Besetztes Gelände in Frankreich: «Wir wollen weder befehlen noch gehorchen»

Nr. 14 –

Seit zehn Jahren verhindern BesetzerInnen den Bau eines zweiten Flughafens in der Nähe von Nantes. Auf dem Gelände betreiben nun Bäuerinnen und Aktivisten Landwirtschaft. Zu Besuch in einer selbstverwalteten Zone.

  • Barrikaden in der «Zone à défendre», der zu verteidigenden Zone: Niemand weiss, wann der Kampf gegen eine Räumung wieder beginnt.
  • Nein zum Flughafen! Beim Protest gegen das Bauprojekt geht es aber auch «um die Welt, die diesen Flughafen braucht».
  • «Wir sehen euch kommen»: Der Leuchturm mitten in der «Zone à défendre» wurde dort errichtet, wo dereinst der Tower des neuen Flughafens stehen soll.
  • «Konflikte ohne Polizei und ohne Justiz zu lösen, das braucht viel Geduld», sagt ein Bewohner. Diese Katze auf dem Bellevue-Hof schert sich nicht gross darum.
  • 2012 wurde der Hof von Inès F. enteignet – seither ist auch sie eine Besetzerin.
  • La Transfu in der Mitte der Zone: Insgesamt wohnen rund 200 ZADistInnen auf dem Gelände.
  • Bis zu 300 Kilogramm Mehl pro Woche: Camille G. in der selbst konstruierten Mühle im Kollektiv Saint-Jean-du-Tertre im Westen der ZAD.
  • Streit und Schikanen: Die Rue des Chicanes erinnert an den Kampf gegen die Räumung.
  • Die Holzhäuschen wurden von den ­BewohnerInnen eigenhändig gezimmert.
  • ZAD überall: Auf der ständig nachgeführten Landkarte sind die zwei mal zehn Kilometer grosse ZAD sowie alle Kollektive, Hütten und Wege eingezeichnet.

Die Strasse ist gesäumt von selbstgebauten Barrikaden, bemalten Schildern, alten Autoreifen und kleinen Holzhütten. An manchen Stellen ist das Pflaster aufgerissen. Wer vom Dörfchen La Paquelais zum nächsten Ort im Norden, nach Notre-Dame-des-Landes, fahren will, kommt auf der Landstrasse nur im Zickzackkurs voran. «ZAD» steht in grossen Lettern auf einem Schild, «Zone à défendre». Irgendwo bellt ein Hund, ansonsten ist es ruhig. Links neben der Strasse reiht sich Feld an Feld, rechts beginnt ein Wäldchen. Himbeerstauden wuchern am Strassenrand und trotzen dem Beton.

Die «Zone à défendre» – die zu verteidigende Zone – liegt knapp 25 Kilometer von Nantes entfernt, mitten im Departement Loire-Atlantique im Westen Frankreichs. Sie ist zehn Kilometer lang und zwei Kilometer breit. BesetzerInnen haben sie ausgerufen – sie wollen das Gelände gegen die Pläne der Regierung verteidigen, die dort einen Grossflughafen bauen will. Gut 200 Personen leben in der ZAD; nicht mitgezählt sind dabei die rund 2000 regelmässigen BesucherInnen.

Eine der ständigen Bewohnerinnen ist Camille G.* Sie lebt im Kollektiv Saint-Jean-du-Tertre im Westen der ZAD. Der Bauernhof, der Traktor, die Kühe – nichts deutet hier darauf hin, dass es sich um ein Projekt handelt, das auf dem Boden der Illegalität und der Ungewissheit steht. «Der ehemalige Besitzer überliess uns nach seiner Enteignung die Schlüssel», erzählt Inès. «Er wollte nicht, dass der Hof zugrunde geht.» Auf den Feldern bauen die BesetzerInnen nun Weizen an. In einem der Bauernhäuser hat Camille mit vier anderen eine Mühle eingerichtet; 200 bis 300 Kilogramm Mehl produzieren sie pro Woche für die Bäckereien.

