Bildungspolitik: Demokratische Schule nicht erwünscht

Nr. 19 –

Die Winterthurer Brühlberg-Schule war ein pädagogisches Vorzeigeprojekt. Nun haben alle LehrerInnen gekündigt, der Präsident der Schulkreispflege steht unter massivem Beschuss. Wie ist es zu diesem Scherbenhaufen gekommen?

Mit medienwirksamen Protesten machen zahlreiche Eltern einer Quartierschule in Winterthur seit fünf Wochen auf Missstände aufmerksam. Die Rede ist vom Primarschulhaus Brühlberg: Alle acht LehrerInnen haben dort ihre Stelle auf Ende Schuljahr gekündigt. Dies, nachdem die Kinder bereits in den vergangenen drei Jahren zahlreiche Abgänge verkraften mussten.

Der Unmut richtet sich gegen die Schulleiterin, die (zusammen mit dem grünen Schulkreispräsidenten Felix Müller) eine einst vorbildhafte Schule in Rekordzeit «an die Wand gefahren» habe. Doch der Konflikt geht über Führungsprobleme und persönliche Animositäten hinaus. Er wirft grundsätzlichere Fragen auf: Wie kann eine Kleinschule mit einem eigenen pädagogischen Konzept in einem einheitlich ausgerichteten Schulsystem überleben? Und wie soll die demokratische Kontrolle unseres Schulwesens aussehen?

Geplante Rationalisierungen

Die Brühlberg-Schule, vor über zwanzig Jahren gegründet, setzte von Beginn an auf altersdurchmischtes Lernen, auf Selbstverantwortung der Kinder und auf basisdemokratische Strukturen. Die Schule hatte Modellcharakter, wurde 2009 mit einem Förderpreis der Pädagogischen Hochschule Zürich ausgezeichnet. «Die Schule war etwas Besonderes», sagt eine ehemalige Lehrerin. «Die Kinder sollten sich selbst wirksam einbringen können, viel mitbestimmen. Für uns Lehrerinnen bedeutete das mehr Arbeit. Aber die habe ich gerne geleistet, weil man von der Schulleitung viel Vertrauen und Autonomie bekam.»

Doch seit der Jahrtausendwende vollzieht sich in der Schweiz eine Entwicklung hin zu «teilautonomen Volksschulen» – die Politik erhofft sich davon Rationalisierungs- und Spareffekte. So werden SchulleiterInnen eingesetzt, die auf einer mittleren Führungsebene oft für mehrere kleinere Schulen zuständig sind. Noch einschneidender sind für Schulen wie den Brühlberg die vielerorts eingeführten SchülerInnenpauschalen. Während früher Stellen für die einzelnen Schulen vom kantonalen Volksschuldepartement genehmigt wurden, werden den Gemeinden nun die Ressourcen aufgrund sozialindexierter Stellenprozente pro SchülerIn zugeteilt. Die effektive Zuteilung der Stellen obliegt der Schulpflege – oder in grösseren Städten wie Zürich und Winterthur den einzelnen Schulkreisen.

Konflikt um die Zusammenlegung

Mengia Isenbügel war von 2001 bis 2014 Schulleiterin im Brühlberg. Ihre Institution, sagt sie, sei immer vom Goodwill der Schulpflege abhängig gewesen. Als die Schule 1996 gegründet wurde, sei sie vom damaligen Kreisschulpräsidenten Walter Oklé unterstützt worden. «Oklé war so etwas wie der Götti unserer Schule. Er fand das Projekt spannend, war mit Herzblut dafür. Als Felix Müller 2006 seinen Posten übernahm, begann sich das Klima ganz langsam zu verändern.»

Ein erster Knall folgte mit dem Entscheid der Kreisschulpflege, die Brühlberg-Schule im Jahr 2014 mit dem Neuwiesen-Schulhaus zusammenzuführen. «Wir setzten grosse Fragezeichen, ob das eine kluge Idee ist», sagt Isenbügel. «Die beiden Schulhäuser funktionierten nach ganz anderen Modellen.» Die Brühlberg-Schule focht den Entscheid an. Deshalb sei es zum Zerwürfnis gekommen, sagt Isenbügel: «Felix Müller warf mir vor, ich sei ihm gegenüber illoyal, weil ich zu meinem Team hielt statt zu ihm.»

