RebellInnenrätsel: Die energische Propagandistin

Nr. 48 –

Als sie mit siebzehn das erste Mal aufs Rednerpodest stieg, schnürte ihr die Angst fast den Hals zu. Als sie mit 23 Jahren ihren ersten Artikel für die «Arbeiterzeitung» schrieb, verlangte das denselben Mut. Nur drei Jahre war die spätere Parlamentsabgeordnete zur Schule gegangen, von Rhetorik und Rechtschreibung hatte sie keine Ahnung. Doch sie wusste genau, wovon sie sprach. Und das spürten die Menschen.

1869 als letztes von fünfzehn Kindern – nur fünf überlebten – in eine bitterarme Wiener Weberfamilie hineingeboren, hatte sie das blanke Elend kennengelernt. Der Vater trank und schlug, und als er starb, musste die Siebenjährige mit anpacken: barfuss im Zimmermannsabfall Heizspäne sammeln, für ein paar Kreuzer Näharbeiten erledigen, bei der «gnädigen Frau Herzogin» um Almosen bitten. Sie wurde gedemütigt, verlacht, ausgenutzt. Und hatte ständig Hunger.

Mit zehn Jahren sass sie in dunklen Werkhallen, häkelte Tücher, zwölf Stunden am Tag, mit wehen Fingern und gebeugtem Rücken. Schuftete in der Bronze- und der Korkindustrie, wurde krank, verlor die Arbeit. Doch so verzweifelt sie auch war, eines gab sie nie auf: das Lesen. Sie verschlang alles – Kitschromane, deutsche Klassiker, Geschichtsbücher – und erzählte weiter, was sie gelesen hatte. Auch als sie die «Arbeiterzeitung» entdeckte, das Zentralorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), in dem es um elende Leben wie das ihre ging und darum, wie man sich daraus befreien könnte. Innerhalb kurzer Zeit war sie eine der populärsten PropagandistInnen sozialistischer Ideen.

1893 übernahm sie die Redaktion der «Arbeiterinnen-Zeitung», mischte beim erfolgreichen Streik der Appreturarbeiterinnen mit (dem ersten organisierten Frauenstreik in der Geschichte Wiens), trotzte den Genossen eine Quote für weibliche Delegierte auf Parteitagen ab, rief einen Bildungsverein für Gewerkschafterinnen ins Leben sowie ein proletarisches Frauenkomitee, an dem die männerdominierte SDAP ab 1918 nicht mehr vorbeikam. Und sass – natürlich – auch diverse Male im Gefängnis.

Wer war die 1939 verstorbene Frauenrechtlerin und Sozialistin, die mit den Marx-Töchtern zusammenarbeitete und deren Mutter nach einem Besuch von Friedrich Engels und August Bebel enttäuscht über die vermeintlichen Heiratskandidaten schimpfte: «So Alte bringst du daher!»?

Wir fragten nach der Wegbereiterin der österreichischen proletarischen Frauenbewegung, Adelheid Popp (1869–1939). Die Publizistin und Politikerin war 1898 Mitbegründerin und Vorsitzende des Frauenzentralkomitees, das bis 1918 ausserhalb der SDAP die Arbeiterinnenbewegung voranbrachte. Sie sass von 1918 bis 1923 im Wiener Gemeinderat und zudem bis 1934 im österreichischen Parlament. Ihr zu Ehren trägt eine der grossen Gemeindebauten des Roten Wien den Namen Adelheid-Popp-Hof. 1912 erschien – zunächst anonym – ihre Autobiografie «Jugendgeschichte einer Arbeiterin».