Nach dem G20-Gipfel: Wer träumt denn hier vom Bürgerkrieg?

Nr. 31 –

«Welcome to Hell», ein mediales Höllenfest im Sommerloch: «Gewaltexplosion» («Aargauer Zeitung»), «Vier Tage Ausnahmezustand» («Zeit Online»), ein «Schwarzer Block, der vom Bürgerkrieg träumt» («Berliner Zeitung»), «Gewalt – an sich selbst berauscht» (tagesschau.de) und viele «brutale Angriffe auf das Leben von Polizisten» (Angela Merkel).

Als die Reizgasschwaden nach dem G20-Gipfel verflogen waren, schaute ein grosser Teil der Öffentlichkeit bereits nicht mehr hin. Etwa als die Zahl von angeblich über 700 verletzten PolizistInnen vom Nachrichtenportal «BuzzFeed» und der Linken-Abgeordneten Christiane Schneider infrage gestellt wurde. Schneider rang dem Hamburger Senat Ende Juli folgende Differenzierung ab: Von den 743 genannten Verletzten waren 256 bereits vor dem Einsatz verletzt. Wie sie in die fragliche Statistik gerieten, bleibt unklar. 182 weitere BeamtInnen haben sich eine Reizgasvergiftung zugezogen, in den meisten Fällen durch von der Polizei versprühte Substanzen. Von den 305 verbleibenden Personen konnten 288 vor Ort verarztet werden und den Dienst fortsetzen. Neun BeamtInnen mussten der Arbeit verletzungsbedingt mehr als einen Tag fernbleiben, und zwei von ihnen blieben länger als einen Tag im Spital.

Wie eine Recherche der «Huffington Post Deutschland» vom 30. Juli zeigt, hatte die Polizei die Gewaltbereitschaft der DemonstrantInnen auch bei anderer Gelegenheit überzeichnet. So sagten EinsatzführerInnen, die selbst nicht vor Ort waren, gegenüber dem Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft aus, GewalttäterInnen hätten am 7. Juli im Schanzenviertel einen Hinterhalt gelegt, um gezielt das Leben der Einsatzkräfte zu gefährden. Beweise oder belastbare Indizien fehlen, und der tatsächlich vor Ort eingesetzte Kommandoführer versicherte gegenüber dem «Spiegel», beim Eindringen ins Viertel auf «überhaupt keine Gegenwehr» gestossen zu sein.

Polizeigewalt gab es übrigens «keine», sofern man den Aussagen der Behörden – hier des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) – glauben will. Amnesty International sieht das freilich anders. In einer kürzlich publizierten Stellungnahme spricht die Organisation von Hinweisen auf «unverhältnismässige Gewalt gegen friedliche Demonstrierende sowie Medienvertreter*innen» durch die Einsatzkräfte. Gegen 49 PolizistInnen wurden inzwischen Ermittlungen aufgenommen.