Kino-Filme «Tiger Girl» und «Le Ciel attendra»: Obacht, hier kommt der Unordnungsdienst!

Nr. 14 –

Mädchen in Uniform kommen überallhin, zumindest im Kino: Im Film «Tiger Girl» spielen sie Autorität, in «Le Ciel attendra» wollen sie nach Syrien.

Zeig mir dein Hämatom, dann zeig ich dir meins: Margarethe (Maria Dragus) und Tiger (Ella Rumpf) in «Tiger Girl» von Jakob Lass. Foto: Constantin Film / Fogma

Wie war das nochmals mit den guten und den bösen Mädchen? Die einen, weiss die Ratgeberliteratur, kommen in den Himmel, die anderen angeblich überallhin. Bloss, wer bestimmt denn, wann ein Mädchen gut ist, wann böse? Und erkennt man das vielleicht am Stoff, den sie tragen?

Testperson 1 ist gewiss kein böses Kind, wie wir sie im Film «Le Ciel attendra» kennenlernen. Die junge Französin Mélanie (Naomi Amarger) übt brav Cello und streift gerne verträumt durch die Natur, sie besucht ihre todkranke Oma im Spital, in der Schule sammelt sie Bleistifte für Burkina Faso. Dann stirbt die Oma, und Mélanie verliert etwas den Boden unter den Füssen. Trost findet sie auf Facebook, bei einem anonymen Freund mit stolzem Löwenhaupt als Profilbild. Er nennt sich «Freiheitsfan», er rührt sie zu Tränen mit einem Tiervideo über die afrikanische Wildnis, und wenn er mit Mélanie flirtet, bleibt er auffällig keusch dabei.

Scharia statt Cello

So beginnt das mit ihrer Radikalisierung. Ein tröstender Chat auf Facebook, ein Video aus der Tierwelt, und ihr jugendlicher Idealismus wird auf allerlei Verschwörungstheorien umgeleitet, die Schleusen werden geöffnet für eine neue Frömmigkeit. Scharia statt Cello: Es geht dann schon etwas fix, wie diese Mélanie von ihrem virtuellen Vertrauten zur Dschihadistin mit Destination Syrien umgedreht wird, aber abgesehen von solcher dramaturgischer Verkürzung entspricht das wohl gängigen Rekrutierungsmethoden des Islamismus im Netz.

«Le Ciel attendra» ist ein ambitionierter Problemfilm, klug konstruiert und wie gemacht als Debattenstoff für die Schule. Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar hat dafür mit der Radikalisierungsexpertin Dounia Bouzar zusammengearbeitet, die in Frankreich ein Beratungszentrum leitet. Bouzar spielt im Film sich selbst, wir sehen sie auch in Gesprächen mit Sonia (Noémie Merlant), die als Gegenfigur zu Mélanie angelegt ist: gutbürgerliche Familie, Vater mit arabischem Namen, aber sogenannt gut integriert, also assimiliert. Vor allem aber hat Sonia ihre Konversion zum Islamismus schon hinter sich. Verhaftet wegen Terrorverdacht, steht sie jetzt daheim unter Hausarrest, während ihre Eltern versuchen, sie in ihre Welt zurückzuholen. Das eine Mädchen nähert sich dem radikalen Islam an, das andere soll entradikalisiert werden: Das sind die gegenläufigen Bewegungen, die in diesem Film parallel geführt werden. Am Ende hat Mélanie ein Paket in der Post, drin ist ein Niqab, extra für sie.

Testperson 2 trägt lieber säkulare Uniformen, das ist Margarethe (Maria Dragus) im Film «Tiger Girl». Die will eigentlich auf die Polizeischule, um Gutes zu tun und den Leuten zu helfen. Aber dann fliegt sie – in hohem Bogen – durch die Aufnahmeprüfung, also bleibt ihr nur ein Kurs bei einer privaten Sicherheitsfirma, in dem sie lernt, andere und auch sich selbst zu disziplinieren. Ihre Lust an der Disziplinlosigkeit entdeckt sie nebenbei mit Tiger, von der Schweizerin Ella Rumpf («Chrieg») als glamouröser Outlaw gespielt. Zu zweit machen sie die Gegend unsicher, in geliehenen Uniformen, als Wachfrauen von eigenen Gnaden. Obacht, hier kommt der Unordnungsdienst!

Ein halber Schutzengel

«Tiger Girl» ist der zweite Film des deutschen Guerillafilmers Jakob Lass («Love Steaks»). Mit französischem Realismus ist hier nichts, dies ist eine Ermächtigungsfantasie aus dem Geist von Pop und Improvisation, knallig und plakativ. Wie ein Phantom taucht Tiger anfangs aus der Nacht auf und rettet Margarethe gleich doppelt vor Übergriffen, einmal auch mit Baseballschläger in der Hand. Tiger ist halb Ich-Ideal, halb schlagkräftiger Schutzengel, und wie Lass mit dieser Figur spielt, das ist «Fight Club» mit Mädchen in Uniform, mit einer fiebrigen Kamera, die in Ella Rumpf genauso verschossen ist wie damals in Brad Pitt. Motto: Zeig mir dein Hämatom, dann zeig ich dir meins.

Zusammen spielen diese jungen Frauen dann Autorität, weil der Stoff, den sie tragen, ihnen die nötige Macht verleiht – und führen mit ihrer Maskerade schamlos die Uniformgläubigkeit der Leute vor. Crossdressing also, aber nicht mit Geschlechteridentität, sondern mit den Emblemen der Ordnungsmacht. So behelligen sie zwei jugendliche Kiffer im Park, um dann dreist deren Velos zu «konfiszieren». Sie schikanieren einen Macker, weil der mit nacktem Oberkörper im Park liegt. Oder sie heissen ein argloses Opfer, sich auszuziehen, um den armen Mann dann total willkürlich ein wenig zu betatschen, bis es ihm zu viel wird.

Der anarchische Geist trägt hier Uniform, und die Frage, die sich unweigerlich einschleicht, ist: Wo hört der Spass der beiden Anarchos auf, wo verhärtet sich ihr situationistisches Spiel zum faschistoiden Ritual? Der Film weiss um solche Unschärfen, und es ist Tiger, die Margarethe bremsen muss, als diese anfängt, die Gewalt zu geil zu finden. Was dagegen Mélanie in «Le Ciel attendra» vollzieht, ist eine Rebellion der Hörigkeit. Sie setzt sich von ihrer Welt ab, indem sie tut, was ihr virtueller Prinz ihr aufgibt. Das brave Mädchen wird zur braven Islamistin. Und brav sein, das weiss auch die Ratgeberliteratur, bringt uns nicht weiter.

Beide Filme ab 6. April 2017 im Kino.

Le Ciel attendra. Regie: Marie-Castille Mention-Schaar. Frankreich 2016

Tiger Girl. Regie: Jakob Lass. Deutschland 2017