Pop: Ab ins Haifischbecken

Nr. 11 –

Der Schulbus ist ein Haifischbecken. Mittendrin ein kleiner Fisch, ein Persönchen, dessen Füsse kaum zum Boden reichen. Er wirkt noch eingeschüchtert, während er uns das erzählt. Dann aber, die Gitarre hat nun in die Verzerrung gewechselt, und ein punkiges Schlagzeug treibt sie voran, erhebt er seine Stimme, und die Unsicherheit weicht einer sanften, majestätischen Souveränität. Ein Aufruf zur Resilienz.

Doch der Fisch mit der hinreissenden Stimme ist kein Er, sondern die 24-jährige Lætitia Tamko. Die Szene eröffnet «Infinite Worlds», das Debütalbum ihrer Einfrauband Vagabon. In einer rohen Urfassung hiess dieser Song noch «Sharks», und statt dieser betörenden Kraft lag eher etwas Klagendes in Tamkos Stimme. Darum wohl auch der neue Name für den Song: «The Embers», die Glut. Da ist etwas passiert.

Tamko wuchs in Kamerun auf und kam mit dreizehn Jahren nach New York. Erst mit siebzehn erhielt sie ihre erste Gitarre; sie brachte sich mit Instruktions-DVDs und Taylor-Swift-Songs bei zu spielen. Nach einem Studium der Ingenieurwissenschaften fand sie zwar Anschluss an die Indie-Szene um den Do-it-yourself-Club Silent Barn in Brooklyn, wo sie erste Konzerte gab. Doch auch diese ziemlich männliche und ziemlich weisse Welt war für sie eben zuerst einmal: ein Haifischbecken.

Im Interview mit dem Magazin «Pitchfork» betont Tamko, wie befreiend die Indie-Szene für sie dennoch gewesen sei. Klar könnten sich schwarze KünstlerInnen Beyoncé oder den Hip-Hop zum Vorbild nehmen, aber für eine wie sie, die bei null angefangen habe, sei das Geschäft dieser erfahrenen Profis letztlich unerreichbar. Ein nahbares Vorbild, das will Tamko sein, für schwarze Frauen, «weird girls», wie sie sagt. Für die kleinen Fische im Schulbus.

Ihr eigenes musikalisches Selbstbewusstsein jedenfalls steht in voller Blüte. Auf «Infinite Worlds» spielt sich die Multiinstrumentalistin durch verträumten Pop, akustische Balladen, Electronica und Garagerock – und schafft es mit eleganten Arrangements und ihrer nuancenreichen Stimme, dass das alles konsistent und minimalistisch klingt. Na dann, ab ins Haifischbecken!

Vagabon: Infinite Worlds. Father/Daughter. 2017