Von oben herab: Anfang und Ende

Nr. 9 –

Stefan Gärtner über die Berner Krawalle

Ich bin ja mit meinem Porträt (s. u.) sehr einverstanden, aber gegen Patrick Feuz, den Chefredaktor vom «Bund», komme ich nicht an: gewinnendes Lächeln, in die Stirn brandende Föhnwelle, und es wäre ein Widersinn, wenn seine Meinungen nicht ähnlich gepflegt wären: «Die Hausbesetzer, für deren Sache die Krawallbrüder einzustehen vorgeben», nämlich die Berner vom vergangenen Wochenende, «sind nicht Arme ohne Perspektiven, sondern grossmehrheitlich Kinder aus gutbürgerlichen Familien, junge Menschen mit Talenten und Möglichkeiten», so wie der Feuz ja früher selbst. Und was ist aus ihm geworden! «Wir haben es weder mit einem brennenden sozialen noch mit einem besonders politischen Problem zu tun. Die Flaschenwerfer und Brandstifter verbrämen ihr Tun mit revolutionärem Geschwurbel – doch dahinter steckt vor allem Lust am Krawall und Freude an der Action.» Trotz aller «gestelzten Politparolen» sei dies bloss ein «Happening» gewesen und als solches «ein Stück weit symptomatisch für die aktuelle Diskussion über die Wohnungsknappheit: Viele möchten in der Stadt wohnen, und bitte möglichst günstig. Aber wo so viele hinwollen und gleichzeitig relativ wenig gebaut wird, kann dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Nein, aus diesem Gewaltwochenende gibt es keine Lehren zu ziehen», gottlob. Es ist nämmli alles nur «erschreckend banal: Ein Teil der Jugend liebte schon immer den Krawall.»

Ich bin, was Gewalt gegen Personen, selbst gegen Sachen angeht, ja ein durchaus lauer Typ, vom revolutionären Standpunkt aus betrachtet. Ich will Gewalt nämlich nicht, mir macht sie Beschwerden. Trotzdem (oder deshalb) sei auf einige Banalitäten aufmerksam gemacht: Der Staat als Ausdruck des Gewaltverhältnisses seiner Eigentumsordnung ist selbst ein Gewaltverhältnis, sein Gewaltmonopol das des herrschenden Besitzes. Der eklatante Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist selbstredend ein soziales Problem und eine Hausbesetzung ein genuin politischer Akt, weil die Ohnmacht sich zur Macht, der Nichtbesitz sich zum Besitz ermächtigt. (Und kein Argument dümmer und in der Logik der Klassengesellschaft befangener als das mit den Bürgerkindern, denen Unrecht, das sie nicht betrifft, egal sein soll. «Das natürliche Recht ist verjährtes historisches Unrecht», schreibt natürlich nicht die Tagelöhnerin, sondern der Bürgersohn Adorno, der die Möglichkeiten hatte.)

Ich möchte nicht, dass Flaschen fliegen; ich möchte aber auch nicht, dass unsere Bürgersleut’ so tun, als sei die Polizei eine Neutralinstanz zum Schutz einer öffentlichen Ordnung, die sich in den Dienst einer jungen Obdachlosen genauso stellte wie in den unserer alten Hausbesitzer. Wer hier unpolitisch und mit Lust am Krawall agiert, ist Klassen-Kamerad Feuz, der es bereits für einen unerfüllbaren Wunsch hält, dass gebaut wird und es Wohnraum für alle gibt. Freilich muss, wo nicht geschlagen werden soll, geredet werden: «Wenn sie mit uns diskutieren wollen, können sie das», bot Berns Stadtpräsident «Sir» Alec Graffenried im «Tagi»-Interview an. «Wenn es um Themen wie Wohnungsnot, Umgang mit leer stehendem Wohnraum, Besetzungen und Zwischennutzungen geht, besteht von unserer Seite her maximale Offenheit.»

Aber, und das sagt Graffenried halt auch: «Dort, wo die Gewalt anfängt, ist es kaum möglich, Politik zu machen.» Und sie fängt nicht an mit Flaschenwürfen Richtung Polizei. Sie endet da.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.