Indiens Notentausch: Fünfzig Tage Chaos

Nr. 6 –

Ministerpräsident Narendra Modi stürzte viele seiner Landsleute in die Verzweiflung, als er vergangenen November den grössten Teil der Banknoten für ungültig erklärte. Er wollte damit Schwarzgeld bekämpfen. Doch am Ende war das Resultat ernüchternd.

Jetzt gibt es auch die Regierung zu: Die grosse Notenumtauschaktion, die Indien im November und Dezember in Bann hielt, hat das wirtschaftliche Leben im grossen Stil beeinträchtigt. Das geht aus einem offiziellen Bericht hervor, der vergangene Woche veröffentlicht wurde. Wegen der plötzlichen Geldknappheit mussten viele Geschäfte schliessen und verloren Beschäftigte ihre Stellen. Das Wirtschaftswachstum ging markant zurück, wie der Chefberater der Regierung, Arvind Subramanian, einräumen musste.

Ministerpräsident Narendra Modi hatte am 8. November völlig überraschend alle 500- und 1000-Rupien-Banknoten (Gegenwert rund 7,50 und 15 Franken) für ungültig erklärt. Das war 86 Prozent des gesamten Bargelds. Alle wurden so gezwungen, innert fünfzig Tagen gegen Vorweisen eines Personalausweises auf einer Bank alte Noten gegen neues Geld einzutauschen. Ziel der Aktion: Modi wollte damit das viele Schwarzgeld im Land auf einen Schlag wertlos machen und Falschgeld eliminieren. Denn alte Noten konnten nur unter Vorlage eines Personalausweises umgetauscht werden. Wer mit einem grossen Betrag ankam, machte sich verdächtig.

Doch am Ende zeigte sich: Weit mehr Noten als erhofft sind umgetauscht worden. 94 Prozent. Damit konnte viel weniger Schwarzgeld wertlos gemacht werden als geglaubt. Modi hatte damit gerechnet, dass 20 bis 30 Prozent nicht umgetauscht würden, da es sich um Schwarzgeld handle. Der Gewinn aus der Aktion war also viel kleiner, die Kosten jedoch viel höher als gedacht.

Lange Schlangen in jedem Dorf

Modis Ankündigung hatte die Nation in Panik versetzt: Alle waren besorgt. Die Hausfrau, die ein paar 500-Rupien-Noten zusammengespart hatte; der Angestellte, der gerade seinen Lohn bar auf die Hand bekam; der Tagelöhner, der eine kleine Summe auf die Seite gelegt hatte, um zum Hochzeitstag seiner Tochter Gold zu kaufen; der Händler, der seine Wocheneinnahmen noch nicht auf die Bank bringen konnte.

Lange Schlangen und Chaos vor Bankfilialen waren in jedem Dorf und jeder Stadt zu sehen. Allen fehlte es an Bargeld. Die meisten sprachen nur noch in gedämpftem Ton. Es gab Gerüchte, Modi könnte den Ausnahmezustand ausrufen. Berichte von Massenentlassungen und verzweifelten Menschen gab es aus allen Landesteilen. Am 18. November erhängte sich der 25-jährige Geschäftsmann Virender Basoya in Neu-Delhi, nachdem er mehrmals vergebens versucht hatte, seine alten Noten umzutauschen. Vielen Banken ging immer wieder das neue Geld aus. Der 70-jährige Ratna Pillai erlitt einen Kollaps und starb, nachdem er in einer langen Menschenschlange vor der Indian Bank in Chittoor gestanden hatte. Am selben Tag starb der 56-jährige Bankangestellte Rajesh Kumar in Rohtak an einem Herzinfarkt, nachdem er drei Tage lang nonstop in seiner Bank gearbeitet hatte.

Die Ärmsten traf es am schwersten. «Das war nicht einfach eine Währungskrise, sondern eine humanitäre Katastrophe», sagt Rajitha Kannan von einer indigenen Kooperative nahe Sultan Bathery in Kerala. Stammesfamilien hätten tagelang im Wald Kräuter gesammelt und diese dann nicht verkaufen können, weil niemand Bargeld gehabt habe. «Sie mussten mit leeren Händen nach Hause zurückkehren, wo es ihnen dann am dringend benötigten Geld für Nahrungsmittel und andere wichtige Dinge fehlte.»

Indirekte Entschädigung

Lange versuchte die Regierung Modi, die Auswirkungen ihrer unüberlegten Aktion herunterzuspielen. Das Volk sei bereit, etwas Mühsal auf sich zu nehmen, hiess es. Schliesslich gehe es darum, der Regierung bei der Korruptionsbekämpfung und der Eliminierung von Schwarzgeld zu helfen. Es dauerte Wochen, bis sich die Oppositionsparteien zu Wort meldeten. Mamata Banerjee, Chefministerin von Westbengalen, sprach von einer «grossen Katastrophe und dem grössten wirtschaftlichen Rückschlag seit der Unabhängigkeit». 12,5 Millionen ArbeiterInnen hätten entweder ihre Stelle verloren oder seien zumindest schwer von der Bargeldkrise getroffen worden.

Vergangene Woche hat die Regierung Modi nun das Budget für das neue Jahr vorstellt. Griffige Massnahmen zur Bekämpfung von unversteuerten Vermögen wurden dabei, entgegen den Erwartungen vieler, nicht angekündigt. Es ist zu vermuten, dass die Oberschicht ihre undeklarierten Vermögen schon längst vor Modis Coup im November in Immobilien, Aktien, Gold und Juwelen umgewandelt oder ins Ausland transferiert hatte. Wie die Regierung dagegen vorzugehen gedenkt, bleibt unklar. Dafür soll zumindest die ärmere Bevölkerung mit Steuererleichterungen und mehr staatlichen Sozialausgaben für die Verluste der vergangenen Monate entschädigt werden.

Damit hofft Modi, die Stimmung im Land wieder etwas zu verbessern, denn in den nächsten Wochen werden in mehreren Bundesstaaten die Parlamente neu bestellt. Trotz des jüngsten Fiaskos kann Modis hindunationalistische Partei BJP auf Erfolge hoffen. Nach wie vor gelingt es Modi, sich als unkorrumpierbar anzupreisen und damit die WählerInnen für sich einzunehmen. Sogar viele, die unter der Umtauschaktion besonders stark litten, setzen weiter auf ihn.

Aus dem Englischen von Daniel Stern.