Kost und Logis: Die radikalste Beiz der Schweiz

Nr. 2 –

Bettina Dyttrich über Selbstversorgung als Gourmettraum

Auch wenn ich oft betone, dass unser Essen viel zu billig ist: Es gibt eine Food-Verkultung, die mich irritiert. Wenn dank verwöhnten Fresssäcken aus der Stadt Biobauern, Käserinnen, Winzer und andere kreative Produzentinnen ein Auskommen haben – sehr gut. Trotzdem bleibe ich skeptisch beim Käse für 100 und dem Trockenfleisch für 200 Franken pro Kilo vom Slow-Food-Markt. Ich werde den Verdacht nicht los, dass manche von denen, die ihre Bekannten mit solchen Leckereien beeindrucken, unter der Woche Billigprodukte kaufen. Aber vielleicht irre ich mich ja auch.

Und Gourmettourismus ist eine gute Alternative zum Schneesport. In den Weihnachtsferien war ich drei Tage in der Beiz, die so radikal lokal kocht wie keine zweite: im «Hospezi» bei Trun in der Surselva. Ursi und Christian Weber bewirtschaften drei Hektaren Land, und darauf lebt und wächst fast alles, was in die Küche kommt. Webers ziehen Dutzende seltener Gemüsesorten und Kartoffeln, pflegen Beerensträucher und Obstbäume, halten Bündner Oberländer Schafe, Wollschweine, Bündner Strahlenziegen und Hühner. Sie käsen, wursten, trocknen, räuchern, mosten, kochen Konfitüren und Gemüse ein, in manchen Jahren bauten sie sogar auf winzigen Feldern Getreide an und verarbeiteten es von Hand. Ein verrücktes Projekt, das zeigt, wie vielfältig Selbstversorgung auch auf tausend Metern über Meer sein kann.

Was Webers in der Küche daraus machen, ist so delikat, dass sie es sofort in die Top fünf meiner LieblingsköchInnen geschafft haben: Wollschweinwurst auf Brennnesselgemüse, Bratkäse mit Mohnnudeln und verschiedenen Rüebli, Gersten-Bohnen-Lupinen-Suppe oder Gitzi-Entrecôte mit blauen Bratkartoffeln und Kardy, diesem wunderbaren Artischockengemüse, von dem man die Blattstiele isst, nachdem man sich in der Küche daran die Finger zerstochen hat.

Manche, die diese Philosophie toll finden, werden sich das «Hospezi» allerdings kaum leisten können: Ein Dreigangmenü kostet 90, die Halbpension (mit einem Zmorge, nach dem man keinen Zmittag mehr braucht) 170 Franken. Man kann sich ärgern über diese Preise – oder etwas von ihnen lernen: wie viel Aufwand in gutem Essen steckt. Das Dilemma dahinter betrifft viele ökologische Projekte: Handarbeit ist kaum bezahlbar.

Auch die Landschaften, die die meisten Leute schön finden – mit Hecken, kleinen Feldern, Steinmauern, Bäumen und Bächen – sind Resultat jahrhundertelanger Handarbeit. Maschinenarbeit hat sie in wenigen Jahren zerstört. Heute versucht der Bund, mit Landschaftsqualitätsbeiträgen zu retten, was noch zu retten ist. Vielleicht sollten wir besser mehr über die Produktionsbedingungen des Essens reden.

Nach achtzehn Jahren wollen Webers nun aufhören, bevor ihnen der Schnauf ausgeht. Sie suchen NachfolgerInnen, die Haus und Land kaufen. Hoffentlich klappt das – die Küchenkunst der beiden zu übertreffen, wird allerdings nicht einfach sein.

Bettina Dyttrich hat zum Glück auch zu Hause einen Top-fünf-Koch.