Presse in der Romandie: «‹L’Hebdo› war kein Produkt, sondern ein Projekt»

Nr. 5 –

Der Schock sitzt tief in der Romandie: Nach der jähen Einstellung der überregionalen Wochenzeitung «L’Hebdo» und einem erneuten Stellenabbau fragt sich die Öffentlichkeit, wie stark die welsche Presselandschaft noch ausbluten wird. Es gibt aber auch Lichtblicke.

«Die Jagd auf Enten/Zeitungen ist eröffnet»: Karikaturist Valott, der bei «24 heures» arbeitet, spielt in seinem für die WOZ gezeichneten Bild mit der Doppeldeutigkeit des Worts «canard».

Als Laure Gabus vor sieben Jahren in den Journalismus einstieg, war sie voller Hoffnung und Leidenschaft. Nach ein paar Praktika begann die Genferin 2010 ein Volontariat bei der Lokalzeitung «Tribune de Genève» (Auflage: 37 300), die einen Erneuerungs- und Verjüngungsprozess eingeleitet hatte. Gabus sass schon bald in Gemeindeversammlungen und verfolgte das lokale politische Geschehen im Stadtkanton. «Klingt trocken, aber für mich war es ein Vergnügen, den Entscheidungsträgern auf die Finger zu schauen und ihre Entscheidungen zu hinterfragen», sagt Gabus. Der Lokaljournalismus habe eine demokratische und aufklärerische Mission.

Heute bietet die «Tribune de Genève» keine Volontariate mehr an, und die 32-jährige Journalistin hat mittlerweile ihren Job verloren. Im letzten Herbst strich der Deutschschweizer Verlagskonzern Tamedia 24 Stellen bei der «Tribune de Genève» und der Waadtländer Schwesterzeitung «24 heures» (Auflage: 57 300). «Die Nachricht war fast schon eine Art Befreiung», sagt Gabus. «Man hatte uns zweieinhalb Monate im Ungewissen über die Entlassungen gehalten. Das war brutal, die Angst hat uns zerfressen auf der Redaktion.»

«Es gibt keine Plattform mehr»

Gabus sitzt in einem ruhigen Café zwischen See und Bahnhof und redet Klartext. «Haben die Verlage in den letzten Jahren in den Journalismus investiert? Nein!» Deren Hauptinteresse gelte dem Anzeigenmarkt und nicht dem Journalismus, sagt Gabus. Sie erinnert sich an einen internen Newsletter, der die «Wirtschaftlichkeit» von «Print» und «Online» (Tamedia besitzt eine ganze Reihe von Onlineplattformen wie etwa Homegate, Jobs oder Doodle) verglich. «Die Botschaft war: ‹Online ist rentabel, Print nicht.›»

Gabus war nicht überrascht, als sie letzte Woche vom jähen Ende der welschen Wochenzeitung «L’Hebdo» (Auflage: 39 800) und den 37 Entlassungen, die auch die überregionale Tageszeitung «Le Temps» (Auflage: 31 600) betreffen, hörte. «Der verantwortliche Konzern, die Ringier Axel Springer Media AG, verfolgt dieselbe Ideologie wie Tamedia: Die Rentabilität hat oberste Priorität.» Dass es zwei Deutschschweizer Verlage sind, die die Presselandschaft in der Romandie ausbluten, spielt für Gabus keine Rolle: «Ich hätte kein Problem mit einem Verleger aus Zürich, wenn dieser ein Interesse an Journalismus hätte.»

Das Ende von «L’Hebdo» sei natürlich ein herber Verlust für die Romandie, aber für ihre Generation sei die Wochenzeitung nicht eine derartige Referenz gewesen wie für ihre Elterngeneration. «In den letzten Jahren gab es für mich etwas zu viel Lifestyle- und Konsumthemen im Blatt», sagt sie.

Noch weiss Gabus nicht, was die Zukunft bringt. Ihre Leidenschaft für den Journalismus ist geblieben. Sie will aufklären, genau hinschauen, sich reinknien. Bloss: «Es gibt praktisch keine Plattform mehr für uns.» Immerhin richtet sich ihr Blick endlich wieder nach vorne. Ganz hat sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, als aufklärerische Journalistin in der Romandie zu arbeiten.

«L’Hebdo»: Immer europhil

«Es sind keine einfachen Tage», sagt Jacques Pilet. Er hatte «L’Hebdo» vor 36 Jahren gegründet und bis zuletzt als Kolumnist mitgeprägt. Pilet erfuhr Anfang letzter Woche, dass «seine» Zeitung eingestellt wird. Diesen Freitag erscheint «L’Hebdo» zum allerletzten Mal.

Jacques Pilet wirkt erstaunlich gelassen beim Gespräch in einer Brasserie in Vevey. Der 73-Jährige hat in seiner langen Karriere als Journalist schon mehrere Umbrüche erlebt. Oder in die Wege geleitet: «Bevor es ‹L’Hebdo› gab, war die Presselandschaft in der Romandie stark fragmentiert. Jede Region hatte ihre Zeitung, teils auch mehrere. Mit der Lancierung einer überregionalen Wochenzeitung haben wir 1981 Neuland betreten», sagt Pilet. Die Leute hätten ihm damals gesagt, er sei verrückt: «Ein Genfer wird niemals eine Zeitung aus Lausanne lesen. Niemals», musste er sich anhören.

