfragen führende Alain Juppé. Trotz seines bedächtigen Auftretens steht Fillon für alles andere als einen moderaten Kurs, immerhin ist er ein Bewunderer der neoliberalen Ikone Margaret Thatcher. Entsprechend will der 62-Jährige die 35-Stunden-Wochen abschaffen: Unternehmen sollen die Wochenarbeitszeit auf bis zu 48 (!) Stunden erhöhen können. Ausserdem fordert Fillon einen strikten Sparkurs und will 500 000 Beamtenstellen streichen. Wirtschaftsliberale KommentatorInnen jubeln bereits, dass die im Ausland gerne mal als «reformunwillig» titulierten FranzösInnen endlich an die Kandare genommen werden – so als wäre ein Sozialstaat etwas, was man unbedingt wegreformieren müsste.

Auch ansonsten ist Fillon reaktionär. Der Katholik lehnt die Ehe wie das Adoptionsrecht für Homosexuelle ab. Zur Kolonialvergangenheit seines Landes meinte er, dass Frankreich sich nicht dafür schuldig fühlen müsse, «seine Kultur mit den Völkern Afrikas, Asiens und Nordamerikas geteilt zu haben». Aussenpolitisch will er eine Annäherung an Russland.

Sollte sich Fillon tatsächlich durchsetzen, liefe im Frühjahr alles auf ein Duell zwischen ihm und Marine Le Pen hinaus, der Vorsitzenden des rechtsextremen Front National. Denn aller Voraussicht nach wird kein Sozialist die Stichwahl erreichen: Die Partei hat sich selbst demontiert, indem sie eine Arbeitsmarktreform trotz monatelanger Proteste per Erlass durchgesetzt hat. So ist noch nicht einmal klar, ob der amtierende Präsident François Hollande, der in der Bevölkerung geradezu spektakulär unbeliebt ist, überhaupt bei den Vorwahlen des Parti socialiste Ende Januar antritt. Auch der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon hat allenfalls Aussenseiterchancen. Dazu kommt noch, dass Hollandes ehemaliger Wirtschaftsminister Emmanuel Macron eine eigene Bewegung gegründet hat, um ebenfalls bei der Präsidentschaftswahl anzutreten – was die Sozialisten weitere Stimmen kosten dürfte.

Es ist abzusehen, dass der Front National Fillon, der bereits mit 27 Jahren Abgeordneter der Nationalversammlung wurde, als Vertreter des Establishments attackieren und sich selbst als Anwalt der «einfachen Leute» profilieren wird. Die Linke bringt das in eine tragische Situation: Ihr bleibt nur die Option, bei der Stichwahl im Frühjahr das kleinere Übel zu unterstützen. Derweil kann sie sich schon mal auf harte Abwehrkämpfe einstellen.