Bundesratswahl: Raus aus dem Wartezimmer!

Nr. 32 –

Vor sechs Jahren herrschte im Bundesrat eine Frauenmehrheit. Nach der Rücktrittsankündigung von Doris Leuthard könnte bald nur noch eine Frau vertreten sein. Was sind die Gründe? Und was ist aus dem bürgerlichen Feminismus der neunziger Jahre geworden?

Schon lange die Schnauze voll: Demonstration für die Wahl einer Frau in den Bundesrat am 6. März 1993 in Zürich. Foto: Schweizerisches Sozialarchiv / Signatur F 5031-Fb-043

Das Gespräch ist eigentlich schon beendet, da holt Doris Fiala zu einem vielsagenden Satz aus: «Wissen Sie, ich will Ihnen einfach noch sagen: Ich glaube an die Einsicht der freisinnigen Männer. Sie werden merken, dass sie Frauen zulassen müssen, damit wir weiterkommen.» Es ist der Schlusspunkt eines Telefonats, in dem sich Fiala erklärt – und auch ein wenig enerviert: über den WOZ-Frontkommentar der letzten Woche, in dem stand, dass die FDP ein Problem mit Frauen habe. Und dass sich Fiala als Präsidentin der FDP-Frauen nicht vehement genug für eine weibliche Nachfolge des zurücktretenden FDP-Vertreters Didier Burkhalter einsetze. Das will Fiala nicht auf sich sitzen lassen: Sie habe die Kandidatur der Waadtländer Nationalrätin Isabelle Moret von Anfang an unterstützt, betont sie. Aber man müsse eben auch strategisch klug vorgehen – und bei dieser Wahl den Tessiner Anspruch mitdenken, der die FDP in einen Zielkonflikt bringe.

Fiala mag bereits die nächste Vakanz im Auge haben, die sich durch das Schwächeln des freisinnigen Wirtschaftsministers Johann Schneider-Ammann ergeben könnte. Dann spätestens müsse eine reine Frauenkandidatur her, liess sie kurz nach Burkhalters Rücktrittsverkündigung im Juni verlauten. Man kann das taktisch klug nennen – oder feststellen, dass sich die FDP-Frauen auch bei dieser Bundesratswahl wieder im Wartezimmer einrichten. 28 Jahre sind vergangen, seit Elisabeth Kopp als bislang einzige FDP-Frauenbundesrätin wegen einer Finanzaffäre ihres Mannes aus dem Bundesrat stolperte. Das Tessin dagegen wartet erst seit 18 Jahren auf eine Vertretung. Dennoch kochte die Frauenfrage nach Burkhalters Rücktrittsankündigung zunächst einmal nicht hoch. Erst als Anfang August auch CVP-Bundesrätin Doris Leuthard ankündigte, noch in dieser Legislatur zurückzutreten, diskutierte man über den drohenden Rückfall in überwunden geglaubte Geschlechterverhältnisse.

«Der Schwung ist weg»

Dass nach dem baldigen Rücktritt von Leuthard bald nur noch ein Sitz in der Landesregierung von einer Frau besetzt sein könnte, ist mehr als nur ein Rückschritt auf dem Weg zur angemessenen Frauenvertretung in Regierungen und Parlamenten. Es ist Ausdruck davon, dass die Schweizer Politik irgendwo auf halbem Weg stecken geblieben ist. Das belegen die Statistiken, die der Politologe Werner Seitz nach jedem Wahlgang erhebt: 2015 knackten die Frauen im Nationalrat zwar die 30-Prozent-Marke. Im Ständerat aber sank die Quote auf 15 Prozent (nachdem sie 2003 noch bei 24 Prozent gelegen hatte). Bezieht man auch die kantonale Ebene in die Rechnung ein (wo der Frauenanteil in den Parlamenten bei 25,9 Prozent und derjenige in den Regierungen bei 24 Prozent liegt), verdeutlicht sich, was Seitz resümiert: «Der Schwung ist weg.»

Ein Blick zurück: Nachdem der Frauenanteil in der Politik bis Ende der neunziger Jahre rasant gestiegen war, hat er sich seit zwanzig Jahren bei Quoten von 20 bis 30 Prozent eingependelt. Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz damit am unteren Ende des oberen Drittels. «Eine gefährliche Position», warnt Seitz. Eine, die träge mache und dem Narrativ der – bürgerlichen – Männer zudiene, dass die Gleichstellung kein Thema mehr sei. «Die Schweiz ist international gesehen zum Normalfall geworden. Und in diesem Zustand lässt es sich gut ausruhen.»

Die Grünen als Avantgarde

Der vor allem in den linken Parteien steile Anstieg des Frauenanteils in den neunziger Jahren hat auch mit der damaligen Gründung der Grünen zu tun. Die Partei schrieb sich die Gleichstellung von Frauen in der Politik von Anfang an explizit auf die Fahne – und brachte damit auch die SP in Zugzwang. Dass der Frauenanteil in der gesamten Politik inzwischen stagniert, kann man zum Grossteil den bürgerlichen Parteien zuschreiben. Während die Quote bei den rot-grünen Parteien überdurchschnittlich hoch ist, sinkt sie, je weiter rechts sich eine Partei positioniert. 2015 gehörten knapp die Hälfte aller gewählten NationalrätInnen (46,6 Prozent) der SP oder den Grünen an, obwohl die beiden Parteien zusammen nur 27 Prozent aller Nationalratssitze innehaben.

