… gegen die Überwachung kämpfen: Seid gefährlich und aufmüpfig!

Nr. 12 –

Die eigene Kommunikation im Netz verschlüsseln, nicht jeden Link anklicken und vor allem: sich bei jeder Gelegenheit lautstark für diejenigen wehren, die das selbst nur schlecht können.

Illustration: Marcel Bamert

Mit einer hübschen Infografik und ein paar Statistiken in den Krieg zu ziehen, wird uns nicht mehr retten. Wir kämpfen heute gegen eine Oligarchie, die sich überhaupt nicht für die Menschen interessiert, sondern nur für ihre eigenen goldenen Türme, und das ist leider wörtlich gemeint. Ein paar Wochen nachdem Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt worden war, habe ich aufgehört zu weinen. Wenn wir nicht von Trump übermannt worden wären, hätte das vielleicht ein anderer geschafft. Deshalb lerne ich nun, was es heisst, gefährlich und aufmüpfig zu sein.

Als US-Amerikanerin, die in Europa lebt, ist es für mich trotz allem eine weitgehend neue Erfahrung, quasi durch die Linse des Internets die Vereinigten Staaten und die westliche Demokratie in Flammen aufgehen zu sehen. Ich muss mich ständig tapfer daran erinnern, was der Silberstreifen am Horizont sein könnte: vielleicht, dass wir gerade den Sturz eines lange idealisierten und romantisierten US-Empire miterleben? Und gleichzeitig das Auftauchen einer neuen Welt – sollte sie denn überhaupt weiterbestehen – mit lauter gefährlichen BürgerInnen. Indem er Empathie, Mitgefühl und verschiedene Verfassungsrechte einfach beiseitewischt, scheint Trump Amerika gerade völlig neu zu definieren. Westliche kulturelle, soziale und politische Normen und Werte tröpfeln auf eine Welt herunter, in der die Menschen eher versuchen, aus den USA zu fliehen, als dass sie noch ins Land hineingelassen werden wollen. Sogar der Brauch, uns selbst auf Facebook jedes Mal als «in Sicherheit» zu deklarieren, wenn irgendwo etwas geschehen ist, trägt zum hegemonialen Angstspektakel bei. Die Message: Niemand ist sicher.

Wie sollen wir als Einzelne dagegenhalten? Was können wir tun? Wenn ich irgendwo in den USA oder in Europa Workshops leite, in denen wir über Datenschutztechniken und so weiter reden, höre ich oft den Satz: «Ich halte mich ja an die Gesetze, also habe ich nichts zu verbergen.» Oder: «Da ich keine Ahnung vom Programmieren habe, kann ich sowieso nichts tun.» Das ist keine Haltung, mit der ich einverstanden bin, aber sagen wir es so: Ich kann die Logik dieser Leute schon nachvollziehen. Was dabei jedoch gern vergessen geht, ist die Tatsache, dass Überwachung, wenn sie schlau konzipiert ist, immer nur minimal zudringlich und möglichst nicht konfrontativ vorgeht. «Gute» Überwachung ist so designt, dass sie unsichtbar ist: Wir sollten gar nicht merken, dass sie überhaupt da ist. Tatsächlich ist es sehr einfach, so zu tun, als gäbe es gar keine Überwachung – und als hätte sie deshalb auch nichts mit mir zu tun. Dabei sind Facebook, Google und jede grössere Stadt der Welt mittlerweile voller Überwachungskameras – im konkreten wie im übertragenen Sinn.

Alle können verschlüsseln

Unsere Smartphones wissen mehr über uns als irgendjemand sonst. Google weiss, dass du einen Hautausschlag hast, Facebook kennt deine Affären, Uber weiss, wo du arbeitest und einkaufst, und dank auf dich zugeschnittener Werbung erfährst du auch gleich, wo du deine nächsten Ferien verbringen wirst. Hier gilt also tatsächlich: Niemand ist sicher. Bist du am Leben, wirst du garantiert überwacht. Warum ist das relevant? Weil die Informationen, die gesammelt werden, uns für den Rest unseres Lebens und des Lebens unserer Kinder begleiten werden. Deshalb ist es wichtig, für eine gute private Operations- und Informationssicherheit (kurz Opsec) zu sorgen. Denn wir müssen uns selbst und alle um uns herum nicht nur jetzt, sondern auch für die kommenden fünf, zehn oder fünfzehn Jahre vor den Datenspuren schützen, die wir tagtäglich hinterlassen.

Dank Hollywood und seiner Hackerfilme glauben heute alle, man müsse mindestens programmieren können, um zu wissen, wie man Verschlüsselungssoftware benutzt. Dieses Märchen muss sofort aus der Welt geschafft werden. JedeR, der oder die schon mal eine App installiert hat, kann auch verschlüsseln. Man braucht nur knapp fünf Minuten, um seine Anrufe und Textnachrichten zu verschlüsseln – zum Beispiel indem man die App «Signal» auf sein Smartphone lädt. «Signal» gilt als die sicherste Nachrichten-App für Anrufe und SMS, und man kann sie auch als Desktop-App auf dem Computer benutzen. Ohne «Signal» oder ähnliche verschlüsselte Applikationen sind unsere Anrufe und Textnachrichten potenziell im Visier von Massendatensammlungen durch Firmen; und per Gerichtsbeschluss haben auch Regierungen Zugriff darauf. Im Jahr 2017 ist es wirklich wichtig, alle Nachrichten durchgehend zu verschlüsseln, um sich selbst und alle KommunikationspartnerInnen vor Überwachungen aller Art zu schützen: jetzt und für die Zukunft.

