Protestchor: Und noch einmal mit Gesang

Nr. 48 –

Mit einem Flashmob-Chor die Wahl eines Rechtsextremen verhindern: Liberale, Grüne, Konservative, SozialdemokratInnen und Linke singen gemeinsam gegen Hofer.

Man muss Märsche nicht mögen, um mitzusingen: Die Gesangskapelle Hermann an der Abschlusskundgebung von Alexander Van der Bellen im Mai 2016. Foto: Robert Newald

Wer in Österreich die Massen bewegen will, muss ihnen einen Marsch servieren. Von wegen Walzer, das akustische Prozac der Völkischen. Nein, vier harte Viertel, im Gleichschritt. Taktlosigkeit ist da schwierig durchzuhalten. Die Marschrichtung für ein freiheitliches Österreich hat FPÖ-Kandidat Norbert Hofer bereits zu Anfang des Wahlkampfs angekündigt. Er denkt daran, die Befugnisse des Präsidenten rigoros zu nutzen und etwa die Regierung zu entlassen, den Nationalrat aufzulösen und in der Zwischenzeit mit Notverordnungen zu regieren. Im Parlament trug Hofer regelmässig eine blaue Kornblume am Revers, das Symbol der «alldeutschen» Bewegung und Erkennungszeichen der illegalen Nazis in der Zwischenkriegszeit.

In der Mobilisierung galt es also, den rechtsextremen Kandidaten zu verhindern. Begonnen hatte alles mit einem Facebook-Post des Autors Kurto Wendt: «die kreativen leute sollen tools aller art entwickeln. vielleicht auch einen wahlkampfsong fürs breite land. die övp hat 1966 eine steilvorlage geliefert und damit gewonnen. wer mag das umdichten?» Die Gesangskapelle Hermann arrangierte die Noten, sang den Ohrwurm ein, eine Woche später zogen über 400 Singende als Flashmob durch die Wiener U-Bahn. Chor2Go, so der Name der singenden Bewegung, wird zum Franchisemodell.

Und der Schlager schlug ein. Am historischen Heldenplatz in Wien. In Drosendorf, Österreichs kleinster Stadt. Im Heimatort Norbert Hofers. In einem Speisewagen der Bundesbahnen. Auf einem Rummelplatz drehten sich die Singenden im «Chorussell», eine Gruppe von AuslandsösterreicherInnen (von der FPÖ verachtet, weil sie traditionellerweise eher links der Mitte abstimmen) sang im Central Park in New York. Weitere Beiträge entstanden in einer Art Do-it-yourself-Campaigning, Alexander Van der Bellens Kampagne konnte nur noch reagieren. Auch das ist Demokratisierung.

Material aus den Giftschränken

Die Wahl des Lieds kam nicht von ungefähr. Released im Jahr 1966 als Propaganda der konservativen Volkspartei (ÖVP), handelte es sich zunächst um einen stampfenden Marsch. Der Text: «Wer die Wahl hat, hat die Qual – doch gewiss nicht dieses Mal! Denn was immer Du auch bist, bist Du doch kein Kommunist, und politisch ganz normal. (…) Blickt zurück und blickt voraus – macht der Volksfront den Garaus.» Die ÖVP wusste den in Österreich tief verankerten Antikommunismus zu nutzen, die Kommunistische Partei verzichtete und rief für die Sozialdemokratie auf. Die Logik des Kalten Kriegs katapultierte die ÖVP erstmals in eine Alleinregierung.

Das Lied hat aber auch eine Protestgeschichte. Als im Februar 2000 der Regierungspakt der zufriedenen Konservativen mit den grinsenden Rechtsextremen vom sauer dreinblickenden Bundespräsidenten Thomas Klestil vereidigt wurde, kam es zu massiven Protesten und Politisierungsschüben, etwa der Clubszene. Material aus den Giftschränken der Geschichte wurde neu angeeignet und in die retroironischen Mixe auf die Plattenteller geworfen. Da stolperte er auf die Tanzflächen der Taktlosen, der Marsch von 1966.

Bei der Stichwahl am 4. Dezember sind die Optionen überschaubar: ein rechtsextremer und ein von den Grünen unterstützter bürgerlich-liberaler Kandidat. Um ein autoritäres Regime à la Erdogan in Österreich zu verhindern, haben viele WählerInnen schon mehrfach für Van der Bellen abgestimmt, obwohl sie nie zuvor grün gewählt hatten, darunter nicht wenige FreundInnen der Blasmusik.

Hier setzt Chor2Go an: das eigene Wahlrecht solidarisch zu nutzen, nicht zuletzt, weil Hofer als Staatsoberhaupt insbesondere jene treffen würde, die von der Mitbestimmung sowieso ausgeschlossen werden. Das Gefühl, dass das eigene Stimmrecht unveräusserliches Eigentum ist, ist Teil dieser Problematik. Tatsächlich ist dieser Besitz entweder ererbt oder durch Integrationsleistungen mühsam erworben. Er ist Teil eines Pakets aus sozialen Rechten, das nach wie vor nationalistisch verschnürt ist.

Während in der Türkei JournalistInnen und Abgeordnete verhaftet werden und Trump und Co. die Kriminalisierung sozialer Proteste als «ökonomischen Terrorismus» vorschlagen, scheint es absurd, ein Stimmrecht zu besitzen und es nicht zu nutzen. Gegen diesen Irrwitz tritt Chor2Go an: mit einem breiten Wahlaufruf gegen den Rechtsextremismus. Man muss Märsche nicht mögen, um mitzusingen. Wenn der Wegweiser Richtung Barbarei zeigt, ist uneitles, strategisches Handeln das Radikalste, was sich tun lässt – und sei es nur, summend ein Blatt Papier in die Urne gleiten zu lassen.