Vergewaltigungsdebatte: Schützt die Justiz die Täter?

Nr. 13 –

Tom Stranger und Thordis Elva sind jung und ein Paar. An einem Abend ist sie sehr betrunken, und er missbraucht sie zwei Stunden lang. Eine hässliche Geschichte. Viele Jahre später sucht sie den Kontakt zu ihm. Er stellt sich der Tat, und es entwickelt sich ein Dialog. Daraus entsteht das Buch «Ich will dir in die Augen sehen», das jüngst erschienen ist.

Dafür werden die beiden nun von Aktivistinnen kritisiert. Darf man sich mit seinem Vergewaltiger versöhnen und daraus einen Bestseller stricken? Klar darf frau. Sie darf es aber auch kritisieren. Der Disput ist wichtig. Denn manche Dinge sind anders, als sie scheinen. Darüber muss man reden, sonst wird es ungut. Es fällt zum Beispiel auf, dass es in Vergewaltigungsprozessen überdurchschnittlich oft zu Freisprüchen kommt. Der Verdacht liegt nahe, dass das Justizsystem die Täter schützt.

Der deutsche Kriminologe Jörg Kinzig wollte es genauer wissen. Vor kurzem präsentierte er eine Studie, in der Hunderte von Freisprüchen untersucht worden sind. Das Resultat: Es ist nicht mangelnde, sondern eher erhöhte Sensibilität, die zu den Freisprüchen führt, weil bei wackligen Fällen, die früher eingestellt worden wären, «doch eine Anklage geschrieben und ein Prozess geführt wird». Wenn sich die Tat aber nicht beweisen lässt, fällen die RichterInnen zu Recht Freisprüche.

Die Studie liefert noch eine unangenehme Erkenntnis: Selbst bei Männern, die «wegen dringendem Tatverdacht» in U-Haft sassen, kam es zu erstaunlich vielen Freisprüchen. Kinzig dazu: «Manche Menschen landen schneller in U-Haft als andere.» Von den untersuchten U-Häftlingen hatten zwei Drittel Migrationshintergrund, drei Viertel waren vorbestraft, die Hälfte arbeitslos, fast ein Viertel war ohne festen Wohnsitz. Ein Teil dieser Männer wurde eben verhaftet, weil sie ins Täterraster passten, nicht weil ein konkreter Verdacht vorlag.

Die Studie basiert auf deutschen Daten, die Ergebnisse dürften vermutlich auch für die Schweiz gelten. Auf jeden Fall gibt sie zu denken. Opferschutz ist wichtig. Es hilft den Opfern aber wenig, wenn aus gut gemeinten Reflexen neue Opfer geschaffen werden.