Asylpolitik: Die unmögliche Bringschuld

Nr. 22 –

Diesen Frühling erzählten drei Aktivisten an der Konferenz «Wo Unrecht zu Recht wird» in Zürich von der Besetzung der Zürcher Predigerkirche an Weihnachten 2008. Eine Gruppe von 150 abgewiesenen Asylsuchenden hatte damals gemeinsam mit solidarischen Menschen die Kirche besetzt, um gegen das Nothilferegime zu protestieren, dem sie seit jenem Jahr unterstanden. Darunter waren viele Leute, die zuvor trotz negativem Asylentscheid während Jahren hierzulande gearbeitet, Steuern und AHV-Beiträge bezahlt, in regulären Mietverhältnissen gewohnt hatten – und nun in Notunterkünfte ziehen mussten. Sie forderten eine kollektive Regularisierung sowie eine Aufhebung des Arbeitsverbots.

Neun Jahre später wagt man kaum noch, daran zu denken, eine Arbeitserlaubnis für abgewiesene Asylsuchende zu fordern. Die Asylbewegung ist mehr denn je mit dem Abwehrkampf gegen immer neue Restriktionen beschäftigt. Allein in den letzten Monaten hat sich die Situation in diversen Kantonen noch einmal verschärft.

Im Kanton Zürich werden NothilfebezügerInnen seit letztem Jahr eingegrenzt – seit Februar müssen sie sich zudem zweimal täglich einer Anwesenheitskontrolle in den Unterkünften unterziehen. In der Waadt unterstehen abgewiesene Asylsuchende seit März einer Art Hausarrest. Die Arbeit von lokalen AktivistInnen, die den Menschen etwa private Unterkunft geboten hatten, wird damit nahezu verunmöglicht.

Doch auch der Umgang mit Menschen, die einen legalen Aufenthaltsstatus haben, hat sich weiter verhärtet. Zielgruppe sind dabei «vorläufig Aufgenommene» (vor allem aus Eritrea, Syrien, Afghanistan, Somalia oder dem Zentralirak), die keine persönliche Verfolgung nachweisen konnten, deren Rückkehr ins Herkunftsland jedoch unzumutbar ist.

Der Begriff «vorläufig» ist irreführend, denn gut achtzig Prozent dieser Menschen bleiben dauerhaft in der Schweiz. Die Kantone verhalten sich derweil so, als wüssten sie das nicht. Bereits im April 2015 hat Luzern die Sozialhilfe von vorläufig Aufgenommenen bis um die Hälfte gekürzt. Seit März dieses Jahres werden die Beiträge noch weiter reduziert, sodass eine Einzelperson heute nicht einmal halb so viel wie vor zwei Jahren erhält. In Zug wurde Anfang März eine Motion der SVP an den Regierungsrat überwiesen, die verlangt, dass auch Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene auf Nothilfe zurückgestuft werden. Und auch in Zürich sollen vorläufig Aufgenommene nur noch Asylfürsorge statt Sozialhilfe erhalten. Eine vierköpfige Familie müsste demnach künftig mit 1350 Franken pro Monat auskommen. Zudem werden so auch die Integrationszulagen gestrichen, was bedeutet, dass die Gemeinden vom Kanton kein Geld mehr für Deutschkurse oder Praktika erhalten. Und schliesslich: Vor zwei Wochen haben die Berner StimmbürgerInnen einen Asylsozialhilfekredit für die Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen abgelehnt.

Vorläufig Aufgenommene sind auch auf eidgenössischer Ebene ein Traktandum. Im Nationalrat wird am 12. Juni über eine Revision des Status diskutiert. Eine länger dauernde Schutzgewährung steht zur Debatte, ausserdem sollen sich die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren aktiv um die Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt bemühen. In der Vorlage des Nationalrats ist allerdings auch enthalten, dass diese Menschen (wie im neuen Ausländer- und Integrationsgesetz vorgesehen) eine Integrationsvereinbarung unterzeichnen sollen – sodass bei Nichterreichung der darin festgehaltenen Ziele die Unterstützung wieder gekürzt und die Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert werden kann. Integration wird also gefordert, ohne gefördert zu werden; die Bringschuld liegt allein bei den MigrantInnen. Man verlangt von ihnen, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen, schliesst sie zugleich aber weitgehend von gesellschaftlicher Teilhabe aus (vgl. «Die letzten Zuckungen der Ethnokratie» ).

Aus der Besetzung der Predigerkirche ist übrigens auch die Autonome Schule Zürich hervorgegangen. Dort wiederum ist das Bündnis «Wo Unrecht zu Recht wird» entstanden. Dieses Bündnis ruft für diesen Samstag, 3. Juni, zu einer grossen Demo «Gegen die Entrechtung von MigrantInnen» in Zürich auf.