Kost und Logis: Überlebenstraining

Nr. 13 –

Ruth Wysseier haut dem Hai aufs Auge

Tun, was getan werden muss. Ohne zu zögern, kompetent, unerschrocken. Die Flugbegleiterin, die auf dem Flug nach Anchorage eine riesige Schlange mit beiden Händen packt und in einen Plastikbeutel stopft, ist mein Lieblingssinnbild in diesem feministischen März. Ausgerechnet eine Schlange! Und nein, diese Frau sieht nicht aus wie eine, die wartet, ob jemand anderes das Problem für sie löst.

Das würde mir gefallen. Selber etwas Mutiges tun in diesen unruhigen Zeiten, statt mir Stunden um Stunden auf allen Kanälen Horrorszenarien und Paniknachrichten reinzuziehen, sie am Laptop zu teilen und über andere auszuschütten.

Milliardäre in den USA reagieren kaltschnäuzig auf den Schlamassel, den sie mit angerichtet haben: Sie haben den Helikopter stets aufgetankt und die Fluchtkoffer gepackt; und sie bauen sich vorsorglich luxuriöse Überlebensbunker inklusive Salon, kleinem Operationssaal und Gartenbeeten unter Tageslichtlampen, um frisches Gemüse zu ziehen.

Aber wie kann ich mir Courage und Handlungsfähigkeit aneignen? Der schlimmste psychische Zustand ist nämlich die diffuse und lähmende Angst vor der Angst. Ist der Schrecken erst mal da, rauscht das Adrenalin durch den Körper, und das Hirn spuckt ganz vernünftige Überlebensanweisungen aus. Das fasziniert mich an modernen Robinson-Geschichten: Tom Hanks, der in «Cast Away» mausallein auf einer Insel gestrandet ist, vier Jahre von Kokosnüssen und Fisch lebt und sich mit einer Schlittschuhkufe einen eitrigen Zahn herausbricht; Matt Damon, der in «The Martian» auf dem Mars zurückgelassen wird und bald ein grosses Kartoffelfeld anlegt, um nicht zu verhungern.

Der grösste Albtraum (weil nicht aus Hollywood) passiert in der Geschichte «Die Wand» von Marlen Haushofer. Die Heldin stellt fest, dass eine durchsichtige Wand sie weiträumig von der Umwelt trennt und dass auf der anderen Seite niemand mehr lebt. Was ein Wochenende in den Bergen mit einem befreundeten Paar hätte sein sollen, wird zum einsiedlerischen Überlebenskampf. Sie entwickelt ungeahnte Fähigkeiten, natürlich baut auch sie Kartoffeln an und schreibt ein Tagebuch, um nicht verrückt zu werden.

Der Zufall hat mir neulich meine ganz persönliche Self-Empowerment-Waffe in die Hand gespielt, ein Buch mit dem Titel «The Worst Case Scenario Survival Handbook». Vierzig praktische Tipps, zum Beispiel wie man eine Tür aufbricht, eine Bombe identifiziert, einen Luftröhrenschnitt vornimmt, eine Schusswunde versorgt, aus einem sinkenden Auto entkommt oder Feuer macht ohne Zündhölzer. Jeden Abend werde ich mir jetzt ein Kapitel vornehmen und danach wieder von vorne beginnen, damit ich nicht alles vergesse.

Seit ich weiss, dass ich einen angreifenden Hai nicht auf die Nase boxen, sondern ihm eins aufs Auge geben muss, fühle ich mich einfach besser gerüstet für die verrückte Zeit, in der wir leben.

Ruth Wysseier hat letztes Jahr erstmals Kartoffeln angebaut und eine gute Ernte gehabt.