Die ZAD verfügt über drei Bäckereien, eine davon im Kollektiv Bellevue, ebenfalls im Westen des Geländes. Während ein Mann mit Piercings und blumig gemusterten Hosen die letzten Brote in den Steinofen schiebt, stellen eine junge Frau und ein nicht ganz so junger Mann die fertigen Brotlaibe bereit. Daneben stehen ein Topf für die Spende und einer mit selbstgemachtem Karamellaufstrich. Der nicht ganz so junge Bäcker ist 53 Jahre alt und lebt seit sechs Jahren in der ZAD, er gehört eher zu den älteren BewohnerInnen. Die Jüngsten sind wenige Monate, der Älteste schon über achtzig Jahre alt. «Das Leben hier ist kompliziert, aber spannend», sagt der Bäcker. «Konflikte ohne Polizei und ohne Justiz zu lösen, das braucht viel Geduld.» So leben in der ZAD viele unterschiedliche Menschen verschiedenen Alters und mit diversen Ideen zusammen. «Aber eines haben wir gemeinsam», sagt der Bäcker, «wir wollen weder befehlen noch gehorchen.» So funktioniert auch die Bäckerei: Ein Kollektiv ist verantwortlich für den Betrieb; wer mithelfen will, kann sich in den Plan eintragen, der in der Backstube hängt.

Jahrzehntelanger Widerstand

Seit zehn Jahren ist das Gelände besetzt. Der Widerstand gegen einen zweiten internationalen Flughafen bei Nantes begann jedoch schon Ende der sechziger Jahre. Damals schlossen sich AnwohnerInnen und LandwirtInnen zusammen und gründeten erste Komitees gegen das Projekt. In den Achtzigern und Neunzigern lag das Bauvorhaben zwar auf Eis, im Jahr 2000 wurde es jedoch wieder aufgegriffen mit der Begründung, der bereits existierende Flughafen Nantes sei überlastet. Die AnwohnerInnen starteten daraufhin eine gross angelegte Gegenkampagne; nach und nach schlossen sich über fünfzig Vereine, politische Gruppen und Gewerkschaften dem Protest an. 2007 wurde ein erster Teil des Geländes besetzt, während des dort veranstalteten Klimacamps 2009 kamen vermehrt antikapitalistische Gruppen hinzu, die Anzahl der BesetzerInnen wuchs.

Aus dem Widerstand gegen den Flughafen wurde zugleich ein Experiment für Selbstorganisation. Die Holzhäuschen auf dem Gelände wurden eigenhändig gezimmert, der Strom kommt aus Solarpanels, die Wasserleitungen sind selbstgezogen, die Kompostklos werden selbst gebaut und geleert. Die BesetzerInnen bauen Gemüse an, das sie jeweils zweimal die Woche auf dem sogenannten Non-Market, einem Markt ohne Preise, verkaufen. Oder eben nicht verkaufen: Jede und jeder bezahlt mit einer Spende, so viel sie oder er gerade kann. In wöchentlichen Plenen organisieren die ZADistInnen ihr Zusammenleben – die Sitzungsprotokolle und das Wochenprogramm werden als kleine Zeitung an die verschiedenen Kollektive auf dem Gelände verteilt. Jemand braut selbst Bier, andere organisieren Konzerte, einige betreiben einen Radiokanal. Es gibt eine Bibliothek, ein Medienkollektiv und ein Erste-Hilfe-Team. Alles auf freiwilliger Basis, jeder nach seinen Fähigkeiten, jede nach ihren Bedürfnissen.

ZAD – so wird das Gelände auch von der französischen Regierung und dem börsenkotierten Grosskonzern Vinci genannt, der durch eine öffentlich-private Partnerschaft den Flughafen errichten soll. «Zone d’aménagement différée» ist damit aber gemeint, ein aufgeschobenes Baugebiet. Die ZADistInnen deuteten die Abkürzung kurzerhand um. Diese Bezeichnung wiederum haben andere BesetzerInnen in Frankreich aufgriffen. Insgesamt soll es in Frankreich von 2010 bis 2016 bis zu fünfzehn ZADs gegeben haben – «La ZAD est partout» (Die ZAD ist überall) lautete einer der Slogans. Auch in den Parolen der ZAD bei Nantes geht es nicht nur um den Flughafen, sondern auch «um die Welt, die ihn braucht». Es ist ein Protest gegen Vinci, einen Konzern, der auch Gefängnisse und Atomkraftwerke baut, gegen Beton, der die Natur unter sich begräbt, gegen die kapitalistische Verwertungslogik, den Mythos des endlosen Wachstums, gegen Überwachung und Kontrolle. Letztlich geht es darum, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen.

