Kate Millett (1934–2017): Mutig, kompromisslos, eigensinnig

Nr. 37 –

Kate Millett war mehr als die vergessene Galionsfigur der zweiten Frauenbewegung, die die Grundlage für engagierte Geschlechterforschung legte. Sie beschäftigte sich auch mit Folter, Prostitution oder Zwangspsychiatrie.

Immer dasselbe Spiel: Behalten oder mitnehmen? Seit vier Jahrzehnten behaupten sich die Bücher von Kate Millett trotzig im Regal, haben viele Umzüge überstanden und setzen Gilb an während der nächsten kleinen Schonfrist. «Sexus und Herrschaft» wurde seit einer Ewigkeit nicht mehr aufgeschlagen – jene Bibel, die uns, die viel Jüngeren, am Glück des vaginalen Orgasmus zweifeln liess, weil Millett uns darüber aufklärte, von welch infernalischer Gewalt der Koitus ist, Zeichen der ganzen elenden patriarchalen Gesellschaft. Ob im Militär, in der Wirtschaft oder in der Kultur, so ihre Botschaft: Überall überwölbt der symbolische Phallus das menschliche Zusammenleben, ist «Spiegelbild der institutionellen Ungleichheit zwischen Mann und Frau». Auch «Fliegen», Milletts autobiografische Abrechnung mit dem Women’s Lib Movement, steht noch da. Oder «Sita» – unter Freundinnen gesagt: lesbischer Bewegungsschwulst, aber irgendwann einmal gerne verschlungen.

Nun ist Kate Millett, 1934 als Tochter irischer, streng katholischer Eltern in Minnesota geboren, wenige Tage vor ihrem 83. Geburtstag in Paris gestorben, kurz nachdem sie ihre langjährige Lebensgefährtin, die Fotojournalistin und Künstlerin Sophie Keir, geheiratet hatte.

Und alle, die etwas jünger sind, erinnern sich kaum an ihren Namen und noch weniger an die Rolle, die Millett beim Aufbruch der zweiten Frauenbewegung gespielt hat. Ihre Dissertation über «Sexual Politics», 1970 an der renommierten Columbia University mit magna cum laude ausgezeichnet, wurde zum theoretischen Fundament einer ganzen Bewegung.

Antipatriarchaler Furor

Denn «Sexus und Herrschaft» war ein Pamphlet, das weder akademischen Gepflogenheiten folgte noch den Furor verhehlte, dem es entsprungen war. Die Analyse setzte sich, zeittypisch sperrig, mit dem männlichen Theoriekanon auseinander und entlarvte damals sakrosankte Literatenmachos wie Norman Mailer oder Henry Miller. Gleichzeitig brachte es aber auch jene lange weggeschobene erste Person Singular (weiblich!) in Anschlag, die Betroffenheit und kämpferische Energie vereinte und die Grundlage legte für eine engagierte Frauen- und Geschlechterforschung.

Das von Millett zusammen mit einflussreichen Kombattantinnen wie Gloria Steinem, Nancy Friedan und vielen anderen mitbegründete Konzept von Sex und Gender, also von biologisch vorgängigem und sozial gemachtem Geschlecht, hat dieser Forschungsrichtung lange als Fundament gedient, bevor es im Strom dekonstruktivistischer Anstrengungen, wie sie Judith Butler prägte, aufgelöst wurde. Im Zuge des akademischen Paradigmenwechsels kam Kate Millett dann buchstäblich unter die Räder.

Viele Jahre mit einem Mann, dem japanischen Bildhauer Fumio Yoshimura, verheiratet und damit Dorn im Auge aller Vertreterinnen reiner lesbischer Kultur, persönlich wohl ziemlich streitbar und eigenwillig, hat sie von ihren apodiktischen Urteilen über das «Patriarchat» nie abgelassen. Frauenquoten in börsennotierten Konzernen und ein im Kapitalismus angekommener Feminismus waren ihr Thema nie. Bitter hat sie 1998 im «Guardian» über ihre Versuche berichtet, im akademischen und künstlerischen Milieu wieder Fuss zu fassen.

Weihnachtsbäume pflanzen

Verbunden blieb sie indessen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, und sie setzte sich nachdrücklich ein für Menschen mit Behinderung und mit Psychiatrieerfahrung. Von Letzterer hat sie in «Der Klapsmühlentrip» (1993) ein persönliches Lied gesungen, nachdem ihre Familie sie aufgrund ihrer manisch-depressiven Anfälle in eine geschlossene Einrichtung hatte einweisen lassen. Seit 2001 war die Frauenrechtlerin Uno-Delegierte für geistig und körperlich behinderte Menschen.

Engagiert hat sich Millett auch für andere «Randgruppen», Prostituierte etwa, vor allem aber für Folteropfer. Ihr Buch «Entmenschlicht» (1993) ist ein flammendes Plädoyer gegen die Folter: «Wenn wir uns die Folter nicht vorstellen können», schreibt sie dort, «können wir ihr auch niemals Einhalt gebieten.» In «Im Basement» (1983) hat sie die schreckliche Geschichte der sechzehnjährigen Silvia Likens nacherzählt, die von ihrer Mutter zu Tode gefoltert worden war.

«I’m a farmer», verkündete Kate Millett selbstbewusst, wenn sie in den letzten Jahren nach ihrem Beruf gefragt wurde. Ihren weit über die USA hinaus wahrgenommenen 75. Geburtstag verbrachte sie in der von ihr gegründeten KünstlerInnenkolonie LaGrange in Poughkeepsie im Bundesstaat New York. Millett war eine Vielfachbegabte, die sich auch als Bildhauerin und Möbeldesignerin einen Namen gemacht hatte. Jungen Künstlerinnen stellte sie für wenig Geld ein Atelier zur Verfügung, im Tausch für Arbeit auf der Farm. Weihnachtsbäume pflanzten sie dort, ein halbwegs einträgliches Saisongeschäft.

Ich stelle mir vor, dass aus diesen vielen Weihnachtsbäumen irgendwann einmal Bücher werden, andere vielleicht, als sie Kate Millett geschrieben hat, aber ebenso mutige und kompromisslose. Das wäre in ihrem Sinn. Milletts Bücher bleiben, obwohl sie inzwischen wieder verfügbar sind, erst einmal in meinem Regal stehen, zum Blättern zu gegebener Zeit.