Auf allen Kanälen: Alles für eine gute Story

Nr. 49 –

Das «Magazin» will eine Debatte über Politmarketing in der nahen Zukunft lancieren und hinterlässt ein mieses Gefühl.

www.cambridgeanalytica.org

Die Journalisten Mikael Krogerus und Hannes Grassegger haben einen Text geschrieben. Soweit sind sich alle einig. Darüber hinaus: Verblüffung, Entsetzen, Ratlosigkeit auf allen Kanälen. Worüber eigentlich?

Am Samstag erschien im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» ihr Artikel über die Big-Data-Firma Cambridge Analytica und ihren allfälligen Einfluss auf die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Hauptfigur ist Michal Kosinski, Erfinder einer neuen Methode des Mikrotargeting, mit der dank riesiger Datensammlungen und Psychografie so gezielt wie noch nie personalisierte Botschaften an den Mann und die Frau gebracht werden können. Ein Schuft soll ihm die Erfindung geklaut haben, und nun wird sie von einer windigen Firma für politische Zwecke eingesetzt. Input, Blackbox, Outcome – so geht das, und am Ende ist Trump Präsident, und das Cover des «Magazins» erklärt den Aufstieg des Rechtsnationalismus mit wenigen, markigen Worten: «Trump, Brexit, Le Pen. Die unheimliche Macht von Cambridge Analytica».

It’s big data, stupid!

Die Story im «Magazin» ist genau das: eine Story. Krogerus und Grassegger haben eine runde Geschichte geschrieben, die nach allen Regeln der Kunst funktioniert. Sie erzählen eine Frankenstein-Geschichte mit einem tragischen Helden: Er wollte nur ein wenig tüfteln und erschuf dabei ein Monster. («Ich habe die Bombe nicht gebaut», sagt Kosinski am Schluss. «Ich habe nur gezeigt, dass es sie gibt.»)

Kein Wunder, wird die Geschichte wild durchs Netz gereicht. Sie bedient die grosse Big-Data-Angst ebenso wie die Sehnsucht linksliberaler Klugscheisser, die, statt die Wählerschaft zu beschimpfen («Sie sind dumm!»), jetzt dem Big-Data-Konzern die Schuld zuschieben können («Die Leute sind nicht dumm, sie werden manipuliert!»). Überwachungsparanoiker wie Techapologetin – alle können ihr persönliches «Ich habe es schon immer gewusst» in die Story reinlesen. Interessant ist: Jene, die sonst jede wissenschaftliche Vermessungsmethode für Humbug halten, fühlen sich nun ausgerechnet durch Psychometrie bestätigt, während die Internetumarmer die Bedeutung von Mikrotargeting kleinreden.

Vielleicht wirbelt die Story aber auch deshalb so viel Staub auf, weil sie mit viel Suggestion ein grosses Missverständnis provoziert: Sie liefert eben gerade keine monokausale politische Erklärung für Trumps Wahlsieg, kommt aber in einer solchen Aufmachung daher. Die Autoren beschreiben detailliert, wie eine Big-Data-Firma ihr Politmarketing bewirbt und was so in nächster Zukunft auf die Politik zukommen könnte. Ob die Behauptungen von Cambridge Analytica stimmen, wird damit zweitrangig.

Zu viele Fragezeichen

An dieser Stelle könnten weitere Recherchen und eine breite Debatte über Mikrotargeting im Politmarketing einsetzen: Wie verändert sich Politik, wenn es keinen gemeinsamen öffentlichen Raum mehr gibt, keine allgemein bekannten Positionen und Botschaften, keine gemeinsame Grundlage für Diskussionen, und alle nur in ihrer eigenen, personalisierten Realität leben? Wie gross ist der Einfluss von Cambridge Analytica und ähnlichen Firmen wirklich? Welche datenschutzrechtlichen Gesetze können das Erstellen und Verkaufen von Millionen von Psychogrammen europäischer BürgerInnen verhindern?

Dass diese Diskussionen nur stockend geführt werden, liegt an den vielen Fragezeichen, die der Artikel hinterlässt: technologisch, politisch, vor allem aber journalistisch-handwerklich. Die Autoren bleiben jeden Beleg für die «unheimliche Macht» der Big-Data-Firma schuldig. Sie führen lediglich Beispiele an, bei denen die Rolle und der Erfolg von Cambridge Analytica zumindest umstritten sind (Ted Cruz, Brexit). Und zum Punkt der Wirksamkeit der Methoden gibt es lediglich ein «no comment» der Firma.

Da schwingt viel mit, wenig ist handfest. Beispielhaft dafür ist der Name Le Pen auf dem Cover des «Magazins». Er steht in einer Reihe mit Trump und Brexit. Im Text aber ist lediglich am Rande ein Tweet erwähnt, wonach Marion Le Pen demnächst irgendwie mit Cambridge-Analytica-Vorstandsmitglied und Breitbart-Chef Steve Bannon zusammenarbeiten werde. Man muss es zweimal lesen: Marion, nicht Marine; die Nichte, die Lokalpolitikerin, nicht die Tante, die Präsidentschaftskandidatin des Front National.

Ein Detail? Irreführung der LeserInnen? Mittlerweile hat das «Magazin» die Stelle online, klammheimlich und ohne es auszuweisen, geändert und verdeutlicht. Am Ende bleibt ein mieses Gefühl: So viel Zuspitzung traut sich nicht einmal der Boulevard.