Doch Pilet und sein Team liessen sich nicht beirren, und der Erfolg gab ihnen alsbald recht. «L’Hebdo» entwickelte sich in den achtziger Jahren zu einer relevanten Zeitung, zumindest für den progressiv eingestellten Teil der Öffentlichkeit. Das gelang durch überraschende Themensetzungen und aufwendige Recherchen. «Wir waren in der Region die Ersten, die über das Thema Geldwäscherei berichteten. Das war ein Tabubruch. Er hat uns Gerichtsklagen beschert, aber auch einen guten Ruf», sagt Pilet. Für ihn, den das Jahr 1968 nachhaltig prägte, war «L’Hebdo» nie ein «Produkt», sondern ein «politisches, journalistisches Projekt, das dem Humanismus verpflichtet war».

Dabei vertrat «L’Hebdo» von Anfang an eine klar europafreundliche Linie. «Unser Fokus hörte nicht an der Landesgrenze auf. In den achtziger Jahren legte die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft die Grundsteine für den heutigen Binnenmarkt», sagt Pilet. Eine einschneidende Entscheidung, auch für die Schweiz. «Wir wollten diesen Prozess eng begleiten und beschlossen, eine fixe Korrespondentin nach Brüssel zu schicken. Das war damals ein Novum», so Pilet, der bis 1991 Chefredaktor bei «L’Hebdo» war und danach die Tageszeitung «Le Nouveau Quotidien» gründete, die Ende der neunziger Jahre mit dem «Journal de Genève» zu «Le Temps» fusionierte.

«L’Hebdo» blieb bis zum Schluss europhil und lehnte nationalistische Tendenzen ab. Diese konsequente Haltung erklärt den Jubel über dessen Ende von einzelnen welschen ExponentInnen des rechten Lagers.

Jacques Pilet ist nach den Ereignissen von letzter Woche nicht wütend oder traurig, sondern vor allem besorgt. Um die Pressevielfalt in der Region, die von drei Verlagen dominiert wird – Ringier, Tamedia und der französischen Groupe Hersant Média –, und um die Qualität des Journalismus angesichts des seit rund einem Jahrzehnt andauernden Abbaus von Stellen bei fast allen Zeitungen.

Die Entscheidung von Ringier Axel Springer, «L’Hebdo» aufzugeben, war eine Absage an das Konzept einer Wochenzeitung. Stattdessen setzt der Medienkonzern nun voll auf die Tageszeitung «Le Temps». Sie wird in der Romandie künftig neben dem Boulevardblatt «Le Matin» (Auflage: 41 000; gehört Tamedia) die einzige bedeutende überregionale Zeitung sein.

Pilet spricht es nicht aus, aber zwischen den Zeilen wird klar, dass er die Entscheidung nicht für klug hält: «Es reicht heute nicht mehr aus, nur zu informieren. Die Leute informieren sich die ganze Zeit über ihr Smartphone. Dafür brauchen sie keine Tageszeitung, die am Vorabend gedruckt wird», sagt Pilet. Er glaubt nach wie vor unerschütterlich an den Printjournalismus, aber dieser brauche neue Blickwinkel und überraschende Zugänge. Aber auch Pilet weiss zurzeit nicht, wer diesen langfristig tragen kann.

«Der Leserschaft verpflichtet»

Im Genfer Büro von «Le Courrier» (Auflage: 7400) herrscht Aufbruchstimmung. Kurz nach Mittag wuseln JournalistInnen von der Küche an ihre Schreibtische, dazwischen eine kurze Unterhaltung mit KollegInnen im Flur. Die morgige Ausgabe ist fertig geplant, jetzt gehts ans Recherchieren, Telefonieren und Schreiben. Seit dieser Woche führt eine neue Ko-Chefredaktion die linke Tageszeitung. Diese ist neben der Freiburger Lokalzeitung «La Liberté» (Auflage: 39 700; im Besitz der katholischen Schwestern der Kongregation Saint-Paul) die letzte unabhängige Tageszeitung der Romandie.

Laura Drompt, 29 Jahre alt, und ihr 39-jähriger Kollege Gustavo Kuhn werden die nächsten drei Jahre den Kurs von «Le Courrier» bestimmen. «Der Wechsel bedeutet keine Revolution. Wir werden aber noch immer zu sehr als Genfer Zeitung wahrgenommen, weshalb wir eine ‹Romandisation› versuchen wollen. Das heisst, vermehrt überregionale Themen setzen. Und in den einzelnen Regionen präsenter sein», sagt Drompt. Das Geschäftsmodell des «Courrier» bleibe aber auf jeden Fall bestehen. Rund achtzig Prozent der Einnahmen stammen von den AbonnentInnen, bei den anderen Zeitungen ist es gerade umgekehrt, die Abhängigkeit von Werbe- und Inserateeinnahmen entsprechend gross. «Wir sind unserer Leserschaft verpflichtet, niemandem sonst», sagt Gustavo Kuhn, «das ist ein riesiger Vorteil. Wir können uns auf den Journalismus konzentrieren.»

Das Ende von «L’Hebdo» und die Ausdünnung der welschen Zeitungsredaktionen beobachten Drompt und Kuhn mit Besorgnis. «Eine lebendige und vielfältige Presselandschaft ist wichtig für die Gesellschaft», sagt Kuhn. Und nein, «Le Courrier» werde nicht versuchen, die entstandene Lücke zu füllen. «Wir behalten unseren Kurs bei. Er stimmt so für uns.»