Durch den Monat mit Tommy Vercetti (Teil 1): Wie haben Sie es mit der Gewalt?

Nr. 31 –

Die Diskussionen um die G20-Proteste treiben den Berner Rapper Tommy Vercetti zur Weissglut. Die Forderung an die Linke, sich von Gewalt zu distanzieren, findet er zynisch.

Tommy Vercetti: «Wer bin ich eigentlich, mich von Gewalt zu distanzieren, während unser ganzes Leben hier auf Gewalt basiert?»

WOZ: Tommy Vercetti, Ihrer Facebook-Seite konnte man entnehmen, dass Sie auch die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg verfolgt haben.
Tommy Vercetti: Fangen Sie gar nicht erst damit an.

Wieso?
Ich rege mich nur wieder zu fest auf. Hinsichtlich meines Facebook-Feeds gleiche ich bedenklich einem Wutbürger, da reicht manchmal schon ein bescheuerter Kommentar vom «Bund» oder sonst einer Zeitung zu solchen Themen, und ich drehe bereits im roten Bereich. Dann erhole ich mich manchmal den halben Tag nicht mehr und kann mich auf nichts mehr konzentrieren. Aber dieses Mal habe ich es vorausgesehen und mich entsprechend vorbereitet.

Vorbereitet?
Ich habe mich schon vor dem Gipfel abgekapselt. Das heisst, ich habe den Computer jeweils erst am Mittag eingeschaltet, so konnte ich am Morgen in aller Ruhe lesen oder arbeiten.

Sie sind ein cholerischer Mensch?
Es ist ja gesund, manchmal sogar wichtig, sich über Politisches zu empören, aber vielleicht nicht gerade in meinem Ausmass. Ich musste mir auch abgewöhnen, mich auf Facebook-Diskussionen einzulassen. Mittlerweile bin ich da viel vorsichtiger.

Was hat Sie beim G20-Gipfel so aufgeregt?
Man hätte es ja erwarten können, aber ich war doch schockiert, wie unkritisch und staatsgläubig der Mainstreamjournalismus über den Gipfel und die Proteste geschrieben hat. Man muss echt sagen: Die sind einfach verwöhnt und reflektieren ihre privilegierte Perspektive nicht. Stattdessen haben sie das Märchen vom Ende der Geschichte verinnerlicht. Wie sich ein repressiver Staat anfühlt, können sich diese Leute gar nicht mehr vorstellen.

Vor allem die Reaktionen auf die Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel waren enorm, im «Tages-Anzeiger» etwa wurde der Antikapitalismus in die Nähe des Faschismus gerückt. Wie erklären Sie sich diese Heftigkeit?
Was man in dieser fast schon hysterischen Reaktion auf die Gewalt eben auch sehen kann: eine panische Angst der Privilegierten davor, dass sich tatsächlich etwas verändern könnte. Im Zuge dieser Panik fällt die Maske der liberalen oder sogar linksliberalen Position – man ist eben nur so lange liberal, bis die eigenen Privilegien infrage gestellt werden. So erkläre ich mir die Aggressivität der Polizei, aber etwa auch eine schockierende Behauptung, die kürzlich in einem Artikel in der «Zeit» aufgestellt wurde: dass es heute gar keine Linke mehr brauche. Ich habe den Artikel nach ein paar Zeilen wieder weggelegt.

Wieso fällt es so schwer, eine vernünftige Debatte über politische Gewalt zu führen?
Dass die Bürgerlichen von uns Linken immer sofort fordern, wir sollen uns von jeglicher Gewalt distanzieren, hat sicher auch mit der genannten Panik zu tun. Das ist quasi ihre Bedingung dafür, dass sie einen überhaupt als Gesprächspartner respektieren. Das ist wie in dieser typischen Beziehungssituation, in der die eine Person die ruhigere anschreit: «Schrei mich nicht so an!» – der Moment, in dem diejenige Partei durchdreht, die sich gerade als die differenzierte sieht. Dass man nicht einmal darüber diskutieren kann, ob politische Gewalt auch hier in Europa unter bestimmten Bedingungen legitim sein könnte, lässt den liberalen Diskurs ziemlich lächerlich aussehen.

Die Frage der Gewalt wird zur Gretchenfrage.
In mir kommt da sofort eine trotzige Lust auf, mich zu verweigern. Aber es gibt auch gute Gründe, warum wir die Frage, ob wir Gewalt befürworten oder ablehnen, entschieden zurückweisen sollten. Zuerst einmal distanziere ich mich von nichts, das ich nicht selber verursacht habe. Wenn irgendein Polizist durchdreht und jemanden totschlägt, fordere ich ja auch keinen Bürger dazu auf, sich davon zu distanzieren. Aber abgesehen davon ist die Forderung an sich zynisch. Wer bin ich eigentlich, mich von Gewalt zu distanzieren, während unser ganzes Leben hier auf Gewalt basiert? Dort, wo mein Reis, mein Benzin, meine Turnschuhe herkommen, herrschen ganz offensichtliche Gewaltverhältnisse. Und diese Gewalt ist Teil des Wirtschaftszusammenhangs, in dem wir alle leben. Nein, ich habe gar nicht das Recht, mich grundsätzlich von Gewalt zu distanzieren.

Sie meinen auch, dass viele Leute auf der Welt vielleicht gar nicht um Gewalt herumkommen, um ihre Lebensverhältnisse zu verbessern?
Die politische Strategie und wie viel Gewalt dabei legitim ist, ist wieder eine andere Frage. Da tendiere ich eher zur Gewaltlosigkeit, auch wenn dann offenbleibt, wie mit der garantiert gewaltsamen Reaktion des Kapitals umzugehen wäre.

Macht sich das gut, wenn man als Künstler mit Gewalt von links in Verbindung gebracht wird?
Mir haben auch schon Leute, die in solchen Dingen erfahrener sind als ich, geraten, mich in der Öffentlichkeit grundsätzlich von Gewalt zu distanzieren, quasi aus strategischen Gründen. Aber das ist die falsche Perspektive, ich spreche mich ja auch nicht für Gewalt aus. Man sollte diese falsche Frage einfach nicht beantworten.

Als erster Rapper hat Simon Küffer alias Tommy Vercetti den Anerkennungspreis der Berner Literaturkommission gewonnen. Obwohl er sich der Verstrickung von Sprache und Herrschaft bewusst ist, findet er, dass kein Wort so schön knallt wie «Bitch».