Unterirdisch war der Frauenanteil bei den letzten Nationalratswahlen bei der SVP (16,9 Prozent), weit unterdurchschnittlich bei der FDP (21,1 Prozent), knapp über dem Schnitt mit 33 Prozent bei der CVP. Zufall ist das nicht: Bereits auf den Wahllisten der Parteien unterschieden sich die Frauenanteile eklatant. Die Grünen, die ausgeglichene Listen in ihren Statuten festgeschrieben haben, erreichten bei den Wahlen 2016 auf ihren Listen einen Frauenanteil von 50,6 Prozent. Die SP folgte mit 46,9 Prozent. Deckungsgleich mit den Wahlresultaten bilden FDP (30,7 Prozent) und SVP (18,9 Prozent) auch hier die Schlusslichter. Doch mehr als die exakten Zahlen interessieren die Ursachen. Werner Seitz sagt: «Wir dürfen nicht vergessen, dass Gesellschaft und Politik in der Schweiz noch immer stark patriarchalisch geprägt sind. An diesen Strukturen haben die Frauen in den letzten Jahrzehnten zu rütteln begonnen. Überwunden sind sie noch lange nicht.»

Aufbruch in den Neunzigern

Eine, die stark gerüttelt hat, ist die ehemalige CVP-Politikerin Rosmarie Zapfl, die für ihre Partei von 1995 bis 2006 im Nationalrat sass. Zapfl gehört zu jenen CVP-Frauen, die in den neunziger Jahren an der Seite der linken Ratskolleginnen eine dezidiert feministische Politik betrieben. Befeuert wurde die Frauenfrage 1993 durch die Nichtwahl der SP-Bundesratskandidatin Christiane Brunner. «Das hat auch die Frauen der bürgerlichen Parteien angestachelt», sagt Zapfl. «Die CVP hat damals eine Frauenquote für alle Leitungsgremien eingeführt. Das hat enorm viel bewirkt: Wenn überall Frauen mitvertreten sind, wird anders diskutiert.» Ein Resultat der engagierten CVP-Frauenpolitik der damaligen Zeit war die Wahl Ruth Metzlers in den Bundesrat: Nach dem Rücktritt von Arnold Koller trat die CVP mit einer Frauendoppelkandidatur an.

Es habe damals ein anderer Geist geherrscht, sagt auch Judith Stamm, die 1996 nach einer gescheiterten Bundesratskandidatur zur ersten CVP-Fraktionspräsidentin gewählt wurde: «Die Männer haben uns nicht ganz ernst genommen, das war uns bewusst. Deshalb solidarisierten wir uns über die Fraktionen hinweg.» Ein Beispiel dafür ist der Kampf für die Fristenregelung, dem sogar Vertreterinnen aus der SVP zustimmten. Der Geist, von dem Stamm spricht, er ging irgendwo auf dem Weg verloren. Das habe sie als Präsidentin von Alliance F hautnah miterlebt, sagt Rosmarie Zapfl. «Nach der Jahrtausendwende wurde es zunehmend schwierig, bürgerliche Frauen für sogenannte Frauenanliegen zu gewinnen. Die Sitzungen der Frauenorganisation stiessen auf immer weniger Interesse.»

Marginalisierte Frauenpolitik

Das liegt nur zum einen daran, dass nach dem starken Anstieg der Frauenquote in den neunziger Jahren vieles erreicht schien. Auch die zunehmende Anbiederung der bürgerlichen Parteien, allen voran der FDP, an die rechtskonservative SVP führte zur Marginalisierung der Frauenpolitik. Sie habe den Eindruck, bürgerliche Frauen müssten sich heute wieder mehr der Männeragenda anpassen, sagt Zapfl: «Erfolg haben Frauen, die wirtschaftsliberal politisieren – und sich selbst nicht als Feministinnen bezeichnen.» Sie seien dem Mythos der Chancengleichheit erlegen. Und trauten sich nicht mehr, die Genderfrage zu stellen: «Ich weiss aus Erfahrung, wie essenziell diese ist. Denn als der Fähigste gilt im Zweifelsfall immer noch ein Mann», sagt Zapfl. «Will man eine Frau nach oben bringen, muss man das aktiv wollen.»

Die feministische Historikerin Heidi Witzig sagt, die männlichen Machtstrukturen in der Politik wirkten unter der Oberfläche. «Wir müssen uns vor allem die Frage nach der Dominanz im Wertesystem stellen.» Dieses sei mindestens tausend Jahre patriarchal geprägt gewesen – und die entsprechenden geschlechtsspezifischen Rollenbilder wirkten noch immer. «Wenn du wie Jacqueline Badran scharfzüngig bist, hast du Haare auf den Zähnen. Ziehst du dich sexy an, wird dir nachgepfiffen. Bekommt eine Frau Kinder, soll sie halt selber schauen, wie sie das regelt. Der politische Feminismus hat viel erreicht, aber es gibt immer noch eine patriarchale Decke, nach der sich die Frau strecken muss. Das zu ändern, ist ein Prozess, der über Generationen andauert, formale Gleichstellung reicht bei weitem nicht.»

Auch Doris Fiala, die sich als liberale Kämpferin für die Frauen bezeichnet, findet die Situation «unbefriedigend». Quoten aber könnten nicht die Lösung sein, sagt sie. Dem wäre anzufügen: Auf die Einsicht der Männer zu warten, erst recht nicht.