«Weder links noch rechts»: Wohin galoppiert der heilige Emmanuel?

Nr. 19 –

Der neue französische Präsident Emmanuel Macron steht in einer langen Tradition von SozialdemokratInnen, die durch ihre Wirtschaftspolitik zum Aufstieg des rechten, xenophoben Front National beigetragen haben. Seine Präsidentschaft birgt aber auch ein wenig Hoffnung.

Emmanuel Macron wurde aufgrund einer Parole zu Frankreichs Präsidenten gewählt, die die FaschistInnen in den dreissiger Jahren skandierten: Er sei «weder links noch rechts», behauptet auch er. Damit schaffte er es zusammen mit Marine Le Pen vom Front National (FN) in den zweiten Wahlgang, in dem die FranzösInnen den 39-Jährigen mit Zweidrittelmehrheit zum Präsidenten der sechststärksten Wirtschaftsmacht der Welt erkoren haben.

Natürlich ist Macron kein Faschist. Der Grund für seine Behauptung ist vielmehr, dass er sich als genaue Antithese zum FN erfunden hat, der das Gleiche auch von sich behauptet.

Dass sich Macron im zweiten Wahlgang durchgesetzt hat, ist eine gute Nachricht. Erstens, weil er damit Le Pen verhindert hat. Linke, die glauben, dass fünf Jahre unter dem xenophoben FN ihr Lager gestärkt hätten, sollten einen Blick in die Geschichte werfen: Der Aufstieg des Nationalismus Anfang des 20. Jahrhunderts endete erst mit dem Zweiten Weltkrieg. Zweitens hat mit Macron ein Mann gewonnen, der dem dunklen Zeitgeist weitgehend progressive gesellschaftspolitische Ideale entgegenhält. Einer, der mitten im Wahlkampf gegenüber einem algerischen Fernsehsender Frankreichs Kolonialismus als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» bezeichnete, für das sich sein Land entschuldigen sollte, der weltoffen ist und die Religionsfreiheit auch für MuslimInnen, innerhalb der Grenzen des Gesetzes, verteidigt.

Das ist nach der Brexit-Entscheidung und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten nicht nur ein wichtiges Symbol. Mit Macron wird künftig eine gewichtige, weitgehend gesellschaftsliberale Kraft am globalen Verhandlungstisch sitzen.

Fataler «dritter Weg»

Und trotzdem droht die Gefahr, dass nach fünf Jahren Macron Le Pen gestärkt in die Präsidentschaftswahl 2022 gehen wird. Indem Macron den klassischen Konflikt zwischen rechts und links, zwischen Kapital und Arbeit, durch einen Konflikt zwischen seiner neuen Partei La République en Marche und deren Antithese, dem FN, zu ersetzen versucht, schwächt er die traditionellen Parteien und adelt den FN zur privilegierten Opposition. Seine Botschaft: Entweder man ist mit ihm – oder mit dem FN.

Doch das ist nicht alles. Obwohl Macron Neuheit verspricht, steht er in Wahrheit in einer langen sozialdemokratischen Tradition, die mit einer rechten Wirtschaftspolitik den Aufstieg des Rechtsnationalismus mitzuverantworten hat: angefangen bei Präsident François Mitterrand, der 1983 die wirtschaftspolitische «Wende zur Austerität» vollzog, über den einstigen britischen Premierminister Tony Blair und seinen «dritten Weg» bis hin zu François Hollande, dessen Arbeitsmarktreform Macron als Wirtschaftsminister entworfen hat.

Zuerst halfen sie mit, die Schranken für Kapital, Güter und Dienstleistungen zwischen den Ländern abzubauen, womit die Beschäftigten überall auf der Welt miteinander in Konkurrenz gerieten. Im darauf folgenden globalen Standortwettbewerb senkten sie die Steuern für Konzerne und Reiche und liberalisierten die Arbeitsmärkte. Die soziale Not, die diese Wirtschaftspolitik verursachte, bekämpften sie schliesslich durch die Aufnahme von Schulden, bis die Blase 2007 platzte und zu einer Wirtschaftskrise führte, die seit zehn Jahren andauert (siehe WOZ Nr. 17/2017 ).

Das Resultat ist eine Welt, in der diejenigen mit Kapital und der nötigen Ausbildung als SiegerInnen hervorgehen, während alle anderen dem technischen Wandel ausgeliefert sind, der immer mehr auf ihre Löhne drückt. In Frankreich haben viele GewinnerInnen Macron gewählt, viele VerliererInnen Le Pen.

Macron antwortet auf diese Probleme mit noch mehr vom Gleichen. Er will die Unternehmenssteuern weiter von 33 auf 25 Prozent senken, die Vermögenssteuer weitgehend abschaffen und Kapitaleinkommen steuerlich gegenüber Löhnen bevorzugen. Nach der jüngsten Arbeitsmarktreform, die längere Arbeitszeiten erlaubt und den Kündigungsschutz gelockert hat, wartet er zudem bereits mit der nächsten Gesetzesänderung auf: Sie soll Firmen ermöglichen, Branchenverträge zu umgehen, indem sie direkt mit ihren Angestellten längere Arbeitszeiten aushandeln können.