Östlich der Barrikadenstrasse gibt es weniger Kollektive, weniger geteerte Strassen, keinen Traktor. Dafür aber Trampelpfade durch den Wald, Wassergräben, Baumhütten und Piratenflaggen. Ein Schild weist darauf hin, dass Kameras, Handys und Fernseher hier nicht gerne gesehen sind. Knapp an der südlichen Grenze der besetzten Zone liegt «Le Port», der Hafen: Inmitten eines kleinen Sees schwimmt ein Floss, darauf steht ein Holzhüttchen. Der Weg zurück zur Landstrasse führt durch den Wald, vorbei an versteckten Hüttendörfchen, durch das autofreie Gebiet der ZAD. Ein junger Mann mit Bart und ohne T-Shirt kommt aus einer der Hütten. Er ist seit zwei Monaten auf dem Gelände, fährt mit seinem Fahrrad durch Frankreich. «Hier ist es schön still. Ruhiger als drüben im Westen», sagt er. «Aber die ZAD ist ja sowieso eine kleine Welt für sich.»

Mediation statt Sanktionen

Links der verbarrikadierten Strasse liegt das Areal des Kollektivs Youpi Youpi, hier leben mehrheitlich Flüchtlinge, seit der «Dschungel» von Calais im Herbst 2016 geräumt wurde. Es könne ganz schön anstrengend sein, das Leben mit so vielen Leuten, sagt eine Frau mit Kopftuch. Es sei nicht nur einfach und schön in der ZAD. «Einigen geht es nicht so gut, ein paar haben Drogenprobleme», erzählt sie, «aber auch sie sind meine Freunde.» Gerade Drogenkonsum, die Hunde auf dem Gelände, Streit zwischen den BewohnerInnen und Sexismus sind Themen, die immer wieder zu Konflikten führen. Davon zeugt auch ein Transparent an der Häuserwand der Bäckerei in Bellevue: «Hier wie anderswo – feministisch zurückschlagen gegen sexistische Gewalt». Um die Probleme auf dem Gelände anzugehen, haben die ZADistInnen eine Mediationsgruppe gegründet. Wer sich vorstellen kann, in der Gruppe zu vermitteln, schreibt seinen Namen auf einen Zettel, dann wird ausgelost. Das Team soll jedoch keine Kontrollinstanz darstellen, die jemanden bestraft, sondern mit Vorschlägen zur Seite stehen, sodass die involvierten Personen selbst entscheiden können, wie sich der Konflikt entschärfen lässt. Nur als letzte Konsequenz muss jemand die ZAD verlassen.

Auf dem Gemüsefeld in der Mitte der ZAD ist einmal die Woche kollektiver Gartentag; ein festes Kollektiv von sechs Leuten fühlt sich verantwortlich – mithelfen kann, wer will. Damien C.*, ungefähr dreissig, trägt einen braunen Bart und einen violetten Rock und schneidet Brennnesseln mit einer Sichel. Insgesamt arbeiten rund zwanzig Leute auf dem Feld, einige graben mit Spaten die Erde um, andere säen Rüben. Es ist die einzige offene Feldarbeit auf dem Gelände – und dies ohne Hilfe von grossen Maschinen. «So kann jede und jeder mitmachen ohne Expertenwissen», sagt Damien. Dass einige die Handarbeit bevorzugen, andere eher den Anbau mit Maschinen, das belege, wie unterschiedlich die Menschen in der ZAD seien. «Diese Diversität ist unsere Stärke», sagt Damien. «Das zeigte sich auch bei der Räumung. Wir haben unterschiedliche Strategien gewählt. Die Polizei konnte nie wissen, was als Nächstes geschehen würde.»

