Jurczok 1001: Pointen abfeuern ist nicht sein Ding

Nr. 37 –

Der «Spoken Beats»-Künstler Jurczok 1001 sinniert über Humorprobleme: seine eigenen, die institutionellen und jene des vorgespurten Publikums.

Roland Jurczok: In seinem neuen Programm macht er «Shirt Stories» – wofür steht seins?

Der Mann da vorn auf der Bühne, was macht der eigentlich? Im harten, kalten Gegenlicht steht er am Mikrofon, pocht mechanisch mit der Faust gegen sein Herz, und es sieht aus, als wär die Brust der Klangkörper. Später schichtet er seine geloopte Stimme – ein Schnalzen und Klicken, Brummen und Singen – so dicht aufeinander, dass sie zum Ritualgesang eines Stammes anschwillt, den man erst noch erfinden müsste. Ist das derselbe, der sich zu Beginn der Show noch wie beiläufig als Comedian gab, als er in einem breitbeinigen, leicht zerdehnten Langstrassen-Slang von einer bizarren Begegnung mit einem nigelnagelneuen Paar Silikonbrüste erzählte?

Also, was macht er da eigentlich, der Mann, der sich Jurczok 1001 nennt? Jedenfalls nichts für Leute, die immer gleich mit Kategorien hantieren müssen. «Spoken Beats» heisst sein Programm, das an diesem Abend im Zürcher Kaufleuten Premiere feiert, sein letztes hiess auch schon so. Der 42-Jährige hat damit ein Format ohne Beispiel entwickelt, zumindest hier in der Schweiz. Vielleicht ist Jurczok ein entfernter Verwandter des US-Künstlers Reggie Watts, den er verehrt. Watts, ein rundlicher Derwisch mit riesigem Afro, ist auch so einer, der nur mit Stimme und Effektgerät auftritt, irgendwo zwischen abgefahrener Comedy und ins Nichts genuschelter Alltagsphilosophie – und dazwischen immer wieder die schiere Virtuosität als Human Beatbox.

Der kann doch was!

Bei Jurczok ist das auch ein Spektrum zwischen intimer Nähe und der absoluten Sachlichkeit etwa seiner «Shirt Stories». Da macht er literarische Konzeptkunst, aus dem Alltag gehoben: Ganz trocken listet er auf, was die Leute, die ihm auf der Strasse entgegenkommen, auf ihren T-Shirts an konsumistischen Slogans und anderen Imperativen spazieren führen, in der Reihenfolge ihres Erscheinens – das tragbare Branding auf der Brust als Brennglas der Gesellschaft. Später am Abend sprechsingt Jurczok seine neue Single «Chumm, mi schlafed», eine Zweisamkeitsballade über einem geschnalzten Beat und einer gesummten Hookline, die wie ein zärtliches Echo auf «Beat It» von Michael Jackson klingt. Es ist im besten Sinne verkopfte Romantik – ein Liebeslied, das gerade aus der ironischen Reflexion über romantische Klischees und ihre Kehrseiten eine ungeheure Intimität entfaltet: «Chumm, mi schlafed mitenand, bis mer gueti Fründe sind.»

Einige Tage zuvor, wir sind bei Roland Jurczok, so sein bürgerlicher Name, zum Werkstattbesuch angemeldet. Er bestellt uns dann lieber in sein Lieblingscafé um die Ecke, seine Werkstatt, sagt er, befinde sich ja sowieso im Kopf. Wir sitzen draussen, trotz Baustellenlärm, aber drinnen ist ihm etwas zu kühl. Der Sprechmusiker sorgt sich um sein kostbares Instrument, die Stimme, so kurz vor der Premiere.

Im Gespräch landen wir dann bald einmal beim «Humorproblem», wie Jurczok das nennt. Wessen Problem soll das sein? Manchmal bekommt er es selbst zu spüren, etwa bei einem Gastauftritt im Casinotheater in Winterthur an einem bunt gemischten Comedyabend, wo Jurczok mit seinem seriellen Gedicht über die «Weltwoche» buchstäblich das Publikum spaltete. Einer rief genervt dazwischen, andere boten dem Paroli, und auf der Bühne wurde der Künstler zum Statisten in seinem eigenen Programm – aber als er nach seinem Konzeptgedicht dann mit Beatboxen anfing, war plötzlich Party im Saal, und alle klatschten mit: Der kann ja doch was! «Das war gewissermassen mein Bob-Dylan-Moment», sagt Jurczok und lacht.

