Durch den Monat mit Heidi Specogna (Teil 2): Woher kommt Ihr Interesse für Lateinamerika?

Nr. 6 –

Niklaus Meienberg schimpfte, weil sie bei der «Schweizer Illustrierten» über Königshäuser berichten musste. Und ein Tagebucheintrag aus ihrer Kindheit führte Heidi Specogna Jahre später zu ihrem ersten Dokumentarfilm.

Heidi Specogna: «Die uruguayischen Tupamaros interessierten mich, weil sie sich als einzige ­Befreiungsbewegung nicht Che Guevaras Revolution anschliessen wollten – warum?»

WOZ: Heidi Specogna, warum sind Sie Dokumentarfilmemacherin geworden?
Heidi Specogna: Mein erster Berufswunsch war Journalistin. Ich wollte schreibend das Leben begreifen und die Welt erforschen. Ich besuchte die Ringier-Journalistenschule, das war eine tolle Ausbildung damals. Die Realität danach sah leider nicht so rosig aus: Ich erhielt eine Stelle im Auslandressort der «Schweizer Illustrierten» und bekam das auf den Tisch, was Berufsanfänger so auf den Tisch bekommen: die Königshäuser! Das war überhaupt nichts für mich. Niklaus Meienberg war mein Mentor, und er war erbost und schimpfte, dass ich das nicht machen dürfe – und er hatte natürlich recht.

Anschliessend habe ich im Presseladen in Zürich als freie Journalistin gearbeitet, ab und zu auch für die WOZ. Schliesslich bin ich aber an den strengen journalistischen Formatvorgaben gescheitert: Ich hatte Mühe mit der Begrenzung und verspürte immer mehr Lust, freier und mit Bildern zu arbeiten. Ausserdem wünschte ich mir mehr Zeit, um an einem Thema zu bleiben. Deshalb habe ich mich in Berlin für die Deutsche Film- und Fernsehakademie beworben und wurde 1982 aufgenommen.

Nach der Ausbildung haben Sie alle Ihre Filme bis und mit «Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez» im Jahr 2006 in Lateinamerika realisiert. Woher kam das Interesse für diesen Teil der Welt?
Das hängt mit meinem ersten Dokumentarfilm, «Tania la Guerillera», zusammen. Mit elf oder zwölf Jahren hatte ich einen Spielfilm über die deutsch-argentinische Guerillakämpferin Tamara Bunke alias Tania gesehen, die 1967 in Bolivien getötet worden war. Der Film war hanebüchen, aber die Geschichte faszinierte mich. Ich schnitt den Hinweistext zum Film aus der Zeitung und klebte ihn in mein Tagebuch. Als ich Anfang der achtziger Jahre nach Berlin an die Filmschule ging, nahm ich mir vor, dieser Geschichte nachzugehen.

Und das haben Sie dann auch gemacht.
Ja, ich suchte den Kontakt zu ihren Eltern in der DDR. Doch die haben mir immer wieder den Hörer aufgelegt, da sie mit niemandem aus dem Westen zu tun haben wollten. Also habe ich meine Recherche von Kuba aus begonnen, wo Tania zur Zeit der Revolution gelebt hatte. Als ich zurückkam, kontaktierte ich die Eltern wieder, und sie haben gemerkt, dass da ein echtes Interesse an der Geschichte ihrer Tochter besteht. Während der Dreharbeiten bin ich auf die Tupamaros gestossen, die Stadtguerillabewegung in Uruguay. Die interessierten mich, weil sie sich als einzige Befreiungsbewegung in den sechziger Jahren nicht Che Guevaras lateinamerikanischer Revolution anschliessen wollten – warum? Oft führen mich offene Fragen, die nach einem Film bleiben, zum nächsten Thema.

Für «Das Schiff des Torjägers» von 2010 drehten Sie erstmals in mehreren afrikanischen Ländern. Warum dieser Kontinentenwechsel?
Nach vielen Jahren Dreharbeiten in Lateinamerika war ich nicht mehr unbefangen. Ich wollte zurück zu einer gewissen Naivität, suchte eine Art jungfräulichen Blick auf das Fremde. Mit diesem radikalen, sehr bewussten Kontinentenwechsel hoffte ich, dahin zurückzufinden. Ich hatte vorher nie in Afrika gearbeitet und musste bei null anfangen. Das war ein sehr wichtiger Schritt, gerade weil ich mich als Filmemacherin immer neu auf ein Thema einstellen muss und ich mich nicht wiederholen will. Der Kontinentenwechsel war sozusagen ein selbstverordnetes Reset.

Wo arbeiten Sie im Moment?
Ich arbeite gerne an zwei Projekten gleichzeitig, auch jetzt: Bei dem einen geht es um Biografien äthiopischer Tänzerinnen, Künstlerinnen und Sängerinnen und ihre Emanzipationsgeschichte. Nach meinem letzten Film «Cahier africain» über den Krieg in der Zentralafrikanischen Republik verspürte ich den Wunsch, positiven Geschichten nachzugehen, die weniger von Schicksalsschlägen und Gewalt geprägt sind.

Und das zweite Projekt?
Ich recherchiere die Geschichte des Bieler Dschihadisten Majd, der 2015 in Syrien ums Leben kam.

Was genau interessiert Sie an der Geschichte von Majd?
Er ist wie ich in Biel zur Schule gegangen und hat seine Jugendzeit dort verbracht. Meine ersten Fragen waren: Wie kommt es, dass ein sogenannt erfolgreiches Integrationskind – als das galt er, denn er schaffte es in Biel aufs zweisprachige Gymnasium – auf Abwege gerät? Sein nächstes Umfeld hat erst im Nachhinein festgestellt, dass er in radikale Kreise abgedriftet ist. Die Frage, ob es Anzeichen gab, die ein rechtzeitiges Eingreifen ermöglicht hätten, beschäftigt alle.

Und wie läuft die Recherche?
Es ist sehr schwierig. Ich werde für die Aufarbeitung viel Zeit brauchen, da kommt man nur mit Geduld weiter. Im Moment ist noch bei vielen Beteiligten die Sorge gross, mit ihrem Beitrag ins Visier von Islamisten zu geraten. Auch die Behörden verschliessen sich. Ich habe Zeit, kann warten und werde irgendwann die Ergebnisse zusammenfassen und entscheiden, wie die Geschichte von Majd erzählt werden kann.

Die Dokumentarfilmerin Heidi Specogna (58) ist in Biel aufgewachsen. Ihr Urgrossvater kam als Sprengmeister aus dem Friaul in die Schweiz und arbeitete am Lötschberg und am Simplon. Ihr Film «Cahier africain» läuft zurzeit in den Kinos.