Argentinien: Eine lange Liste der Grausamkeiten

Nr. 13 –

Präsident Mauricio Macris neoliberale Politik stösst bei den ArgentinierInnen zunehmend auf Widerstand. Für den 6. April ist nun der erste Generalstreik in seiner Amtszeit angesagt.

Argentiniens Präsident Mauricio Macri hatte gedacht, die Fernsehshow würde eine Werbeveranstaltung für ihn werden. Doch dann sagte Mirtha Legrand, eine scharfe Kritikerin von Macris linker Amtsvorgängerin Cristina Fernández de Kirchner, gleich zu Beginn diesen Satz: «Ich habe Sie sehr unterstützt, aber ich glaube, dass Sie die Realität nicht mehr sehen.»

Macri und seine Frau Juliana Awada, eine Textilfabrikantin, zuckten auf ihren Stühlen zusammen. Sie hatten die neunzigjährige Schauspielerin, eine Legende in Argentinien, für eine Sondersendung ihrer seit 1968 laufenden samstäglichen Fernsehsendung «La noche de Mirtha» in die präsidiale Residenz Quinta de Olivos geladen. Und dann das. «Lasst uns positiv denken», stammelte Awada. Und Macri versuchte zu beschwichtigen: «Das Schlimmste ist schon vorbei.» Legrand schüttelte nur den Kopf.

Der vor fünfzehn Monaten als Präsident angetretene Macri, Spross einer der reichsten Unternehmerfamilien Argentiniens, spürt Gegenwind – und das nicht nur von einer alten konservativen Dame. Seit Anfang März gibt es in Buenos Aires alle paar Tage Demonstrationen; von LehrerInnen, Gewerkschaften, Frauen und den gefürchteten Piqueteros, einer den LinksperonistInnen nahestehenden sozialen Bewegung, deren hauptsächliche Kampfform Strassenblockaden sind. Seit drei Wochen sind Lehrer und Universitätsdozentinnen im Streik und fordern eine Lohnerhöhung von 35 Prozent. Angesichts einer Inflation von 41 Prozent im Jahr 2016 (der höchsten seit fünfzehn Jahren) ein Klacks. Doch Macri bietet nur 17 Prozent. Die beiden grossen Gewerkschaftsverbände CGT und CTA mobilisieren für einen 24-stündigen Generalstreik am 6. April. Es wird der erste sein, dem sich Macri stellen muss.

Preissteigerungen bis 2000 Prozent

Die Gewerkschaften haben allen Grund zum Streik. Macris Liste neoliberaler Grausamkeiten ist lang: Gleich zu Beginn seiner Amtszeit strich er Subventionen für Wasser, Gas, Strom und den öffentlichen Personenverkehr – mit der Folge von Preissteigerungen von bis zu 2000 Prozent. Weitere Preiserhöhungen sind schon angekündigt. Macri hat zudem 20 000 öffentliche Bedienstete entlassen. Und er öffnete das Land im grossen Stil für Billigimporte aus dem Ausland. Als Folge davon mussten Dutzende einheimische Unternehmen schliessen, was zum Verlust von weiteren 120 000 Arbeitsplätzen führte.

Internationale SpekulantInnen dagegen, die seit Jahren versuchten, Argentinien Milliarden für längst wertlos gewordene Schuldverschreibungen abzutrotzen, erhielten grosszügige Abfindungen. Seiner eigenen Familie, die dem Staat seit der Privatisierung der Post 1997 zwischen – je nach Berechnungsgrundlage – 250 Millionen und 4,5 Milliarden US-Dollar schuldet, gewährte er einen Schuldenerlass.

Die Zahl der Armen unter den gut 40 Millionen ArgentinierInnen ist darüber rapide angestiegen. Allein in den ersten zehn Monaten von Macris Amtszeit wuchs sie laut amtlicher Statistik um 1,5 Millionen auf 13 Millionen. Nach Berechnungen von Sozialverbänden war die Zunahme sogar doppelt so hoch.

Hetze gegen MigrantInnen

Und es blieb nicht nur bei sozialpolitischen Grausamkeiten. In trumpscher Manier wettert Macri gegen EinwanderInnen, vor allem aus Bolivien und Paraguay. Er hat spezielle Gefängnisse für sie geschaffen, in die sie für kleinste Vergehen eingewiesen und von wo sie ohne grosse Bürokratie ausgeschafft werden können. Nach der Beobachtung von Menschenrechtsorganisationen hat die Zahl der Verhaftungen «zur Feststellung der Identität» dramatisch zugenommen, ebenso die Zahl der Todesfälle in Polizeigewahrsam.

Auch die politische Opposition wird verfolgt: In der Provinzstadt Jujuy im Nordwesten des Landes sitzt seit über einem Jahr die Indígena-Führerin Milagro Sala in Haft. Sie war nach einer Demonstration festgenommen worden. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof nannte ihre Inhaftierung einen «Akt der Willkür» und forderte die Regierung auf, Sala unverzüglich freizulassen. Der Präsident kümmert sich nicht darum. Aber er wollte den 24. März, den Gedenktag für die Opfer des Militärputschs von 1976, als Feiertag streichen. Und er hat einen Anwalt der damaligen Folterknechte als Repräsentant Argentiniens ins Interamerikanische Komitee für Menschenrechte entsandt.

Neuerdings haben sich die für Macri lange positiven Umfragewerte ins Negative verkehrt. Er ist darüber vorsichtiger geworden. Am 22. Oktober stehen Parlaments- und Senatswahlen an. Sollte die Opposition gewinnen, wird es der Präsident in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit sehr schwer haben. Die Streichung des Feiertags für die Opfer der Militärdiktatur hat er zurückgenommen, den Schuldenerlass für seine Familie in «Neuverhandlungen von null an» uminterpretiert. María Eugenia Vidal, die ihm ergebene Gouverneurin der Provinz Buenos Aires, hat streikenden LehrerInnen Geld versprochen, wenn sie an die Arbeit zurückkehren. Die Regierung schmeichelt Einzelgewerkschaften mit dem Angebot von Tarifverträgen, um im Vorfeld des Generalstreiks Keile in die Front der ArbeiterInnen zu treiben. Ob das gelingt, wird sich zeigen.