Am TV funktioniert das nicht …?

Auf der anderen Seite gibt es hierzulande vor allem auch ein institutionell verankertes Humorproblem. Gerade im Fernsehen sieht Jurczok beim Humor eine programmatische Risikominimierung am Werk: «Da herrscht die Vorstellung, dass man das Publikum mit Pointen beliefern müsse. Wenn es nur schon die kürzeste Leerstelle gibt, wo die Leute nicht wissen, was das soll – das geht nicht.»

Auch wenn er weder als Satiriker noch als Comedian durchgehen würde: Manches von dem, was Jurczok macht, ist auf eine eigensinnige Weise so komisch, dass man sich schon wundern muss, wieso er in all den Jahren kein einziges Mal etwa bei «Giacobbo/ Müller» zu Gast war, wo doch sonst jeder mittelprächtige Slam-Poet auf die Bühne gewinkt wurde. Es habe, so erzählt Jurczok, einmal einen Kontakt gegeben, als er mit besagter Nummer über die «Weltwoche» habe auftreten wollen. Damals habe man ihm beschieden, dass so etwas im Fernsehen nicht funktioniere. Ende der Durchsage.

So etwas? Vielleicht war damit gemeint, dass Jurczok die Leute nicht «abholen» mag, wie er selber sagt. «Bei vielen Kabarettisten wird der Humor vorweggenommen. Dir als Zuschauer wird geholfen: Du weisst, wann etwas lustig sein soll.» Jurczok sperrt sich zwar nicht gegen Pointen, aber er mag sie nicht ausstellen wie Trophäen, nicht abfeuern wie Geschosse. Ihm ist mehr daran gelegen, Sprechmuster fast wie durch Zufall offenzulegen, durch kleinste Pausen oder andere Nuancen. Daher versucht er sich auch nicht als Parodist: «Mein Problem mit Parodien ist, dass sie oft weniger weit sind als das, was sie parodieren. Wenn Roger Köppel redet, weiss er ganz genau, wann er ein linkes Wort für seine Zwecke instrumentalisiert. Er nimmt also die parodistische Verdrehung selber schon vorweg.»

Einladung an die SVP

Der fragliche Roger spukt auch im langen Kernstück des neuen Programms durch den Saal. Dann nämlich, wenn sich Jurczok ans Rednerpult stellt und in rechter Rollenprosa zu einem Referat über die «Scheinbevölkerung» ansetzt: «Wenn eine Bevölkerung sich so weit vom Volk entfernt hat, dass sie nicht mehr weiss, wer das Volk ist, dann sprechen wir von einer Scheinbevölkerung.» Aber auch wenn er das kurzatmige Allemand fédéral genauso präzise draufhat wie die gespielte Leutseligkeit fürs Festzelt: Jurczok imitiert hier keine Person, sondern greift deren populistische Rhetorik auf, um sie in feinsten Verschiebungen gegen sich selbst zu wenden, bis sie lächerlich wird oder todernst. Also immer wieder dasselbe sagen, Begriffe in die Köpfe hämmern, bis sie ins Absurde abgleiten oder implodieren. «Wer Scheinbevölkerung sagt, muss auch Blutbürger sagen», heisst es dann in nackter nazistischer Konsequenz.

Und was wird, wenn man aus dem in der Schweiz viel beschworenen «Erfolgsgeheimnis» einfach mal die erste Silbe kappt? Genau, ein «Volksgeheimnis». Das wäre vielleicht Jurczoks Einladung an die SVP: Nehmt es doch bitte mit ins Grab, euer Volksgeheimnis.

Jurczok 1001 mit «Spoken Beats» in: Uster, Zum Hut, Samstag, 16. September 2017; Luzern, Loge, Dienstag, 19. September 2017; Bern, Schlachthaus, Sonntag, 24. September 2017; Zürich, Kosmos, Samstag, 28. Oktober 2017.

Jurczok 1001: Chumm, mi schlafed. Irascible, 2017