Durch den Monat mit Badreddine Riahi (Teil 4): Wieso sind sie von Wien nach Tunesien zurückgekehrt?

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Badreddine Riahi hat sich während des Arabischen Frühlings in Tunesien für einen säkularen Staat eingesetzt. Wegen seines Aktivismus wurde er von radikalen Islamisten angegriffen und schwer verletzt.

Badreddine Riahi in der Autonomen Schule Zürich: «Ich habe mit vielen anderen Menschen versucht, dem aufkeimenden Islamismus in Tunesien etwas entgegenzusetzen.»

WOZ: Herr Riahi, als Anfang 2011 der tunesische Diktator Zine el-Abidine Ben Ali gestürzt wurde, lebten Sie noch in Wien. Wie haben Sie diesen Umsturz aus der Ferne erlebt?
Badreddine Riahi: Ich hatte schon seit längerem damit gerechnet, dass Ben Ali nicht für immer an der Macht bleiben würde. Sein Regime war dermassen korrupt und autoritär. Dennoch war das Ereignis für mich sehr aufwühlend. Ich habe die Revolution mehr oder weniger live übers Internet mitverfolgt und sass tagelang wie gebannt vor dem Computer.

Bald nach dem Sturz Ben Alis sind Sie dann aber nach Tunesien zurückgekehrt.
Ja, im Sommer 2011 hat meine Schwester geheiratet, und das Land befand sich in einem tiefgreifenden Wandel. Ich wollte einerseits am Fest teilnehmen, andererseits wollte ich in Tunesien bleiben und Teil dieser gesellschaftlichen Umwälzungen sein. Deshalb habe ich gleich nach meiner Rückkehr damit angefangen, mich zivilgesellschaftlich zu engagieren.

Wie sah Ihr Engagement aus?
Tunesien ist tief gespalten zwischen säkularen und islamischen Kräften. Da ich ein grosser Gegner des politischen Islam bin, habe ich gemeinsam mit vielen anderen Menschen versucht, dem aufkeimenden Islamismus etwas entgegenzusetzen. In diesem Zusammenhang haben wir Veranstaltungen organisiert, an denen wir Aufklärung über die schwierige Menschenrechtslage in islamischen Ländern leisteten. Wir haben viel Material über den Sudan, Saudi-Arabien, Katar oder auch den Iran gesammelt, das wir an unseren Veranstaltungen präsentierten.

Und ist Ihnen diese Aufklärung gelungen?
Ich denke, wir waren relativ erfolgreich darin, das von den radikalen Muslimen propagierte Bild einer harmonischen islamischen Gesellschaft zu hinterfragen. Wir zeigten auf, dass Menschen in Staaten, die nach der Scharia regiert werden, massiv unterdrückt werden. Viele Leute besuchten unsere Veranstaltungen, vor allem auch viele Frauen. Das war für uns sehr wichtig, da Frauen im Islam besonders unterdrückt werden. Leider wurden ziemlich schnell auch radikalislamische Kräfte auf uns aufmerksam. Sie tauchten an unseren Veranstaltungen auf, fotografierten und bedrohten uns.

Sie wurden dann auch Opfer eines gewalttätigen Übergriffs.
Ja, an einer unserer Veranstaltungen in Sousse tauchten wieder einmal Salafisten auf. Wir luden sie ein, mit uns zu diskutieren. Doch das Problem ist, dass man mit radikalen Islamisten einfach nicht diskutieren kann, es fehlt eine vernünftige Gesprächsgrundlage. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung eskalierte die Situation, die Salafisten schlugen alles kurz und klein. Ich hatte grosse Angst und versuchte zu fliehen. Zwei Männer verfolgten mich. Sie erwischten mich nach ein paar Hundert Metern und prügelten minutenlang auf mich ein. Ich verlor dabei mein Bewusstsein. Anschliessend wurde ich ins Spital gebracht.

Wie erklären Sie sich, dass islamistische Kräfte nach dem Sturz Ben Alis dermassen stark wurden?
Bereits in den neunziger Jahren hat in vielen arabischen Ländern, darunter auch Tunesien, eine schleichende Islamisierung stattgefunden. Diese Entwicklung wurde von Golfländern wie Saudi-Arabien und Katar gezielt gesteuert. Sie fingen an, radikalislamische Prediger finanziell zu unterstützen. Zudem beeinflussten sie die Menschen durch religiöse TV-Sendungen, zum Beispiel auf dem von Katar finanzierten Sender al-Dschasira. Sie wurden in einem grossen Format produziert und erreichten Millionen von Menschen im gesamten arabischen Raum.

Wieso hat die tunesische Regierung diese Propagandaoffensive der Golfländer zugelassen?
Die Golfländer haben immer ein doppeltes Spiel gespielt. Einerseits waren sie mit den Diktatoren Nordafrikas befreundet und unterstützten diese, andererseits haben sie Prediger und andere salafistische Gruppen finanziell gefördert. Als die nordafrikanischen Autokraten noch an der Macht waren, fand die Unterstützung radikalislamischer Kräfte aber eher versteckt statt. Nach dem Sturz Ben Alis wurden sie viel offensiver. Inzwischen bauen sie in Tunesien Koranschulen im grossen Stil.

Wie war das Verhältnis zwischen Staat und Religion vor dem Sturz Ben Alis?
Unter Ben Ali gab es eine klare Trennung zwischen Staat und Religion. Diese war auf den tunesischen Präsidenten Habib Bourguiba zurückzuführen, der einen Staat nach dem Vorbild der bürgerlichen Staaten Europas wollte. Als er 1956 an die Macht kam, hat er beispielsweise die im Islam verbreitete Polygamie verboten. Islamische Gerichte, die sich auf die Scharia als Rechtsgrundlage beriefen, wurden abgeschafft. An deren Stelle wurden moderne bürgerliche Richter eingesetzt. Als sich Ben Ali 1987 an die Macht putschte, wurde der Säkularismus beibehalten. Als jedoch die Macht des Ben-Ali-Regimes zu schwinden begann, haben viele seiner wichtigen Offiziere und Chefbeamten angefangen, immer stärker mit dem politischen Islam zu sympathisieren.

Badreddine Riahi (43) moderiert Deutschkurse an der Autonomen Schule Zürich. Wegen seiner Verfolgung durch radikalislamische Kräfte in Tunesien hat er in der Schweiz einen Asylantrag gestellt, der jedoch abgelehnt wurde. Sein zweites Asylgesuch ist zurzeit noch hängig. Riahi lebt in einer Notunterkunft für abgewiesene Asylsuchende in Kemptthal.