Schröders Kopie?

Als Beweis, dass diese Politik funktioniert, wird meist Bundeskanzler Gerhard Schröders Agenda 2010 genannt, seit der Deutschland angeblich viel produktiver ist als Frankreich. Das ist falsch. Die Produktivität der beiden Wirtschaften hat sich seit 1970 genau gleich entwickelt, von knapp 20 auf rund 55 Euro pro geleistete Arbeitsstunde, wie der Ökonom Thomas Piketty gezeigt hat – Ähnliches gilt für die Wirtschaftsleistung pro Kopf. Die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts in Deutschland hat lediglich dazu beigetragen, dass die Arbeit auf mehr Köpfe zu tieferen Löhnen verteilt ist, womit auch die Arbeitslosigkeit gesunken ist.

Die tiefen Löhne ermöglichen Deutschland zudem, Exportüberschüsse zu erzielen, das Land exportiert mehr, als es importiert. Um diese Überschüsse aufzukaufen, müssen sich jedoch andere Länder verschulden, wie etwa Frankreich, wo die öffentlichen Schulden und die Haushaltsschulden stark gestiegen sind. Vielleicht gelingt es auch Macron, mit tieferen Löhnen Überschüsse zu erzielen. Doch dann wird sich ein anderes Land verschulden müssen.

Die Ein-Euro-Jobs und andere prekäre Arbeitsverhältnisse, die die Agenda 2010 mit sich gebracht hat, haben zudem zu einer «Abstiegsgesellschaft» geführt, wie der Soziologe Oliver Nachtwey argumentiert. Und diese habe die Grundlage für den Aufstieg der rechtsnationalen Alternative für Deutschland (AfD) gelegt.

Europäische Visionen

Es gibt mit Macron aber auch in Wirtschaftsfragen etwas Hoffnung. Vor allem für die Europapolitik. Macron scheint zu verstehen, dass in einer Welt der offenen Grenzen für Kapital, Güter und Dienstleistungen der soziale Ausgleich nur auf globaler Ebene durchgesetzt werden kann, da die Regierungen auf nationaler Ebene im Standortwettbewerb gefangen bleiben. Macron schlägt neben einem Ende der Sparpolitik in der EU vor, ein europäisches Budget zu schaffen, mit dem schwachen Ländern geholfen wird. Langfristig schwebt ihm gar eine Sozialunion vor, die die Menschen «vor der Globalisierung schützt».

Die konservative Bundeskanzlerin Angela Merkel hat zwar bereits abgewinkt. Möglich, dass sie sich aber nach ihrer Wiederwahl im Herbst offener zeigen würde. Oder dass der Sozialdemokrat Martin Schulz die Wahl gewinnt, der ähnlich wie Macron tickt.

Entscheidend für die künftige Politik Frankreichs sind jedoch nicht nur die Regierungspläne Macrons, sondern auch die Mehrheiten im Parlament, die die Wahlen im Juni bringen werden. Alles ist offen: Viele gaben Macron im zweiten Wahlkampf ihre Stimme, um Le Pen zu verhindern. Im ersten Wahlgang erhielt er lediglich 24 Prozent der Stimmen, 21 Prozent wählten Le Pen. Der Rest ging an Parteien, die sich klar rechts oder links positionieren: 20 Prozent wählten die rechten Les Républicains, knapp 20 Prozent den dezidiert linken Jean-Luc Mélenchon und 6 Prozent den ähnlich linken Sozialisten Benoît Hamon.

Es ist denkbar, dass Macron dank des Mehrheitswahlrechts – in jedem der 577 Wahlkreise wird jeweils eine Person gewählt – eine absolute Mehrheit im Parlament erhält. In diesem Fall wird Macron sein innenpolitisches Programm umsetzen können. Möglich ist aber auch, dass die Républicains die absolute Mehrheit gewinnen, die aus dem Sozialstaat Gurkensalat machen wollen. In diesem Fall wird Macron in einer «cohabitation» mit ihnen eine noch rechtere Politik umsetzen. Eine Mehrheit für die am Boden liegenden SozialistInnen ist unwahrscheinlich, genauso wie eine Mehrheit für Mélenchons ganz junge Partei.

Gut möglich jedoch, dass keine Partei die absolute Mehrheit erreicht. Dann müsste Macron Koalitionen mit Rechten und Linken eingehen. Es ist zu hoffen, dass die Linke stark abschneiden wird und so Einfluss auf Macron nehmen kann. Denn in Europa braucht es endlich eine Debatte, wie der Wohlstand verteilt werden soll.

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