Die Ulme: Auch Bäume brauchen Bodyguards

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Pflanzen kommunizieren über Duftstoffe. Wie raffiniert sie so Schädlinge abwehren können, zeigt das Beispiel der Ulme.

Ein süsser Kerl, doch die Ulme sieht das anders: Xanthogaleruca luteola, der Ulmenblattkäfer. Foto: Didier Descouens

Eine Ulme kann bis zu 400 Jahre alt werden. Während dieser Zeit fallen Heerscharen von Insekten über sie her – Raupen, Motten, Käfer, Heuschrecken, Blattläuse, Borkenkäfer und viele mehr. Sie fressen die Blätter, saugen Saft aus den Leitungsbahnen im Blatt, bohren sich ins Holz oder attackieren die Wurzeln. Doch die Ulme überlebt, und zwar an Ort und Stelle. Der Baum kann bei Gefahr nicht einfach fliehen, wie Tiere und Menschen es tun. Um so erfolgreich zu sein, braucht er ein ganzes Arsenal unterschiedlichster Abwehrstrategien. Unter anderem mobilisiert die Ulme zu ihrer Verteidigung eine Vielzahl an Duftstoffen. Mit deren Hilfe kann sie Angreifer in die Flucht schlagen, vergiften oder ihnen zumindest gehörig Bauchschmerzen verursachen.

Und schliesslich kann die Ulme mit Duftstoffen Bodyguards rufen, wie die Biologin Monika Hilker mit ihrer Arbeitsgruppe an der Freien Universität Berlin herausgefunden hat. Das ist besonders im Fall des Ulmenblattkäfers wichtig: Das rund sechs Millimeter grosse, gelbolive Insekt mit dem schwarz gestreiften Rücken hat in den USA und Kanada ganze Ulmenwälder entlaubt.


WOZ: Frau Hilker, drohen uns in Europa ähnlich verheerende Schäden, wie sie der Ulmenblattkäfer in Nordamerika verursacht?
Monika Hilker: Nicht unbedingt, denn hier hat der Käfer einen gewichtigen Gegenspieler: eine zierliche Schlupfwespe. Sie entwickelt sich in den Eiern der Käfer und frisst sie dabei von innen aus. Dadurch sorgt sie für ein gewisses Gleichgewicht. Die Schlupfwespen steuern gezielt auf die Käfereier zu, bevor die Larven geschlüpft sind.

Wie findet die Schlupfwespe die Käfereier?
Wenn ein Ulmenblattkäferweibchen seine Eier an ein Ulmenblatt klebt, verrät es sich bereits. Das Weibchen kratzt vor der Eiablage die Oberfläche eines Blattes an, nagt eine flache Mulde in die Blattoberhaut und klebt dann seine Eier mit einem speziellen Klebstoff in der Mulde fest. Diesen Kleber erkennt die Ulme, er bedeutet Gefahr. Die Ulme produziert darauf ein Duftstoffgemisch – quasi ein SOS-Signal –, mit dem sie ihre Verbündeten, die Schlupfwespen, anlockt.

Wie haben Sie das herausgefunden?
Im Labor haben wir den Klebstoff aus dem Eileiter der Käferweibchen herauspräpariert und auf Ulmenblätter gestrichen – der Baum begann sofort mit der Duftstoffproduktion, auch wenn gar keine Eier am Blatt klebten. Das war der Beweis.

Können auch die Nachbarbäume diesen Duftstoff riechen und daraus schliessen, dass ihnen Gefahr droht?
Das untersuchen wir aktuell. Uns interessiert, ob noch nicht mit Eiern belegte Zweige durch Düfte der eierbelegten Zweige vorgewarnt werden und ob auch Nachbarbäume diese Botschaft verstehen und sich zu wehren beginnen.


Grundsätzlich kommunizieren alle Pflanzen mit Duftstoffen: Sie senden Hilfesignale aus, locken gezielt Nützlinge an, warnen sich gegenseitig vor einer kommenden Gefahr und koordinieren sogar ihr Verhalten. Bis heute konnten bei 900 Pflanzenfamilien rund 2000 «Duftstoffvokabeln» identifiziert werden. Es gibt einen Grundstock von fünf bis zehn chemischen Duftstoffsignalen, der allen Pflanzen gemein ist. Jede Pflanze kann zudem eine grosse Zahl von verschiedenen Duftstoffmixturen herstellen. Es scheint also eine pflanzliche «Grundsprache» zu geben. Hinzu kommen viele «Dialekte», die für jede Pflanzenart charakteristisch sind.

Oft erkennen Pflanzen den Frassfeind an dessen Speichel und locken dann den richtigen Nützling herbei. Die Arbeitsgruppe von Monika Hilker hat gezeigt, dass Ulmen den Ulmenblattkäfer bereits bei der Eiablage erkennen – also viel früher – und gezielt Schlupfwespen zu Hilfe rufen.

So raffiniert und nuanciert eine Ulme ihre Feinde abwehren kann – ein grosses Problem bleibt: Der Verursacher des Ulmensterbens um 1900, der weltweit Millionen Ulmen zerstörte, könnte wieder zuschlagen.


Wer verursachte dieses Ulmensterben?
Verantwortlich dafür war ein Schlauchpilz. Der Pilz produziert viele Sporen, die zum Beispiel an einem Borkenkäfer hängen bleiben. Der Borkenkäfer frisst sich Gänge in den Stamm und in die Äste – und transportiert so die Sporen ins Bauminnere. Dort breitet sich der Schlauchpilz aus: Er durchwuchert und zerstört mit der Zeit die Leitungsbahnen. Der Baum wiederum versucht, die befallenen Leitungsbahnen zu verschliessen. Dann funktioniert aber der Stofftransport nicht mehr richtig. Die Äste sterben langsam ab, immer mehr, bis der ganze Baum darbt.

Wird an Gegenstrategien geforscht?
Es gibt zahlreiche Arbeitsgruppen, die sich mit dem Ulmensterben befassen. Einige versuchen, gezielt resistentere Ulmen zu züchten, andere forschen nach Wegen, wie das Immunsystem der Ulme unterstützt werden kann. Wieder andere versuchen, Ulmen mit einem Pilz zu infizieren, der weniger gefährlich ist als der Schlauchpilz, damit sich der Baum für Letzteren rüsten kann.

Wie eine Aktivimpfung beim Menschen?
Ja, genau. Es gibt schon erste Erfolge mit diesen Impfungen.


Der Schlauchpilz wurde übrigens bereits im 19. Jahrhundert nach Europa eingeschleppt. Vermutlich mit Verpackungsmaterial aus China.