Im Affekt: Nasses Dynamit auf der Pfauenbühne

Nr. 21 –

Didier Eribon hat mit «Rückkehr nach Reims» ein hellsichtiges Buch über die Reproduktion von Herrschaft geschrieben. So entbehrte es nicht der Ironie, dass das Gespräch mit dem französischen Soziologen im Zürcher Schauspielhaus zu einer Machtdemonstration wurde. Was heisst Ironie: Das Gespräch, geleitet von Literaturkritiker Stefan Zweifel, übersetzt von Gesa Schneider, Leiterin des Literaturhauses, wurde zum Ärgernis.

Der Anfang glückt noch halbwegs. Zweifel fragt Eribon nach der Herausbildung seiner schwulen Identität und damit nach jenem Teil des Buches, den die deutsche Kritik oft übersehen hat. Eribon entwickelt daraufhin seinen Begriff der Scham: So wie er sich im Arbeitermilieu für seine Homosexualität schämte, so überspielte er später im Pariser Intellektuellenmilieu seine Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen. Scham sei immer ein Hinweis auf sozialen Ausschluss, letztlich auf die Existenz von Klassen, meint Eribon. Nun wäre alles offen für eine Diskussion über seine Vorstellung einer linken Bewegung, die sich durch die Vereinigung minoritärer Kämpfe auszeichnet.

Doch Gesprächsleiter Zweifel ist nur auf die Beschreibung der Gesellschaft aus, nicht auf ihre Veränderung. Der bildungsbürgerliche Gestus seiner Fragen, sein philosophisches Namedropping machen aus Eribons Zündsätzen nasses Dynamit. Wohl akzeptiert er diesen als intellektuellen Aufsteiger, stutzt ihn aber immer wieder auf seine Herkunft zurück. Allen Ernstes will er von Eribon wissen, warum er die bürgerliche Kultur für ihre Undurchlässigkeit kritisiere, die Arbeiterkultur habe doch auch ihr Schönes. Gerade in dieser wohlmeinenden Zuschreibung zeige sich die Geringschätzung, entgegnet Eribon.

Nach zwei Stunden ist das Gespräch knapp bei den französischen Wahlen angelangt. Fragen aus dem Publikum sind keine vorgesehen. Als Eribon noch etwas sagen will, ist die Tonanlage schon abgestellt. Sinnbildlich für einen Abend über ein politisches Buch, der dessen politischen Gehalt abklemmte.

Eribon bleibt dabei: Emmanuel Macron als Staatspräsident lege den Boden dafür, dass in fünf Jahren Marine Le Pen gewählt werde.