Die Räumung begann am 16. Oktober 2012. Die «Operation César» sollte eigentlich nur drei Tage dauern. Unter der Leitung des sozialistischen Politikers Manuel Valls, damals Innenminister, wurden 1200 PolizistInnen und Gendarmen aufgeboten. Mit Bulldozern, Baggern und Strassensperren begannen sie, grosse Teile des ZAD-Geländes zu räumen. «Am Anfang waren wir etwa sechzig Leute», erinnert sich Manon L.* Sie steht in ihrer Küche am Herd und kocht das Abendessen. Die Hütte, die wegen der Kuppel «Dom» genannt wird, grenzt an das Gemüsefeld, auf dem der kollektive Gartentag stattfindet. «Aber nach vier Tagen kamen mehr und mehr Leute aufs Gelände und schlossen sich dem Widerstand an.» AktivistInnen bauten Barrikaden, LandwirtInnen blockierten mit Traktoren die Zufahrtsstrassen bis nach Nantes, einige machten Sitzstreiks und Musik, manche schmissen Steine und Farbbeutel. Der Radiokanal gab die Standorte der Polizei durch. Noch legale Parzellen auf dem Gelände dienten als Zufluchtsorte. Während Bulldozer an einem Ort Hütten einrissen, bauten Protestierende woanders auf dem Gelände bereits neue auf.

Die Auseinandersetzungen hielten an. Die ZADistInnen gaben nicht auf, auch wenn sie das Schlimmste befürchteten. Auf den 17. November mobilisierten sie für eine Demonstration zur Wiederbesetzung der Zone. 40 000 Leute folgten dem Aufruf. «Es waren so viele Leute, ich konnte es kaum glauben», sagt Manon. «Alte, junge, und es kamen immer mehr. Als die ersten in der ZAD angekommen waren, standen die letzten noch beim Treffpunkt in Notre-Dame-des-Landes.» Einige Tage später folgte der «Kampf im Wald», wie er in der ZAD genannt wird – eine Zäsur. Etwa tausend Leute stellten sich in der Forêt de Rohanne der Polizei entgegen, diese antwortete mit Gummischrot, Tränengas und Schockgranaten. «Bei diesen Granaten bohren sich kleine Metallsplitter unter die Haut», erklärt Manon. Hundert AktivistInnen seien durch den Polizeieinsatz schwer verletzt worden. Die Bilder gingen durch die Medien. «Das war der grosse Fehler der Regierung. Die Stimmung kippte, die öffentlichen Sympathien hatten wir von da an auf unserer Seite.» Nach fast eineinhalb Monaten wurde die Räumung abgebrochen. Die Polizei installierte daraufhin während sechs Monaten zwei Checkpoints in der Zone. Für Manon und die anderen BewohnerInnen bedeutete dies wahllose Kontrollen und Festnahmen. «Das war ein Machtspiel. Sie wollten uns signalisieren: Wir sind noch immer hier, ihr habt nicht gewonnen.»

Die Strasse mit den Barrikaden ist einer der wenigen Hinweise, die noch an die Räumung erinnern. «Rue des Chicanes» heisst sie auf der ZAD-eigenen Landkarte, auf der die Kollektive, Hütten und Wege eingezeichnet sind. Strasse des Streits, Strasse der Schikanen. Die ausgebrannten Autos, die sich die Natur wieder angeeignet hat und aus denen Pflanzen spriessen, stehen für einen vorläufig gewonnenen Kampf – von dem aber niemand weiss, wann er wieder beginnt. Wann die Barrikaden nicht mehr Symbole sind, sondern direkte Verteidigung bedeuten.

Viel hängt von den Wahlen ab

Wie die Zukunft der ZAD aussieht, das werden die Ende des Monats anstehenden Wahlen zeigen. Der republikanische Präsidentschaftskandidat François Fillon spricht sich für den Flughafen und gegen die ZAD aus. Es könne nicht sein, dass ein ganzes Terrain «seit Jahren von Gesetzlosen besetzt» werde, dies «schwäche die Staatsautorität von ganz Frankreich», sagte Fillon bei einer Rede am 27. März in Nantes. Wegen diverser Skandale – wie der mutmasslichen Scheinbeschäftigung seiner Frau auf Kosten des Parlaments – hat Fillon aber massiv an Chancen eingebüsst. Der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron steht einem zweiten Flughafen skeptisch gegenüber, würde ihn aber tendenziell bauen lassen. Die Präsidentschaftskandidaten des parlamentarisch linken Flügels, Benoît Hamon und Jean-Luc Mélenchon, sind gegen den umstrittenen Bau. Das Gleiche gilt für Marine Le Pen, die Kandidatin des rechtsextremen Front National. Die besetzte ZAD würde sie aber räumen lassen – man brauche Entschiedenheit, denn es könne nicht sein, dass sich «der Staat einer winzigen Gruppe Anarchisten» unterordne, sagte sie kürzlich.

