Kommentar zum Phänomen Political Correctness: Überall Denkverbote!

Nr. 6 –

Wirkt Political Correctness repressiv? Auf jeden Fall fuchteln die Rechten erstaunlich erfolgreich mit der ideologischen Allzweckwaffe.

Einem weitverbreiteten Glauben zufolge schwappt über kurz oder lang jeder Auswuchs der US-amerikanischen Kultur nach Europa: Halloween und Justin Bieber, Caffè Latte mit Sojamilch und Political Correctness. Aber bloss weil diese Auffassung so populär ist, heisst das noch lange nicht, dass sie auch zutrifft. Im Fall der Political Correctness (PC) ist es schierer Aberglaube.

Als das Gespenst namens PC im Jahr 1991 erstmals durch deutschsprachige Medien spukte, ging die Kunde von angeblich alarmierenden Entwicklungen an US-Universitäten, wo ein neuer Sprach- und Tugendterror durch radikale Studierende um sich greife. Was importiert wurde, war also etwa nicht die Kultur der Political Correctness selbst, sondern von Anfang an die mediale Hysterie, die sich daran entzündete. Das ist seither der breit abgestützte Refrain geblieben im öffentlichen Reden über PC: Sie sei eine Gefahr für jede freie Gesellschaft, weil sie unser Denken knechte und uns daran hindere, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen.

Da drängt sich eine rhetorische Frage auf, wie sie jüngst ein Redaktor der «Zeit» formulierte: «Wie konnte sich das Correctness-Virus so rasend verbreiten, obwohl doch von Anfang an vor ihm gewarnt wurde?» Neuerdings soll dieses Virus ja sogar dafür verantwortlich sein, dass Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Zu viele Schwule und Lesben auf den Frontseiten der Medien – daher der Backlash, wie Slavoj Zizek in der NZZ schrieb. «Ich denke, das grosse Problem dieses Landes ist, politisch korrekt zu sein.» Das allerdings sagte nicht Zizek, sondern der Mann, der jetzt seines Amtes waltet als grösstes Problem seines Landes: Trump selber.

Dem Medienfetisch PC zum Trotz: Der Nachweis, dass wir in der Schweiz unter dem totalitären Regime einer grassierenden PC-Kultur leben, ist immer bestenfalls anekdotisch geblieben. Der rituelle Nutzen aber, den die Rechten daraus ziehen konnten, war enorm. Sie haben sich damit, so zeigt der Historiker David Eugster in dieser WOZ, eine ideologische Allzweckwaffe geschmiedet: Überall Denkverbote, verordnet von einer linken Übermacht!

Dabei wird ja längst jeder Unfug, den man sich ausdenken kann, nicht nur gedacht, sondern auch gesagt, geschrieben und gepostet, gerne mit dem Zusatz: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen! Wer da noch von Denkverboten raunt, hat entweder keinen Internetanschluss – oder braucht einfach einen Popanz, gegen den man sich auflehnen kann, in einer heroischen Geste, die gratis zu haben ist.

Aber behindert es allen Ernstes unser Denken, wenn wir uns, weil es nun mal nicht mehr zeitgemäss ist, überlegen müssen, was wir anstelle von «Mohrenkopf» sagen könnten? Klar, Identitätspolitik darf nicht als Wettbewerb darüber betrieben werden, wer auf der Skala der Diskriminierung den höheren Grad an Empfindlichkeit vorweisen kann. Aber was muss unsere Mehrheitsgesellschaft denn für ein zartes Schneeflöcklein sein, wenn sie ihre liberalen Werte allein schon von der Möglichkeit von Toiletten für Transmenschen bedroht sieht? (Haben Sie jemals eine solche Toilette gesehen? Eben. Die Toilette für Transmenschen ist die Burka der Geschlechterpolitik.)

Ist Political Correctness also ein Phantom? Nein, denn de facto ist es noch schlimmer, als die Rechte uns weismachen will: PC hat längst auch die heilige Schrift der Eidgenossenschaft in Beschlag genommen. Unter Art. 8 Abs. 2 in der Bundesverfassung heisst es: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.»

Dieser Satz beschreibt nichts anderes als die ethische Maxime von Political Correctness. Er bezeichnet den gesellschaftspolitischen Idealzustand, den anzustreben dieses Land sich in seiner Verfassung verpflichtet. Wir brauchen nicht weniger Political Correctness, sondern mehr davon.