Im Nachhinein ist für Isenbügel klar: «Müller sah in der Zusammenlegung der beiden Schulen eine Chance, seine Vorstellungen durchzusetzen.» Denn zu einer solchen Massnahme sei er nicht gezwungen gewesen. Stefan Fritschi, Präsident der Zentralschulpflege Winterthur, sagt dazu: «Die Kreisschulpflegen hatten lediglich die Weisung, die Schulleitungen zu reorganisieren, wir erwarteten von einer Schulleitung ein Minimalpensum von mehr als fünfzig Prozent. Dabei hatten wir die Brühlberg-Schule nicht speziell im Kopf – eine andere Regelung wäre möglich gewesen.»

2014, kurz vor ihrer Pensionierung, kündigte Mengia Isenbügel. Mit der Leitung der beiden zusammengelegten Schulen betraute Müller neu die Schulleiterin Martina Bohraus. Doch die Unzufriedenheit mit dieser wuchs schon bald. Bohraus habe die nötige Übersicht vermissen lassen, behaupten mehrere ehemalige Lehrerinnen. «Sie schien mir sehr weit weg vom Schulalltag», formuliert es die langjährige Brühlberg-Lehrerin Lucia Agosti, die nach anderthalb Jahren unter der neuen Leitung kündigte. «Sie kannte die Besonderheiten der Schule nicht. Und sie brachte aus der Privatwirtschaft eine ganz andere Vorstellung von Führung mit. Das zeigte sich zum Beispiel an Sitzungen, die wir früher vor allem dazu genutzt hatten, über pädagogische Probleme in den einzelnen Klassen zu reden. Nun bestanden sie vor allem aus Mitteilungen der Schulleitung.»

Weder Felix Müller noch Martina Bohraus nehmen derzeit öffentlich Stellung zu den Geschehnissen. E-Mail-Anfragen blieben unbeantwortet. Bohraus ist mittlerweile krankgeschrieben. Während sich die Grünen der Stadt Winterthur ursprünglich hinter ihren Schulkreispräsidenten Felix Müller stellten, legen sie ihm inzwischen den Rücktritt nahe – doch bislang sitzt er die Sache aus.

Eingreifen kann die Stadt Winterthur nicht: Im Gegensatz etwa zum Kanton St. Gallen sind die Schulpflegen in Zürich autonom. Nina Schneider, Lehrerin und Politikerin der Winterthurer Alternativen Liste (AL), stellt das nicht grundsätzlich infrage. Doch sie sagt: «Die Kreisschulpflege müsste demokratischer funktionieren. Es darf sich nicht zu viel Macht bei einer Person anhäufen.» In Winterthur wurden die Schulkreise vor einigen Jahren von sieben auf vier reduziert. Dabei wurden die Kreisschulpflegen personell verkleinert, die Position der PräsidentInnen hat man hingegen gestärkt: «Ihre Pensen wurden erhöht, während die anderen Mitglieder mit Minimalpensen arbeiten und eher schlecht entlöhnt werden. Das halte ich für schädlich», sagt Schneider.

Hierarchisierte Strukturen

Schneider sass zwei Jahre lang mit Felix Müller in der Kreisschulpflege Stadt-Töss. Müller seien die hierarchischen Strukturen entgegengekommen, sagt sie. «Er hielt die Fäden gerne selber in der Hand.» Zudem habe er schlecht kommuniziert. «Über wichtige Ereignisse in meiner Schule informierte mich Felix Müller oft nicht. Man konnte froh sein, wenn man wenigstens auf Nachfrage etwas erfuhr.» Vor zwei Jahren ist Schneider aus der Schulpflege zurückgetreten: Sie habe das Gefühl bekommen, diese existiere bloss zum Schein, sagt sie. «In der Realität liegen die Kompetenzen bei den Präsidenten.»

Eltern und VertreterInnen der Brühlberg-Schule haben beim Winterthurer Bezirksamt zum zweiten Mal Beschwerde gegen Felix Müller und Schulleiterin Martina Bohraus eingereicht. Einschreiten kann dieses jedoch nur, wenn rechtliche Verstösse vorliegen. Eine Lösung für die achtzig Kinder im Brühlberg-Schulhaus scheint deshalb gegenwärtig in weiter Ferne.