In einem Restaurant in Notre-Dame-des-Landes sympathisiert man mit Marine Le Pen. Die Kellnerin mit blond gefärbten Haaren hinter dem Tresen beklagt, dass die ZAD ein schlechtes Licht auf die Gegend werfe und so das Gewerbe bedrohe. Im Sommer 2016 fand im Departement Loire-Atlantique ein konsultatives Referendum über den geplanten Flughafen statt. 55 Prozent der Stimmenden waren für das Projekt – die um die ZAD liegenden Regionen sagten jedoch deutlich Nein. Sie habe beim Referendum Ja gestimmt, sagt die Kellnerin, vor allem weil sie gegen die ZAD sei. Ihr gegenüber am Tresen sitzt ein älterer Herr: «Das ist ein rechtsfreier Raum. Wenn ich zu Hause das Gesetz breche, kommt die Polizei», sagt er. «Aber die kommen von überall her und besetzen hier. Warum?» – «Le Pen ist zwar gegen den Flughafen», sagt die Kellnerin, «aber sie respektiert die Demokratie. Es braucht endlich einen definitiven Entscheid.» Die Kontroverse spalte die lokale Bevölkerung in drei Gruppen: jene, die für den Flughafen seien, jene, die dagegen, aber auch gegen die ZAD seien, und die FlughafengegnerInnen, die die ZAD gut fänden.

Eine der lokalen Flughafengegnerinnen ist die Bäuerin Inès F.*; sie sympathisiert nicht nur mit der ZAD – sie zählt sich zu ihr: «Die Besetzer, das sind auch wir», sagt die 52-Jährige mit den kurzen Haaren. Mit Gummistiefeln und Hosenanzug steht sie im Kuhstall und verteilt mit der Mistgabel Heu. Seit 1999 lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann auf dem Hof. 2012 wurde das Paar wegen des geplanten Flughafens enteignet, der Hof zu Staatseigentum erklärt. Seitdem sei nichts weiter passiert, nach fünf Jahren sollte demnach rechtlich das Land wieder an die ursprünglichen BesitzerInnen zurückgegeben werden, sagt Inès. Das Paar zog deshalb vor Gericht. «Die Politik handelt nicht aus Vernunft, sondern aus Machtgier. Der Flughafen ist unökologisch und überflüssig.» Der illegale Status mache sie nervös. «Es ist anstrengend. Wenn die Polizei uns verhaftet, was passiert dann mit den Kühen?» Sie hofft, bleiben zu können, gemeinsam mit der ZAD. «Solange alle bleiben, sind wir stark!»

Wenn die Flughafenpläne definitiv verworfen würden, erhielten die lokalen Bauernhöfe ihr Land zurück. Auf den besetzten Teil des Geländes warteten bereits die Grosslandwirte aus der Umgebung, meint Camille von der Mühle im Westen. Sie zögert, ob sie eine endgültige Beerdigung des Flughafenprojekts wirklich gut finden soll: «Wir sind unterschiedliche Leute, momentan haben wir ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Gegner», sagt sie, «aber wenn das Projekt begraben wird, werden die unterschiedlichen Interessen wieder wichtiger. Und was dann?»

Neue Konfrontationen drohen

«Wenn sie das Projekt stoppen, dann werden wir als Nächstes dafür kämpfen, das Land zu behalten», sagt Manon in ihrer Hütte, dem Dom. Wünschenswert wäre jedoch, wenn der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin «Besseres zu tun» hätte, als die ZAD zu räumen, «dann könnten wir unsere lokalen und internationalen Kontakte ausbauen und den Widerstand gegen den Flughafen mit anderen Kämpfen verbinden». Die Solidarität mit anderen Protesten ist ein wichtiges Thema in der Zone. So fuhren erst Ende März zwei Busse voller ZADistInnen nach Paris, um an einer Demonstration gegen Polizeigewalt und Rassismus teilzunehmen (siehe WOZ Nr. 12/2017 ).