Noch eine weitere, oft übersehene Sicherheitslücke gibt es: menschliches Versagen. Wenn du gehackt wirst, nützt dir die ganze Verschlüsselung natürlich nichts. Und die Mehrzahl der grössten Hacks in der Geschichte geht auf eine einzelne Person zurück, die einen Link in einem E-Mail angeklickt oder infizierte Software (Malware) aus einem E-Mail heruntergeladen hat, weil sie aussah wie ein Word-Dokument oder ein PDF. So wurden letztes Jahr zum Beispiel die E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta und von Colin Powell gestohlen. Meine zweite Lektion heisst deshalb: Klickt nicht jeden Link an, der euch geschickt wird. Wenn ihr eine Nachricht von eurer Bank bekommt, lasst sie links liegen, geht auf die Website der Bank, und schaut lieber direkt in eurem Kundenkonto nach. Wenn ihr ein Attachment unbekannter oder zweifelhafter Herkunft geschickt bekommt, macht es nicht auf. Verlangt stattdessen, dass man es euch direkt ins Mail kopiert.

Oft werde ich auch gefragt: «Was können wir als Gesellschaft oder Gemeinschaft tun?» Mein Ratschlag: Seid gefährlich! Unser wichtigstes Ziel muss im Moment sein, möglichst viel Krach zu schlagen. Wir müssen uns laut wehren gegen jedes anstössige Gesetz, Verbot, gegen jede Attacke auf unsere Mitmenschen oder die Gesellschaft. Gefährlich zu sein, bedeutet, dass man sich nicht einfach den Angriffen stellt, die unsere eigene persönliche Freiheit infrage stellen. Vielmehr müssen wir die Angriffe auf diejenigen Menschen ganz genau ins Visier nehmen, die ihre Stimme oft nicht gefahrlos erheben können: MigrantInnen, Nichtweisse, Frauen, Homosexuelle, Bisexuelle, Transmenschen. Sogar wenn man in den USA oder in Europa lebt und alle korrekten Dokumente besitzt, kommt es in Zügen, Bussen und natürlich an Grenzen oft vor, dass PolizistInnen auftauchen und man willkürlich aufgefordert wird, sich auszuweisen; wobei sie natürlich meistens diejenigen Menschen schikanieren, die nicht europäisch oder sonst wie «anders» aussehen.

Den Mund aufmachen

Gerade heute ist es erdrückend oft so, dass die Menschen, die am häufigsten und direktesten von Grenzkontrollen, staatlichen Dekreten oder Überwachungsanordnungen betroffen sind, sich am wenigsten wehren können, weil das gleich wieder gegen sie verwendet würde. In solchen Momenten muss es gerade für uns Weisse darum gehen, uns verantwortlich zu fühlen und auf keinen Fall den Mund zu halten, sondern uns für diejenigen starkzumachen, die es sich selbst nicht leisten können, laut zu werden.

Gefährlich zu sein, bedeutet, die AussenseiterInnen und aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen und überhaupt alle «anderen» zu verteidigen. Es bedeutet, über Sexualität, Geschlecht, Religion und sogar Fortpflanzungsfragen zu reden mit Menschen, die sich ausserhalb eurer Filterbubble oder Komfortzone befinden. Und es bedeutet, für andere zu kämpfen. Seid gefährlich, indem ihr euch für alle Randständigen einsetzt. Stellt unangenehme Fragen für diejenigen Menschen, die selber keine Fragen stellen können. Seid gefährlich, indem ihr euch selbst und alle um euch herum darüber informiert, dass man auch verschlüsseln kann, ohne eine Programmiersprache zu beherrschen.

Wenn die Welt darauf aus ist, uns Tag für Tag schlecht zu behandeln, sind folgende Dinge entscheidend: Respekt, fundiertes Wissen und ein rigoroses Verständnis für Gesetze, die andere fundamental bedrohen. Das kann zu einem echten Wandel führen. Wenn wir alle gefährlich werden, könnte das vielleicht sogar reichen, um uns alle zu retten.

Aus dem Amerikanischen von Daniela Janser.

Keine Männersache

Addie Wagenknecht (35) ist eine heute in Europa lebende New Yorker Netzkünstlerin, Programmiererin und Aktivistin. Schon in der Highschool entwickelte sie harmlose Computerviren als Kunstwerke. Gemeinsam mit anderen Hackerinnen, Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen gründete sie das cyberfeministische Kollektiv Deep Lab. Das erklärte Ziel: weisse, reiche Kerle das Fürchten lehren.

Wagenknecht agiert mit Humor, Gemeinschaftssinn und aus dem historischen Bewusstsein heraus, dass die Computerentwicklung mitnichten eine reine Männersache war, sondern von weiblichen Pionierinnen entscheidend vorangetrieben wurde. Deep Lab kämpft aber auch dagegen, dass wenig erschlossene Weltregionen direkt über eine private statt eine öffentliche Infrastruktur Zugang zum Netz erhalten.