Konfrontationen mit der Polizei drohen auch bei einem möglichen erneuten Versuch, die ZAD zu räumen. «Wir hatten schon bei der Räumung 2012 Angst, dass sie auf uns schiessen würden», sagt Manon. «Seitdem wurden die Gesetze verschärft, und wir leben im permanenten Ausnahmezustand.» Am 18. März hat Nochpräsident François Hollande den «état d’urgence» um weitere drei Monate verlängert. Frankreich wird dem neuen Staatsoberhaupt demnach mitsamt den Notstandsgesetzen übergeben – Gesetze, die es der Regierung erlauben würden, sogar das Militär für die Räumung aufzubieten.

Noch ist es ruhig. Auf der Strasse grüsst man sich im Vorbeigehen. Die meisten sind auf Fahrrädern unterwegs. Dazwischen liegen die Felder. Kurz bevor die Sonne untergeht, schimmern die Wolken lila. Die ZADistInnen geben sich kämpferisch und zuversichtlich. Während der vergangenen zwei Monate haben sie in der Mitte des Geländes einen zwanzig Meter hohen Leuchtturm gebaut. In der Konzeptplanung des Flughafens soll ungefähr dort der Tower eingezeichnet sein. Der ZAD-Turm ragt in die Luft – von ganz oben wird die Polizei schon von weitem zu beobachten sein. Er signalisiert: «Wir bleiben, wir sehen euch kommen, und wir sind allzeit bereit.»

* Namen geändert.

Nachtrag vom 25. Januar 2018 : Emmanuel Macrons Kehrtwende

Das Ende eines der umstrittensten Bauprojekte Europas ist beschlossen: Vergangene Woche verkündete die französische Regierung das Aus für den geplanten Grossflughafen Notre-Dame-des-Landes in der Nähe von Nantes im Nordwesten des Landes – und sorgte damit für Jubel bei den GegnerInnen des Projekts. Der Streit um den Flughafenneubau schwelt schon seit Jahrzehnten; letztlich hat sich der lange Atem der Anwohnerinnen und Umweltschützer ausgezahlt.

Eine wirkliche Überraschung ist die Kehrtwende der Regierung allerdings nicht: Mit Nicolas Hulot hatte Emmanuel Macron einen landesweit populären Umweltaktivisten zum Minister gemacht; ausserdem hat der französische Präsident in den vergangenen Monaten gerade auf internationaler Ebene immer wieder versucht, sich als Klimaschützer zu profilieren. Nun mit aller Gewalt den Bau eines Flughafens durchzusetzen, dessen Sinn zudem nicht nur von eingeschworenen AktivistInnen infrage gestellt wurde, hätte da nur schlecht ins Bild gepasst.

Andererseits hatte Macron sich noch während seiner Präsidentschaftskampagne tendenziell für das Projekt in Notre-Dame-des-Landes ausgesprochen – auch weil die Mehrheit der BürgerInnen bei einer Befragung vor zwei Jahren für den Bau votiert hatte. Jedenfalls schäumt die Rechte nun über den «Verrat» und angeblichen Kniefall des Präsidenten vor «durchgeknallten Extremisten».

Ein Ende des Konflikts in Notre-Dame-des-Landes bedeutet der Regierungsbeschluss sowieso noch nicht. Den AktivistInnen vor Ort geht es schon lange nicht mehr nur um den Widerstand gegen einen Flughafen. Auf dem eigentlich für den Airport freigeräumten Gelände nördlich von Nantes ist schon vor Jahren die sogenannte «Zone à défendre», kurz: ZAD, entstanden – ein besetztes Areal, dessen BewohnerInnen alternative Lebensformen jenseits von Staat und Kapital erproben. Bei der Verkündung des Aus für den Flughafenbau räumte Premierminister Edouard Philippe zugleich den AktivistInnen bis zum Frühjahr Zeit ein, das Gelände zu räumen; diese wiederum kündigten Widerstand an.

Falls die Regierung die Besetzung nicht doch noch legalisiert, könnte es also in einigen Wochen zum Showdown kommen. Schon 2012 hatte die Regierung versucht, die ZAD zu räumen, was damals aber am Widerstand Tausender AktivistInnen gescheitert war.

Daniel Hackbarth

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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